Kunst ist unwahrscheinlich. Ihre Bewertung ist eine komplexe Aufgabe ohne endgültige Ergebnisse, aber von hohem diagnostischen Wert auch für andere gesellschaftliche Bereiche. Aber was soll das heißen: Kunst? Die Kunst, wie sie in sich selbst dauernd vorkommt, und die Kunst als beispielhafter metonymischer Bereich der Wirklichkeit, der uns, wie ein Modell, Aufschluss geben kann über uns und dieses Leben in der Welt.Die
Argumentation und Programmatik der von Fabian Ginsberg konzipierten Ausstellung erprobt die Kunst als Institution und als Praxis, ihre Kategorien und ihren Gebrauch. Der zentrale Begriff der Bewertung leitet die Untersuchung von vier sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen und verbindet sie miteinander.

Wenn Werte (mit dem amerikanischen Philosophen John Dewey) weder überirdisch bzw. fundamentalistisch gegeben, noch individuell relativ wären, sondern die Resultate und Bedingungen geschichtlicher und gesellschaftlicher Erfahrung, dann durchdringen sie alle Fakten der menschlichen Welt, gehen ihr voraus, stellen sie her, wandeln sich aber auch, und sich verändern. Sie bedingen Handlungs- und Erkenntnisfähigkeit, und sie unterliegen ihr. Werte sind dann Hypothesen: Sie verbinden eine Wertempfindung mit der Reflexion ihrer Bedingungen und ihrer möglichen resultierenden Handlungen. Auf diese Weise werden Werte bewertbar – wir können fragen, ob das Gewünschte wünschenswert ist; wir können erkennen, welche materiell-semiotischen Apparate, welche Methoden und Interessen den Werten und ihrer Produktivität zugrunde liegen; wir können reflektieren, mit welchen Veränderungen in der Infrastruktur der Werte wir die reale Herstellung von Wirklichkeit erfreulich verändern können. Kunst kann diese Ökonomie der Werte sichtbar machen.

Die beteiligten Künstler*innen werden nicht monographisch gezeigt (mit dem Anspruch die ganze Komplexität ihres Œuvres darzustellen), sondern jeweils exemplarisch in einer bestimmten, historischen Umbruchsituation:Ketty La Rocca, Florenz um 1970Jack Goldstein, New York um 1980Klaus Merkel, Stuttgart um 1990Josef Kramhöller, London um 2000

Das konzeptuelle Werk von Ketty La Rocca (La Spezia, IT 1938–1976 Florenz, IT) wird international ausgestellt und in den Kategorien Body Art, feministische Kunst, Fotografie und Video besprochen. In der Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen wird es erstmals in einen Zusammenhang mit der Appropriation Art der sogenannten „Pictures Generation“ gestellt, zu deren maßgeblichen Vertretern Jack Goldstein gehört.Ketty La Roccas Werke befinden sich in renommierten Sammlungen wie dem Museum of Modern Art New York, dem Centre Pompidou Paris, dem GAM Turin, der Galleria d’Arte Nazionale Rom, dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, dem Museum of Contemporary Art in Los Angeles und der Galleria degli Uffizi in Florenz.

Jack Goldstein (Montreal, CA 1945–2003 San Bernardino, US) wurde früh – 1977 in der Ausstellung „Pictures“ von Douglas Crimp – als kunsthistorisch exemplarisch erkannt und im Zusammenhang mit der Methode der Appropriation Art besprochen. In der Ausstellung „Die Bewertung der Kunst“ im Kunstmuseum Reutlingen | Galerie werden die epistemologischen Tiefen dieses Œuvres in einen Zusammenhang mit den konzeptuellen Methoden anderer Künstler gestellt, deren Werk eine entsprechende philosophische Dimension zu eröffnen ermöglicht. „Pictures“, die Ablösung von einem alten Repräsentationsbegriff, ist der gemeinsame Horizont dieser Ausstellung – mit neuen Aussichten.Goldsteins Werk ist unter anderem vertreten in folgenden Sammlungen: Museum für Moderne Kunst, Frankfurt; Metropolitan Museum of Art, New York; Whitney Museum, New York; Museum of Modern Art, New York; Museu d’Art Contemporani de Barcelona; Orange County Museum of Art Costa Mesa, CA.

Klaus Merkel (*1953 Heidelberg), der in den achtziger Jahren ein abstraktes Werk malerischer Zeichen entwickelte, erlebt Anfang der neunziger Jahre denselben Kunstmarkt-Crash wie Jack Goldstein. Im Gegensatz zu diesem reagiert Merkel auf die veränderte Markt- und Publikumssituation radikal anders: Seine Produktion erweitert und integriert sich selbst. Es entsteht ein einzigartiges Werk der Self-Appropriation. Die Kunst faltet sich ein und kommt in sich selbst vor, sie bildet ein geschlossenes System von Zeichen, das die abstrakten Kategorien der Kunst ausstellbar macht.Merkels Werk ist unter anderem vertreten in folgenden Sammlungen: Morat Stiftung, Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg; Niedersächsische Sparkassenstiftung, Hannover; Alfried Krupp v. Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen; Hoffmann-La Roche, Basel; Kunstmuseum Winterthur; Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz; Kunstmuseum Bonn; Staatsgalerie Stuttgart; Museum für Neue Kunst, Freiburg; Museum Würth, Künzelsau; LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster; Sammlung Kienbaum, Gummersbach und Köln; Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann, Herzogenrath und Berlin; Sammlung Haubrok, Berlin; The Works Collection, Heemstede.

Josef Kramhöllers (Wasserburg a.Inn 1968–2000 London, GB) Werk umfasst Bilder, Performances/Videos und Texte. In seinem 1999 erschienenen Buch „Genuss Luxus Stil“ findet er eine leidenschaftliche und gebrochene Sprache, die den Habitus der Künstlerkollegen an der Akademie, ihre Konkurrenzkämpfe und Distinktionen sichtbar macht. Für Kramhöller, dessen Eltern Landwirte waren, wird sein Studium der Kunst in London, der Finanzmetropole Europas, zu einem Modell, das er sich sprachlich und körperlich-performativ aneignet und übersetzt. Mit Sensibilität und analytischer Schärfe findet er Formulierungen in einem Werk, das zu früh abbrach, und für eine Zeit, in der wir immer noch leben, sodass wir von ihm berührbar bleiben.

Das Medium aller vier Künstler ist Sprache – in einem semiotischen Sinn, in dem Repräsentationen nicht mehr eine bestehende, vorgängige Wirklichkeit darstellen und interpretieren, sondern in dem die Medien der Repräsentation als Sprache selbstbezüglich werden und das Reale herstellen. Der konzeptuelle und methodische Umgang der vier Künstler mit diesem gemeinsamen, neuen Paradigma und ihre Bewertung desselben ist ein je anderer. Die Ausstellung, zu der ein Katalog erscheinen wird, stellt die Unterschiede und Entsprechungen vor, indem sie den Begriff der „Ökonomie der Bewertung“ entwickelt. Für aktuelle Krisen, wie die Ununterscheidbarkeit von „Fakten“ und „Werten“, die „Krise der Repräsentation“ und das allgegenwärtige Dickicht von Aneignung und Appropriation schlägt die Ausstellung „Die Bewertung der Kunst“ eine Revision von früheren Formulierungen dieser Phänomene vor.

Die Kienzle Art Foundation wurde zum Erhalt und zur öffentlichen Vermittlung der Sammlung von Jochen Kienzle (*1959) gegründet. Erklärtes Ziel der Kienzle Art Foundation ist es, Positionen der 60er-Jahre bis heute wiederzuentdecken und deren Impulse – unabhängig von etablierten Kategorien – für nachrückende Künstlergenerationen aufzunehmen: Die Kunstgeschichte wird als ein offenes Projekt aufgefasst, das sich aus vielen unterschiedlichen Quellen speist.Schon seit Langem fester Bestandteil der Berliner Kunstszene, hat Jochen Kienzle Wurzeln in Baden-Württemberg. Geboren in Freiburg i.Br. und aufgewachsen im Schwarzwald, ist die Entstehung der Sammlung auch mit dem Diskurs der achtziger und neunziger Jahre in der Gegend von Stuttgart verbunden, so mit der Galerie Gmeiner, bzw. Galerie Kienzle & Gmeiner sowie dem Künstlerhaus Stuttgart.

Die Ausstellung wird kuratiert von Fabian Ginsberg (*1983 Freiburg). Als Künstler, Kurator und Autor beschäftigt er sich mit Wert- und Bewertungssystemen, mit Repräsentation, mit Modellen politischer Ökonomie und mit den Möglichkeiten von Kommunikation. Ausstellungen u.a. in der Kienzle Art Foundation Berlin; Kjubh Kunstverein Köln; Nousmoules Wien; GELD London; new jörg, Wien; Nagel Draxler Galerie Berlin; Juana de Aizpuru Galerie Madrid; Deichtorhallen Hamburg, Kunstmuseum Bonn; Kunstmuseum Wiesbaden; Kunstsammlungen Chemnitz; Kunstmuseum Soest; Kunstverein Schwäbisch Hall; Städtische Galerie Villingen-Schwenningen; Kunstverein Nürnberg; Fondazione Carriero Milano.

Zur Ausstellung erscheint im Frühjahr 2023 im DISTANZ Verlag ein Katalog mit Installationsansichten.


Öffnungszeiten:
Mittwoch, Samstag, Sonntag (Feiertag): 11:00 - 18:00 Uhr
Donnerstag - Freitag: 14:00 - 20:00 Uhr
Montag - Dienstag: gesclossen
An Heiligabend, Silvester und Karfreitag bleibt das Museum geschlossen.

Weitere Informationen direkt unter: kunstmuseum-reutlingen.de