Wenn es um erfolgreiche Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in der Kunst geht, fällt schnell der Name Henri Rousseau. Mit seinen fantastischen Landschaften prägte er die moderne Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit. Bis heute untrennbar mit Rousseau verbunden ist sein als Beiname genutzter Beruf „Zöllner“. Hierüber wird suggeriert, er nehme als Autodidakt eine Sonderstellung in der Kunstgeschichte ein. Dass das beileibe nicht der Fall war, zeigt nach erster Station im Museum Frieder Burda in Baden-Baden nun auch vom 3. Dezember 2022 bis zum 12. März 2023 die Ausstellung „Die Maler des Heiligen Herzens“ im Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen. In diesem Kooperationsprojekt werden neben Rousseau vier weitere autodidaktische, künstlerische Positionen vorgestellt, die bereits im Jahr 1928 gemeinsam die „Maler der Heiligen Herzens“ bildeten und es verdienen, wieder gesehen zu werden.

Das beginnende 20. Jahrhundert mit seiner heterogenen Kunstszene und seinem weiten Horizont bot die besten Voraussetzungen für Autodidakten in die bis dato geschlossene Gesellschaft der Künstlerinnen und Künstler aufgenommen zu werden. Beispiele hierfür sind die Künstler André Bauchant, Camille Bombois, Henri Rousseau und Louis Vivin sowie die Künstlerin Séraphine Louis, die gemeinsam die „Maler des Heiligen Herzens“ bildeten. Dieser Begriff stammt von dem erfolgreichen deutschen Kunsthändler Wilhelm Uhde, der die Fünf 1928 in der Ausstellung „Les Peintres du coeur sacré“ in Paris vereinte.

Die Bilder der Ausstellenden waren motivisch und stilistisch grundlegend verschieden. André Bauchant fand seine Inspirationen in der griechischen Mythologie und der Antike, erneuerte die Historienmalerei mit seinem unkonventionellem, collageartigen Bildaufbau und seinen vereinfachten Figuren. Camille Bombois ließ mit prallen Körpern, intensiven Farben und einem feinsinnigen Bildaufbau Jahrmarktszenen, Landschaften und Menschen – vor allem Frauen – leuchten. Séraphine Louis erdachte in ihren Bildern fantastische Pflanzengebilde, die wegen ihrer ausufernden Maße und einer eigenwilligen Maltechnik eine nahezu psychedelische Wirkung ausüben. Henri Rousseau erschuf mit reduzierten Formen Landschaften; Urwälder, die in mannigfaltigen Grüntönen schimmern, (Alb)Träume, in denen Mensch, Tier und Natur in neuem Verhältnis zueinanderstehen. Louis Vivin baute mit seinem Pinsel und einer ausgeprägten Liebe zum Detail Strich für Strich Stadtansichten und Landschaften auf. Menschen spielen in seinen Bildern eine Nebenrolle, werden durch ihre unterproportionale Größe meist von den Architekturen verdrängt.

Uhde sah als Bindeglied ihrer Werke, dass sie nicht durch Kanon und Ausbildung beherrscht waren. Denn alle „Maler des Heiligen Herzen“ eigneten sich ihr künstlerisches Können nicht an einer Akademie, sondern im Eigenstudium an. Zum Broterwerb waren sie als Gärtner, Zöllner, Haushaltshilfe, Postbeamter oder Straßenarbeiter tätig. Uhde faszinierte an ihrer Kunst ein unverstellter Blick für das Wesentliche, mit dem die Autodidakten, so der Kunsthändler, die Menschen unmittelbar in ihren Herzen erreichten.

Bis heute bleibt jedoch oft unbeachtet und unerwähnt, dass autodidaktische Künstler und Künstlerinnen nicht naiv arbeiteten. Wie die Kunstwerke der Präsentation eindrücklich zeigen, waren sie technisch sowie formal geschult, kannten sich in und mit Kunst aus. Das nötige Wissen und die ausgereiften Fertigkeiten eigneten sie sich im jahrelangen Studium von Büchern, durch Museumsbesuche und mit eigenen Experimenten an. Vor allem die frühen Arbeiten von Henri Rousseau in der Präsentation widerlegen zudem die Vorstellung, dass es im Werk von autodidaktischen Künstlerinnen und Künstlern keinerlei Entwicklung gab. Seine in der Ausstellung präsentierten französischen Flusslandschaften etwa wirken wie Vorarbeiten seiner berühmten Dschungelbilder, indem Rousseau das Fantastische im Vertrauten betonte.

Bis auf Rousseau gerieten die Namen André Bauchant, Camille Bombois, Séraphine Louis und Louis Vivin trotz erfolgreicher Vermittlungen ihrer Kunstwerke an private und museale Sammlungen nahezu in Vergessenheit. Dem wird mit diesem Projekt entgegengewirkt, das nach 1928 die Kunstwerke der fünf „Maler des Heiligen Herzens“ in großem Umfang in den Mittelpunkt rückt und damit beweist, dass die Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch vergessene Geschichten in sich birgt, die es verdienen, neu erzählt zu werden.

Die Kunstwerke in der Ausstellung stammen bis auf eine Leihgabe aus der Sammlung von Charlotte Zander (1930-2014), die Kunst jenseits des systematisierten Kunstkanons in großer Fülle und Qualität sammelte. Weiterer Leihgeber ist das Städel Museum, Frankfurt.

Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Es ist ein gemeinsamer Katalog im Hatje Cantz Verlag erschienen. Der Buchhandel-Preis beträgt 48,00 Euro (35,00 Euro im Museumsshop des Paula Modersohn-Becker Museums).

Kuratiert wurde die Ausstellung von Udo Kittelmann (Museum Frieder Burda), Co-Kuratorin ist Dr. Henrike Hans (Museen Böttcherstraße).