Mit Schizo Sonics realisiert Nik Nowak im Kesselhaus des KINDL eine raumgreifende audiovisuelle Installation aus zwei soundgewaltigen Klangskulpturen, in denen er seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Phänomen von Klang als Waffe und Propagandamedium weiter vertieft: Panzer und The Mantis stehen sich im 20 Meter hohen Kesselhaus konfrontativ gegenüber und verweisen auf politische Stellvertreterkriege, die in unterschiedlichen Kontexten mit Klang geführt wurden – und noch immer werden.

Die insektoide Klangskulptur The Mantis (2019) bezieht sich auf den sogenannten Lautsprecherkrieg, der mit akustischen Mitteln von 1961 bis 1965 an der deutsch-deutschen Grenze geführt wurde. Nachdem die Regierung der DDR eine Rede von Konrad Adenauer am Brandenburger Tor mittels Lautsprecherdurchsagen und Musikbeschallung über die Mauer hinweg empfindlich gestört hatte, wurde vom West-Berliner Senat in Zusammenarbeit mit dem RIAS und mit Unterstützung der USA das „Studio am Stacheldraht“ gegründet – eine mobile Einheit aus LKW und VW-Bussen, die die Grenzer im Osten über neueste Lautsprecheranlagen mit Nachrichten und moralischen Appellen beschallten. Am Tag der Republik, dem 16. Jahrestag der DDR, endete der Lautsprecherkrieg beiderseits. Nach wie vor werden mobile Soundanlagen zum Zwecke der Propaganda und psychologischen Kriegsführung eingesetzt, so zum Bespiel an der Militärischen Demarkationslinie, der Grenze zwischen Nord- und Südkorea.

Panzer (2011) ist in Form und Funktion angelehnt an jamaikanische Reggae-Soundsysteme – gigantische Lautsprecherwände mit mächtigen Bass-Membranen, die Klang nicht nur akustisch, sondern auch körperlich erfahrbar machen. In „Soundclashes“ treten die Musiker*innen mit ihren Soundsystemen gegeneinander an und machen sich dabei die basslastigen Klänge von Dub und Dub-Reggae zunutze. Das musikalische Phänomen der Soundsysteme wurde in den 1970er Jahren zunehmend von den rivalisierenden politischen Parteien Jamaicas instrumentalisiert: auf der einen Seite die Cuba-nahe, sozialistische PNP, auf der anderen Seite die konservative JLP, der eine Nähe zur CIA nachgesagt wird. Durch die Politisierung der Soundsysteme und ihres Umfelds entwickelten sich diese Wettkämpfe zu einem ideologisch geprägten Stellvertreterkrieg im Sinne des Kalten Krieges, der in destabilisierenden Straßenschlachten gipfelte.

In seiner Installation im Kesselhaus stellt Nik Nowak die beiden Klangskulpturen in einer grenzähnlichen Situation gegenüber, um die unterschiedlichen historischen, politischen und kulturellen Diskurse miteinander in Beziehung zu setzen. In dem speziell für Schizo Sonics produzierten, etwa 40-minütigen Hörstück verbinden sich in vier Episoden narrative Elemente und historische Originaltöne – darunter aus dem Studio am Stacheldraht – mit referentiellen Klängen wie Naturgeräuschen und einer physisch spürbaren Basslinie zu einer komplexen Komposition, dem Klang einer ideologischen Spaltung.

Nik Nowak (*1981 in Mainz, lebt in Berlin) ist Künstler und Musiker und beschäftigt sich auch wissenschaftlich und kuratorisch mit dem Phänomen der mobilen Soundsysteme. Mit seinen audiovisuellen Performances ist er weltweit auf etablierten Festivals für Kunst und elektronische Musik zu Gast. Seine Arbeiten wurden u. a. in der Städtischen Galerie Wolfsburg (2019), der Philharmonie de Paris (2017), der Berlinischen Galerie (2016) sowie im Hartware MedienKunstVerein Dortmund und dem Marta Herford (beide 2015) präsentiert.


Öffnungszeiten:
Mittwoch: 12:00 - 20:00 Uhr
Donnerstag - Sonntag: 12:00 - 18:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: kindl-berlin.de

13.09.2020 - 16.05.2021

Nik Nowak: Schizo Sonics

KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst

Am Sudhaus 3
12053 Berlin