Die zugleich faszinierenden und fremden Bildwelten, in die uns der Maler und Grafiker Peter Ackermann entführt, knüpfen direkt an das Thema Architektur an. Seine zum Teil ungewöhnliche Zusammenschau von Bauelementen – zum Beispiel von Fassaden und Innenräumen, die wie kulissenhaft ineinander verschoben scheinen – geben den Betrachter*innen Rätsel auf. Die Bauten sind unbewohnt. Der Mensch ist nur indirekt anwesend als derjenige, der sie schuf und nutzte. Die Bauwerke, ihre Schmuckformen sowie ihre zeitliche Gebundenheit und Vergänglichkeit bilden die wesentliche Grundlage im Schaffen des Künstlers, der er im Laufe der Jahrzehnte immer neue Facetten abgewann. Mit seinen bildmäßigen, geheimnisvollen Radierungen gehörte Peter Ackermann am Beginn der 1970er Jahre zu den begehrtesten deutschen Grafikern, ohne seine Malerei zu vernachlässigen. Nach einer längeren Phase freischaffender Tätigkeit sollte 1977 ein wegweisendes Jahr für ihn werden: Damals hatte er seit kurzem eine Professur an der Hochschule der Künste in Berlin inne, er war eingeladen, an der documenta 6 in Kassel teilzunehmen und er folgte dem Ruf an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe, wo er bis zu seiner Emeritierung 1997 lehrte. Die aktuelle Präsentation gibt einen konzentrierten Einblick in sein künstlerisches Schaffen und umfasst 45 Zeichnungen, Radierungen, Aquarelle, Gouachen und fünf Gemälde aus den Jahren 1965 bis 1999. Sie sind alle im Besitz der Kunstsammlung der Städtischen Galerie Karlsruhe.

In den ersten Jahren seines künstlerischen Wirkens setzte sich Ackermann in mehreren Radierfolgen mit zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Diskussionen auseinander. Hierzuzählen seine Mappenwerke von 1966 „Marx und Engels in London“ und von 1968 „Unruheist die erste Bürgerpflicht“, in der er auch Themen wie „die SS“ oder „Schrecken des 3. Reiches“ verarbeitete. Aus der ersten Serie besitzt die Galerie das zweite von zehn Blättern, einen Probedruck mit dem Titel „Marx im Lesesaal des British Museum“ aus dem Jahr 1965. Jedes Motiv dieser Serie besteht aus zwei Platten, dem ruinösen Bühnenprospekt als Rahmen und der darin eingelassenen, wechselnden Szene. Der Raum, im Titel konkret benannt, wird jedoch vom Künstler individuell interpretiert. Auf der rechten Seite, ganz im Vordergrund schwebt die Büste von Karl Marx – nicht als naturalistisches Bildnis wiedergegeben, sondern deutlich verfremdet. Jedes Blatt der Folge ist mit einem entsprechenden Text des Künstlers versehen, der auf dem Probedruck noch fehlt.

Einige Blätter der Präsentation stehen beispielhaft für die fantasiereiche Bildsprache, die für Werke Ackermanns der 1960er und 1970er Jahre typisch ist: Formal fügt er der jeweiligen Darstellung collageartig zusätzliche Bauformen oder Gebäudeteile ein, die sich nicht aus der Gesamtkomposition ableiten lassen. Dabei handelt es sich oft um stillgelegte, verfallende Produktionsgebäude, Industriebrachen und unwirtliche Situationen in einer Stadt imUmbruch. Ein frühes, typisches Beispiel ist „Die Fabrik“ von 1968. Wie eine undurchdringlicheWand beherrschen die vielfältig strukturierten Bauteile aus unterschiedlichen Entstehungsphasen des Gebäudekomplexes die Bildfläche. Trotz ihrer erzählerischen Vielteiligkeit wirkt die düstere Szene bedrückend. Welche menschlichen Schicksale mögen damit verbunden sein? Mit einem fantastischen Element bricht der Künstler diese inhaltliche Schwere: eine Art Bauwagen liegt quer auf dem flachen Dach des größten Gebäudes. Eine ähnlich unerklärbare und bildbestimmende Störung findet sich auf dem Blatt „Nah am Zentrum“ von 1978 mit einer architektonischen Situation am Stadtrand, bestehend aus einemhistorischen Anwesen, einem modernen Hochhaus und einem Industriekomplex des 19. Jahrhunderts. Im mittleren Bilddrittel schwebt darüber ein ausschnitthafter Wandaufriss –möglicherweise einer Kirche. Zwischen ihn und den darunter angeordneten Häusern drängt sich ein länglicher Kubus, dessen Funktion offen bleibt.

In der Grafik „Eine Kugel in einer Landschaft“ (1970) legt der Künstler einen hohen Himmel an und lässt darin eine große offene, unbenennbare Form schweben. Es scheint sich um ein Konglomerat von Bauelementen und Schmuckprofilen zu handeln, die ohne Maßstab und Regel zusammengefügt wurden. Nach rechts schließt sich der technische Schnitt durch solchein Profil an. Diese Interpretation der schwebenden Form bestätigt das Gemälde „Neubau aus nutzlosen Resten“ von 1974. Dort sind ebenfalls verschiedene Schmuckprofile vonhistorischen Architekturen zusammengefügt – nun zu einem hausähnlichen Pasticcio.

Hatte sich Ackermann intensiv mit Architektur-Landschaften, Gebäudekomplexen und Einzelbauten beschäftigt, wandte er sich seit den späten 1970er Jahren verstärkt den Grenzbereichen zwischen Innen und Außen sowie dem Innenraum selbst zu. Nun treten künstlerische Fragestellungen wie das Verhältnis von Fläche und Raum, Masse und Linie, Ornament und freier malerischer Geste noch stärker in den Vordergrund. Seine Malerei dieser Jahre weist eine überaus delikate Farbigkeit in sensiblen Valeurs auf und ein mildes Licht modelliert die Architekturformen der wiedergegebenen sakralen Gebäude. Weiterhin setzt er„Störungen“ ein, nun sind es bevorzugt freie lineare Formen. In beiden Medien, der Grafikwie der Malerei, entfernt sich Ackermann immer mehr von der realen Raumsituation und kommt in der Auseinandersetzung mit Licht und Schatten sowie durch das Ausblenden von wiedererkennbaren Architekturelementen über eine abstrahierende Gestaltungsweise zu einer zunehmend freien Formensprache, die einer Abstraktion zustrebt, die sich nicht mehr an die reale Welt rückkoppeln lässt. Die späteste Radierung der Ausstellung trägt den Titel „Garten in Valecchie“. Die Bäume amvorderen Bildrand stehen so dicht, dass sie das Bildfeld weitgehend verstellen. Schematisch zeichnen sich ein Feld, ein Haus am rechten Bildrand und ein Bergzug im Hintergrund ab. In Valecchie, einem Dorf bei Cortona in der Toskana, hatte Peter Ackermann einen Ferienwohnsitz mit Atelier. Dort starb er und ist in diesem Ort auch begraben. Weitere Motiveaus diesem Landstrich finden sich in den Blättern „Rückseite von Valuchi“ (1976), „Berg bei Montanare“ (1977) und „In Camucia“ (1984).

Biografische Angaben zu Peter Ackermann:
1934 in Jena geboren. 1953 Studium der Theaterwissenschaften, Philosophie und Germanistik an der freien Universität Berlin. 1956–1962 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Berlin bei Georg Kinzer. Ab 1963 freier Maler und Grafiker in Berlin. Seit 1966 mehrere Kunstpreise u. a. 1966 Preis der Deutschen Kunstkritik, 1971 Villa Romana- Preis Florenz, 1976 Kunstpreis der Stadt Darmstadt. 1976/77 Professur an der Hochschule der Künste Berlin. 1977 Teilnahme an der documenta 6 in Kassel. 1977–1997 Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Lebte und arbeitete in Karlsruhe und in Valecchie, Toskana.


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Freitag: 10:00 - 18:00 Uhr
Samstag . Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag - Dienstag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: staedtische-galerie.de

13.05. - 15.11.2020

Peter Ackermann: Verrätselte Architekturen 1965–1999

Städtische Galerie Karlsruhe

Lorenzstr. 27
76135 Karlsruhe