Sandra Mujinga präsentiert ihre erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland „IBMSWR: I Build My Skin with Rocks“. Die Künstlerin bespielt die Historische Halle des Hamburger Bahnhof mit einer eigens für die Ausstellung entstandenen Video-Installation: eine neue Haut, gefilmt vor einem Green-Screen und präsentiert in einer monumentalen, 9 Meter hohen Video und Toninstallation. Haut organisiert Leben. Sie umfasst alles, was uns zu Menschen macht – Fleisch, Blut und Geist – und dient als Ort des Austauschs zwischen unserem Innenleben und der Außenwelt. Als weiches Grenzorgan schützt sie unseren Körper, ist aber auch angreifbar. Sie ist nicht nur physischen, biologischen und chemischen Attacken ausgesetzt, sondern wird durch ihre Kodierung in einer fortwährend von Rassismus geprägten Weltordnung zur Zielscheibe für soziale Angriffe. Die Video-Installation hinterfragt, was es heißt, Mensch zu sein.

Die Künstlerin hat zunächst einen ihrer Bodysuits hergestellt, die sie zu gespenstischen skulpturalen Ensembles aufspannt – wie etwa in den Arbeiten „Reworlding Remains“ und „Sentinels of Change“, für die sie mit dem Preis der Nationalgalerie 2021 ausgezeichnet wurde. Für das aktuelle Video nähte sie Leder und Kunstleder (echte und künstliche Haut) zu einer elefantenartigen Hülle zusammen, die von einer Performerin getragen und belebt wurde. Diese neue Haut filmte Mujinga vor einem Green Screen und verarbeitete das Videomaterial zu einem monumentalen Bewegtbild, das auf einer LED Videowand abgespielt wird. Die Videoarbeit ist in einem skulpturalen Einbau montiert und mit einer Komposition der Künstlerin vertont.

Ausgehend von den Schriften des auf Martinique geborenen Philosophen und Politikers Édouard Glissant, der 1969 in „L’Intention poétique“ schrieb, dass er seine Sprache aus Steinen baue [Je bâtis a roches mon langage], um mit der kulturellen Vorherrschaft des französischen Schreibens und Denkens zu brechen, verschiebt Sandra Mujinga den Fokus von der Sprache auf den Körper, um über die Haut als ebensolches radikales Phänomen nachzudenken, um das politische Klima der Gegenwart zu durchbrechen.

Mujinga nimmt Bezug auf die evolutionär bedingten körperlichen Anpassungen von Tieren, indem sie die dicke Haut von Elefanten zum Vorbild nimmt. Denn um sich vorzustellen, was der Mensch werden kann, wenn er sich von den Fesseln der kolonialen Vergangenheit und ihren Auswirkungen auf die Gegenwart befreit, braucht es vielleicht das Wachsen einer neuen Haut. Durch ihr Werk fragt die Künstlerin, was es heißen könnte, eine solch dicke Haut zu entwickeln, die es zulässt, sich bestärkt durch die Welt zu bewegen. Im Mittelpunkt des Videos steht ein fantastisches Wesen. Halb Mensch, halb Elefant hat es die Kraft, sich so zu vergrößern, dass es nicht mehr mit dem menschlichem Auge zu erfassen ist. Das Wesen wird zu einer schimmernden, sich verändernden Landschaft, die von Zeit zu Zeit den Betrachtenden Fragmente seines steinigen doch fluiden Körpers preisgibt.

Zwischen Mensch und Elefant, biologischem Leben und geologischer Unsterblichkeit, Figuration und Abstraktion changierend, wirft das hybride Wesen in „I Build My Skin with Rocks“ Fragen über das Menschsein in Zeiten zunehmend feindseliger und unbewohnbarer planetarischer Lebensbedingungen auf: Welche Wesen werden als Menschen angesehen und wer trifft die Entscheidung darüber? Ist „der Mensch“ eine Kategorie, zu der wir uns noch zugehörig fühlen sollten? Und wie könnten Menschen in der Zukunft aussehen, wenn die Spezies überlebt?

Sandra Mujinga
I Build My Skin with Rocks, 2022
HD-Video, Farbe, Ton
1:00:28 h (Loop)
Gezeigt auf LED-Videowand, 9 x 4 m
Skulpturaler Einbau
Holz, schwarz gestrichen
9,7 x 4,2 x 18,9 m
Modell: Mieri Joak
Kameraführung: André Katombe
Drehort: Dagslys, Oslo
Studio Management: Zuzana Pabisova
Assistenz: Chloe Elgie, Marie Cole

Sandra Mujinga (geboren 1989 in Goma, Demokratische Republik Kongo, lebt in Berlin und Oslo) erhielt 2021 den Preis der Nationalgalerie.

Anlässlich der Ausstellung erscheint im DISTANZ Verlag ein umfangreicher Katalog, der den ersten Überblick über das bisherige Schaffen der Künstlerin bietet. (312 S.; 28 EUR Museumsausgabe). Das Buch wurde von HIT entworfen und beinhaltet Beiträge von Daniel Milnes, Thangam Ravindranathan, Wong Binghao und Kathryn Yusoff sowie einen Text von Sandra Mujinga.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Mittwoch: 10:00 - 18:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 20:00 Uhr
Freitag: 10:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: smb.museum