Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Bilder. Sie erreichten eine größere Öffentlichkeit als je zuvor. Künstlerinnen und Künstler prägten auf wirkmächtige Weise die Kultur ihrer Zeit, ein sehr viel breiteres Themenspektrum wurde bildwürdig und im Idealfall vom Publikum als »Bildschön« gelobt. Die damals erfundenen Motive bestimmen bis heute, was wir als romantisch, als traurig »bildschön« oder als schön empfinden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand ein enorm vielfältiges erzählerisches Bilduniversum, das immer wieder durch seine formale Innovationskraft begeistert.

»Bildschön« unternimmt eine Neuinterpretation der Sammlungsbestände der Kunst des 19. Jahrhunderts im Lenbachhaus. Um andere Perspektiven auf diese reiche Bildkultur zu eröffnen, präsentiert die neue Ausstellung bewusst eine große Bandbreite von künstlerischen Stilen und Inhalten. Sie erschließt, ergänzt von Fotografien, Film­ und Hörbeispielen, nicht nur den zeitgenössischen Kontext der Themen und Bildwelten, sondern beleuchtet schlaglichtartig den Nachhall des langen 19. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart.

Es ist das erklärte Ziel der Ausstellung, den Kontext wiederzubeleben, in dem unsere Gemälde entstanden und wahrgenommen wurden, denn die damals aktuellen Themen und ihre bildlichen Darstellungen beschäftigen uns noch immer. Diese Aktualisierung soll gleichzeitig die künstlerische Bedeutung der Werke intensiver erfahrbar machen. 

Die tatsächliche Entstehungszeit der gezeigten Werke hält sich nicht streng an das 19. Jahrhundert, sondern beginnt in den 1820er­Jahren und reicht bis zum Ersten Weltkrieg. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nahm die Vielfalt und Verbreitung der Bilder immens zu, und so liegt auch hier der Schwerpunkt der Präsentation. Von den rund 80 Gemälden in 8 Räumen waren etwa die Hälfte lange, manche noch nie zu sehen.

Sie sind in eine lockere Erzählstruktur eingebettet, die die Rolle des Künstlers als Schöpfer eines wirkungsvollen Bilduniversums thematisiert. Die Erzählungen ergeben sich aus den Werken, es wird keinerlei Anspruch auf ein vollständiges Panorama erhoben. Als Themenkomplexe reihen sich lose aneinander: Atelieralltag, Naturansichten, Mythos Wald, Folklore, Ländliche Utopien, Gesellschaftsporträt und Großes Theater.

Die Themen in Kürze:
Eine professionelle Ausbildung als Voraussetzung für eine erfolgreiche künstlerische Praxis stand lange vor allem Künstlern und weniger Künstlerinnen offen. In der öffentlichen Meinung mischte sich Bewunderung für Kreativität und Arbeitseifer des Künstlers mit der Faszination eines (oft vermeintlich) bohèmienhaften Lebenswandels.
Verließen Maler den geschützten Raum des Ateliers für eine Motivsuche in der freien Natur, dann sahen sie sich von den Elementen, von Wind und Wetter abhängig, die eine Landschaft in unterschiedliche Stimmungen versetzten. Die ästhetischen Entscheidungen, die sie fällten, und die Ansichten, die sie wählten, liegen den Postkartenlandschaften zugrunde, die wir heute noch aufsuchen.

Ein Lieblingsmotiv deutscher Maler wurde der »deutsche Wald«. In ihm sind national(istisch)e, romantische und emotionale Vorstellungen tief verwurzelt. Historiker und Mythenforscher, Maler und Dichter haben Waldesliebe und Natursehnsucht erforscht, verbildlicht und besungen. Bis heute reflektiert die Beziehung zum Wald die jeweiligen politischen Verhältnisse und gesellschaftlichen Stimmungslagen in Deutschland.

Trachten und bäuerliches Brauchtum wurden im 19. Jahrhundert wiederbelebt oder gar neu erfunden, die Jagd verbürgerlicht und das Landleben von Sommerfrischlern erprobt. Die darüber entstandenen Bilder und Klischees haben sich als ausgesprochen langlebig erwiesen. Auf Oktoberfesten weltweit wird heute »Bayer« gespielt.

Wenn Maler auf dem Land lebten, interpretierten sie nicht nur Ländliches, sondern sie experimentierten auch mit modernen Lebensformen, und ihre Kunst vermittelte dann ein von urbanen Zwängen befreites Lebensgefühl.

Schon die Kunstkritiker des 19. Jahrhunderts betonten, dass sich über die Porträts berühmter Zeitgenossen ein Stück Zeitgeschichte vermittle, was sie zu Historiengemälden für die Zukunft mache. Als Porträtisten des Bürgertums und der Aristokratie entwarfen Künstler deren öffentliches Image, sie verhandelten Geschlechterverhältnisse und Standesunterschiede.

Der Wandel, der sich in der Welt des »langen« 19. Jahrhunderts vollzog, war gewaltig. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten konnte ein großer Teil der Gesellschaft die damit verbundene Erweiterung der Erfahrungs­ und Wissenswelten mitvollziehen. Maler und Illustratoren fanden für das ganze »große Theater« der modernen Welt visuelle Entsprechungen: für so unterschiedliche Phänomene wie die Begeisterung für die Vergangenheit, die Fragen der Naturwissenschaften oder die Verlockungen des Spiritismus.

Die Ausstellungsbesucher und Kunstsammler des 19. Jahrhunderts, die Leser von Büchern, Zeitschriften oder Reiseführern erwarteten anschauliche Darstellungen und unterhaltsame Geschichten, weshalb viele Künstler die bestehenden Verhältnisse eher bestätigten, als sie kritisch zu hinterfragen. Doch ließen sie gelegentlich ironisch durchblicken, dass ihre Produktionen oft auf Modellen und Attrappen beruhten. Der Erfahrungshorizont des Einzelnen erweiterte sich drastisch mit der immer reicheren Bilderwelt. Alles »zwischen Himmel und Hölle« wurde in diesem Jahrhundert darstellbar, phantasievolle und phantastische Erzählformen, die die Malerei  damals erfand, schufen nicht zuletzt das Fundament für die Filmindustrie des 20. Jahrhunderts.