In der Ausstellung Face-à-Face geht es um einen neuartigen Dialog zwischen den Sammlungen zweier Museen. Sie stellt Beziehungen her zwischen Kunstwerken bedeutender deutscher und französischer Vertreter·innen der Avantgarden der Modernen Kunst und den Arbeiten zeitgenössischer Künstler·innen aus allen Teilen der Welt. Themen wie die Metamorphose, die Verwandlung der Materie, optische Phänomene oder die Wahrnehmung des Raumes bestimmen die Präsentation in der Ostgalerie. In ihnen zeigt sich nicht nur eine Vielfalt formaler Experimente, sondern auch der Drang vieler Künstler·innen, die Gesellschaft auf ihre sozialen und politischen Strukturen hin zu untersuchen.

In Europa artikulierte sich die künstlerische Blüte der 1920er-Jahre oft in gemeinschaftlichen Unternehmungen. Künstler wie Lyonel Feininger und László Moholy-Nagy waren Teil der innovativen Bauhaus-Bewegung, die 1919 in Weimar gegründet wurde und sich zum Ziel gesetzt hatte, Kunst, Architektur und Kunsthandwerk zu vereinen. Ihre Arbeiten, in denen sie die Vereinfachung beziehungsweise die Vereinzelung geometrisch-figürlicher und abstrakter Motive untersuchen, ähneln den fotografischen Experimenten von Albert Renger-Patzsch, der der zwischen 1918 und 1933 aufblühenden Bewegung der Neuen Sachlichkeit nahestand. Ihr Verständnis von der Wahrnehmung des Raumes und seines Aufbrechens findet ein Echo in den Arbeiten aus heutiger Zeit von Lee Bul oder Alicja Kwade.

Die Beschäftigung mit der spirituellen Dimension des Waldes bei Emily Bates oder aber die traumhaften Landschaften von Germaine Hoffmann bilden ein fernes Echo des Surrealismus, der hier mit Werken seiner bedeutenden Vertreter Hans Bellmer und Max Ernst präsent ist. Wenngleich diese Bewegung weit über Europa hinausreichte, fand sie ihren Ursprung in Frankreich, wo André Breton 1924 das Manifest des Surrealismus veröffentlichte. Befreit von den Zwängen der Vernunft, nehmen in diesem das Unterbewusste, der Traum und das Fremdartige einen besonderen Platz ein. Die Welt des Surrealismus ist voll von hybriden organischen Formen, die es so auch in der zeitgenössischen Kunst gibt, etwa bei Michel Paysant, Tobias Putrih oder François Roche.

Auch die Nachkriegszeit in Deutschland war in künstlerischer Hinsicht besonders fruchtbar. In den 1950er-Jahren knüpfte die Subjektive Fotografie mit Otto Steinert als führendem Kopf an den Modernismus der Zwanzigerjahre an, den die Nationalsozialisten zum Schweigen gebracht hatten. Ohne den Anspruch, die Wirklichkeit wiedergeben zu wollen, fanden die Fotograf·innen eigene Blickwinkel und zahllose Motive, denen sie die Kraft der Abstraktion verliehen. Diese ist auch in den Fotolithografien von Lutz & Guggisberg oder im Video von Yazid Oulab spürbar.

Als dann in den 1960er-Jahren im Zeitalter der Eroberung des Weltraumes Künstler wie Heinz Mack und Otto Piene die Gruppe ZERO gründeten, ein freiheitliches, bilderstürmerisches und utopisches Projekt, wurde deutlich, dass sie einen vollständigen Neubeginn anstrebten und die Materialität der Leinwand hinter sich lassen wollten. Sie griffen auf neue industrielle Materialien zurück, die sie durch ihre optische oder bewegliche Qualität beeindruckten. Diese Hervorhebung der Bewegung, des Raumes und des Lichtes findet sich heute in der Malerei von Janaina Tschäpe.

Im Zentrum des Parcours in der Westgalerie steht der menschliche Körper in all seinen Erscheinungsformen. Er dominiert in kunstvoller Präsenz den Raum und wird zum Träger alter und neuer Mythen. Er steht auch metaphorisch für eine Art inneren Rückzug oder, im Gegenteil, sieht sich dem Tumult der Welt ausgesetzt.

Die Darstellung der menschlichen Figur wurde im vergangenen Jahrhundert immer wieder neu formuliert. Auch heute wird sie von Künstler·innen neu erfunden. Von Henri Matisses Porträts bis zu jenen von Nan Goldin erstreckt sich ein weites Spektrum künstlerischer Sensibilitäten, von der Suche nach der Harmonie bei ersterem bis hin zum Blick auf die Brüche im Privaten bei letzterer. Bei Fernand Léger und Kathia St. Hilaire wird die Figur zum Archetypen, stellvertretend für die Moderne beziehungsweise für die Kultur Haitis.

Im frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich auch eine intensive Beziehung zwischen Tanz und bildender Kunst. Auf das Ausloten der Möglichkeiten freier Bewegung im Raum in den neuen Formen des modernen Tanzes antworteten Bildhauer·innen mit Experimenten in der Darstellung des Körpers. Für zahlreiche moderne Künstler·innen wie zum Beispiel Rudolf Belling oder Alexander Archipenko war der bewegte Körper ein zentrales Motiv ihrer Untersuchungen. Archipenko entwickelte in den 1910er-Jahren einen auf einem dynamischen Dialog zwischen Figur und Raum basierenden Stil, der vom Rhythmus bestimmt wurde. Der Tanz steht auch in der zeitgenössischen Arbeit von Silke Otto-Knapp im Mittelpunkt, die diesem Spannungsverhältnis in ihrer Malerei einen besonderen Klang zu verleihen vermag.

Als Giorgio de Chirico 1915 in Ferrara die Bewegung der Pittura Metafisica gründete, versuchte er in seinen Bildern durch Erstarrung und Stille ins Innere der Welt vorzudringen. Dieser Rückzug aus dem lauten Durcheinander der Welt erfährt in der abstrakten Malerei von Helmut Federle eine spirituelle Dimension, geometrisch und flimmernd zugleich. Bei Rui Moreira hingegen zeigt sich das innere Leben als Gleichklang der Bewegung des Körpers und der geistigen Landschaft.

Demgegenüber steht das Getöse der Geschichte, das Ludwig Meidner und Otto Dix beschreiben. Beide den Avantgarden ihrer Zeit nahestehende Künstler sahen den Nationalismus in Europa heraufziehen, der eine vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der andere mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933 in Deutschland. Ihre hier gezeigten Arbeiten sind hellsichtige Blicke auf die kommenden Katastrophen. Die Trauerszene im Kosovo von Pascal Convert zeugt von der Wiederkehr des Krieges nach Europa am Ende der 1990er-Jahre. Sein universell gültiges Thema verleiht diesem Werk eine finstere Aktualität im Angesicht des jüngsten Krieges in der Ukraine.

Das grenzübergreifende Projekt Face-à-Face wird mit identischer Laufzeit im Mudam Luxemburg und im Saarlandmuseum gezeigt. Als Kontrapunkt des Dialogs zwischen den Werken moderner und zeitgenössischer Kunst aus beiden Sammlungen, der in Luxemburg stattfinden wird, werden ausgewählte Stücke aus der Mudam Sammlung in Deutschland gezeigt. Werke von Tania Bruguera, Günther Förg, Su-Mei Tse oder Blinky Palermo und anderen treten in spannungsreichen Dialog mit den Saarbrücker Beständen. Zudem werden raumgreifende mediale und installative Arbeiten der Luxemburger Sammlung von u.a. Eija-Liisa Ahtila, David Altmejd, Martha Atienza, Mel Chin bis hin zu Kara Walker in den weitläufigen Ausstellungssälen der Modernen Galerie präsentiert werden und das Spektrum der Gegenwartskunst in neuer Breite erfahrbar machen.


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Montag: 10:00 - 18:00 Uhr
Dienstag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter:  mudam.com