Leyla Yenirce ist eine junge und bereits viel ausgezeichnete Hamburger Künstlerin (zuletzt Ars Viva Preis 2023), die im Kunsthaus Hamburg ihre erste Einzelausstellung realisiert. Ihre künstlerische Praxis setzt sich multi-medial mit der Repräsentation von Widerstand sowie kulturellen, medialen und militärischen Dominanzstrukturen auseinander.

In ihren raumgreifenden Installationen untersucht die Künstlerin unter anderem die konzeptuelle Ebene von Märtyrer*innen-Bildnissen. Den Darstellungen derjenigen, die zum Beispiel im Kampf gegen den Islamischen Staat gefallen sind, wird besondere Bedeutung zugeschrieben, da sie die Toten über ihre irdische Existenz hinaus zu Held*innen erheben. Yenirce zeigt den schmalen Grat zwischen verklärender Ideologie und widerständiger Emanzipation auf und verbindet, was oft als Gegensatz angenommen wird: Feminismus und Krieg, Popkultur und Genozid, Begehren, Sehnsucht und Ironie. Auch in Klanginstallationen, in denen sie Stimmen mit Noise und Synthesizern mischt, greift die Künstlerin das Motiv der Resilienz auf und erweitert dieses in ihren Performances durch Körper, die hybride Identitäten annehmen. 2016 hat sie das Musikkollektiv One Mother mitgegründet, das sich mit der intersektionalen Ebene von Pop-Kultur befasst. 

In ihrer ersten Einzelausstellung SO MUCH ENERGY im Kunsthaus Hamburg verflechtet Leyla Yenirce Lebensgeschichten von unterschiedlichen Frauen, die sich in extremen Situationen Missständen widersetzt haben und fragt: Welche Umstände trieben die Personen zu ihren Handlungen an und was hat sie in ihrem Umfeld bewegt? 

Das Video des mehrteiligen Werks NACHT. SCHLAF. DIE STERNE., 2021 ist in der Auseinandersetzung mit den letzten Tagen der Hamburger Malerin Anita Rée entstanden. Nachdem sich die Künstlerin in einer von Männern dominierten Kunstwelt durchgesetzt hatte und Ansehen genoss, nahm sich die emanzipierte Frau mit jüdischen Wurzeln in Zeiten des aufsteigenden Faschismus 1933 auf Sylt das Leben. (2017 widmete die Hamburger Kunsthalle dieser faszinierenden Künstlerin eine umfassende Ausstellung.) Gewalt, Zerstörung und Auslöschung werden in der Projektion wehender Haare, im treibenden Noise und der aggressiven Dynamik industrieller Propeller widergespiegelt.

Der eindringliche Sound, bestehend aus Panzergeräuschen, digitalen Effekten, Synthesizern und Found Footage-Klängen mischt sich mit Stimmen der britischen Freiheitskämpferin Anna Campbell, die 2018 in der kurdischen Stadt Afrin in Rojava im Kampf gegen das türkische Militär fiel, sowie der irakisch-jesidischen Menschenrechtsaktivistin Lamiya Aji Bashar. Die Überlebende des Genozids an den Yezid*innen gelang die Flucht vor dem IS. (2016 ist sie mit dem Sacharow Preis für Menschenrechte ausgezeichnet worden.) Das Verhältnis von Macht und Ohnmacht wird in der Installation vielschichtig ausgelotet. Sowohl durch die Kraft der Bewegung der rotierenden Propeller im Raum als auch auf visueller und akustischer Ebene wird die Ausstellung zu einem physischen Erlebnis.