Die Ausstellung Merge des 1982 geborenen Simon Denny resultiert aus der langjährigen Auseinandersetzung des Künstlers mit unterschiedlichen Technologien und Politiken des Extraktivismus, des Abbaus und der Monetarisierung von Rohstoffen. Das Projekt erforscht die vermeintliche Logik der Ökonomien, die weltweit Bildschirme leuchten und Computer rechnen, Autos fahren und Messen Handel treiben lassen. Welche Mechanismen und Denkweisen prägen die globalen On- und Offline-Industrien, die über den Verbrauch der natürlichen Welt ebenso wie über postkoloniale Machtverhältnisse bestimmen? Dabei schwebt bei Denny immer die Frage mit, wie durch die Nutzung des Internets alternative Modelle generiert werden können. Das Projekt ist Teil einer Ausstellungsreihe im Heidelberger Kunstverein, die im Juni mit Alice Creischer begann und im kommenden Jahr mit Marwa Arsanios fortgesetzt wird.

Auftakt zu Simon Dennys Merge ist eine riesige Bodengrafik in der Halle des HDKV, die die Oberfläche des australischen Brettspielklassikers „Squatter“ zeigt und an die erlebnisorientierte Ausstellungsgestaltung von Technikmuseen erinnert. Während es den Spieler:innen bei „Monopoly“ erlaubt ist, sich als Immobilien-Tycoons zu imaginieren, macht „Squatter“ sie zu Schafzüchtern, die um Weidegrund, Herdengröße und Wollabsatz konkurrieren. Das Spiel reflektiert nicht nur die Geschichte der Besiedlung Australiens und Neuseelands, sondern nimmt Bezug auf eine archetypische, noch eng mit physischer Arbeit verknüpfte Form des Extraktivismus. Auf dieser sowohl ästhetisch als auch thematisch entscheidenden Folie verteilt Denny eine Reihe von großformatigen Skulpturen, die aus stabiler Wabenpappe konstruiert wurden. Die Stücke basieren auf Darstellungen moderner halb- oder vollautomatischer Maschinen und Technologien aus den Bereichen Bergbau, Geodaten-Extraktion und Produktivitätsmanagement. Der gesteinsbrechende Hydraulikhammer von Transmin, der Geodaten sammelnde Satellit des US-Riesen DigitalGlobe, der Bohrgeräte-Simulator von Marktführer Epiroc und ein biometrische Smartband zur Überwachung von Ermüdung am Arbeitsplatz erscheinen auf dem farbigen „Squatter“-Spielfeld wie ein schräger Technopark. Ihren ursprünglichen Industrie-Look ließ Denny von dem Spieledesigner Paul Riebe in eine dystopische Gaming-Ästhetik übertragen. Das passt zum einen, weil einige der dargestellten Apparate in der Realität bis zum Rand mit digitaler Smartpower gefüllte Hightech-Roboter sind, die vom Arbeiter wie Computerspiele angesteuert werden. So etwa der Epiroc-Simulator, der im begleitenden PromoVideo als gutmütiger Transformer animiert wird. Zum anderen ist Dennys Vorgehensweise naheliegend, weil wir uns bei längerer Betrachtung die Frage stellen müssen, inwieweit all diese Maschinen nicht einfach große Spielzeuge sind, entwickelt von zockenden Männern, die den Planeten als überdimensionalen Sandkasten imaginieren. Denn die teilweise verheerenden ökologischen Folgen, die politischen Verflechtungen, die zum Tragen kommen, wenn es um das Erteilen von Genehmigungen und um die Umgehung unbequemer Regularien geht, sowie die nicht selten menschenverachtenden Praktiken gegenüber lokalen Belegschaften – insbesondere solchen des Globalen Südens – gehören zur Signatur des Extraktivismus. Deswegen lud Denny auch die Gerichtszeichnerin Sharan Gordon ein, begleitend zu jeder der Maschinen bzw. zu jedem der dahinterstehenden Konzerne eine Reihe authentisch anmutender Gerichtssaal-Zeichnungen anzufertigen, die reale Personen – CEOs und Führungskader – während fiktiver Rechenschaftspflicht-Prozesse zeigen.

Einige der Skulpturen in der Ausstellung dienen zugleich der an einen Messestand erinnernden Präsentation des von Denny gemeinsam mit Boaz Levin entwickelten Brettspiels „Extractor“. Während „Squatter“ die Spieler:innen noch zu braven Schafzüchter:innen machte, werden sie in „Extractor“ zu Manager:innen datenorientierter Unternehmen. Sie lernen, Big Data aus Online-Aktivitäten zu extrahieren und zu monetarisieren. Oder sie müssen lästige Auflagen wie Kohlenstoffsteuern umgehen. So vermittelt das Spiel nicht nur grundlegende Mechanismen des digitalen „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff, 2018), sondern zeigt Extraktivismus als vorherrschendes Prinzip aktueller Politik: Nur wer stets das Maximum materieller wie immaterieller Ressourcen aus sich, den anderen und der Umwelt „herausholt“ – bereits in diesem Verb wird der extraktivistische Charakter deutlich –, gewinnt.

Die Vorstellung von Extraktivismus als ein alle gesellschaftliche Bereiche und Beziehungen prägendes Prinzip wird im Obergeschoss des Kunstvereins durch die Bezugnahme auf das Schürfen oder „Abbauen“ – eine erneute sprachliche Referenz auf den Extraktivismus – von Kryptowährungen fortgeführt. Die Objekte der Reihe Centralization vs Decentralization hardware display sind komplett funktionsfähige Mining-Rigs. Während der Ausstellung werden sie aktiv in digitale Schürfprozesse eingebunden. Zugleich handelt es sich um Werke bildender Kunst. Zusätzlich zu den Stafetten an Grafikkarten, die für die Blockchain-Infrastrukturen eines dezentralen Webs notwendig waren und weitestgehend noch sind, montiert Denny Komponenten wie bedruckte Brettspiele oder Reddit-Fan-Art auf ausrangierte Gehäuseteile, die für zentrale Großrechner-Anlagen verwendet werden. Letztere repräsentieren genau jene Ordnung, die Verfechter:innen dezentraler Blockchain-Systeme brechen wollen.

Wenn Denny also Komponenten herkömmlicher Systeme mit deren Antithese collagiert, ist das kein ausschließlich formaler Kniff, sondern der Künstler nimmt Bezug auf Auseinandersetzungen, die rund um die Machtverteilung im Web stattfinden. Dabei geht es um die Forderung nach einem demokratischen Internet, dessen Steuerung nicht mehr in den Händen weniger GAFA-Giganten – Google, Apple, Facebook, Amazon – liegt.

Der Ausstellungstitel Merge spielt auf das langersehnte und kürzlich realisierte Merge des Ethereum-Netzwerks mit dem Proof-of-Stake(PoS)-Konsens-Algorithmus an. Zuvor dominierte das durch Bitcoin bekannt gemachte Proof-of-Work-Verfahren zur Validierung virtueller Transaktionen, das massive Mengen an Energie verbraucht. Bei PoS ist nicht mehr die Rechenleistung der Miner und extra Hardware ausschlaggebend, sondern der Anteil der Coins. So wird der Merge den Energieverbrauch drastisch um 99,95 % senken. Durch die Art und Weise, in der Denny Technologie interpretiert, wirft er immer die essenzielle Frage auf, wie wir unsere Welt und unser Leben gestalten wollen.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: hdkv.de

05.11.2022 - 08.01.2023

Simon Denny: Merge

Heidelberger Kunstverein

Hauptstraße 97
69117 Heidelberg