Die Berliner Künstlerin Susanne Kutter kombiniert ältere Arbeiten – Objekte, Videos, Leuchtschriften und Rußbilder - mit einer neuen Medieninstallation. Im Obergeschoss zeigt sie an der Stirnwand ein Video, dessen Grundidee auf einer Alltagsbeobachtung beruht. Jeden Abend vor Ladenschluss wird in Juweliergeschäften der Schmuck aus dem Schaufenster entfernt und über Nacht im Safe eingeschlossen. Eine gekonnt ausgeleuchtete, irreal erscheinende Szenerie bleibt zurück, die sie als Skulpturenlandschaft im Verhältnis 10:1 nachbaut. Betrachter*innen werden zu verkleinerten Protagonisten einer monströsen Kulisse.

Susanne Kutter über ihre künstlerische Arbeit
Inhaltlich setze ich mich immer wieder mit dem Verhältnis von Natur und Kultur auseinander. In diesem Zusammenhang interessieren mich vor allem Naturkatastrophen. Die Natur erobert sich zunehmend den vom Menschen geschaffenen Kulturraum zurück und zerstört ihn.
Ein wesentliches Merkmal meiner Arbeit ist außerdem die Beschäftigung mit dem Phänomen Raum. Ich verfolge damit ein fundamentales, bildhauerisches Interesse. In teilweise aufwendigen, bühnenhaften Versuchsanordnungen inszeniere ich vermeintlich sichere (Wohn-)Räume, die von physikalischen, natürlichen Kräften zerstört werden. Die Arbeiten erzählen von der Überlegenheit der Natur gegenüber dem menschlichen Bestreben nach Konnuität und Sicherheit und richten den Fokus auf das mitunter dramatische Moment der Veränderung eines scheinbar stabilen Gefüges.
Bei dieser Arbeitsweise spielt der Zufall eine bedeutende Rolle. Durch die experimentelle Inszenierung der Zerstörung entwickeln sich Bilder von eigentümlicher Poesie und Komik. Die Konfrontation von Gegensätzen wie beispielsweise ein bürgerliches Wohnzimmer in einem Schwimmbecken zu fluten, erzeugt ironische Distanz und Ambivalenz. Aufgrund dieser Mehrdeutigkeit entziehen sich die Geschehnisse einer einseitigen, subjektiven und intentionalen Bewertung. Um diese Distanz noch zu verstärken, verwende ich als filmisches Stilmittel gern eine statische Kameraperspektive und fixiere die Blende. Der Blick des Betrachters wird auf diese Weise der Subjektivität enthoben und dem technischen Blick eines Objektivs gleichgesetzt.

Die Arbeiten reflektieren auch den stetigen Verlust privater Sicherheit und Kontrolle des Individuums. Sie thematisieren fortschreitende Veränderungen intimer Beziehungsgefüge und die Veränderung der Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft, auch das Verschwinden einer bürgerlichen Mittelschicht, die von Werten wie Kultur, Bildung, Wohlstand und Tradition geprägt wurde. Immer wieder werden Zerstörung, Bedrohung, Verlust und Desillusionierung thematisiert. Bestehende Ordnungen werden dabei hinterfragt und kehren sich um. Der Betrachtungsweise dieser Veränderungsprozesse liegt eine lustvolle, fast naive Neugier auf etwas Neues und Unvorhersehbares zugrunde. Das Experimentierfeld meiner Arbeiten gleicht teilweise einem Spielplatz für rebellierende Jugendliche, nichts bleibt an seinem vorbestimmten Platz. Es wird gezündelt, geflutet, aufgewirbelt, umgeworfen, zerquetscht, in Unordnung gebracht und auf den Kopf gestellt. Das Chaos entwirft eine neue, kreative Ordnung und folgt so dem Kreislauf der Natur, in dem alles einer stetigen Veränderung unterworfen ist.

Susanne Kutter wurde 1971 in der DDR geboren und floh 1982 mit ihrer Familie in die BRD. Seit 2002 lebt sie mit ihrer Familie in Berlin. Sie hat an der Kunstakademie Münster bei Paul Isenrath und Guillaume Bijl studiert und erhielt verschiedene Preise und Stipendien (u.a. Kunstpreis des Westfälischen Kunstvereins, Stipendium des Landes NRW Cité des Arts Paris, DAAD Aufenthaltssstpendium New York, Barkenhoff-Stipendium des Landes Niedersachsen, mehrmalige Projekförderungen der Film- und Medienstiftung NRW, Arbeitsstipendium und Projektstipendium des Kunstfonds Bonn). Es folgten verschiedene Einzelpräsentationen (u.a. Kunstmuseum Stuttgart, Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, Herbert-Gerisch Stiftung Neumünster, Centro per l‘Arte Contemporanea Rom, Marburger Kunstverein), außerdem zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen (u.a. ZKM Karlsruhe, MoCP Chicago, Kunsthalle Baden-Baden, CCA Glasgow, Museum Marta Herford, NCCA Moskau, Kunsthalle Wilhelmshaven, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Kunstmuseum Bonn, 47. Oktober Salon Belgrad, Museum im Kulturspeicher Würzburg, Westfälischer Kunstverein, Kunstmuseum Mühlheim an der Ruhr; Goethe Institut Washington, Max-Pechstein-Museum Zwickau, Museo d’Arte Contemporanea Lissone, Museum für Kunst- und Gewerbe, Hamburg). Susanne Kutter unterrichtete an der UdK Berlin, der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und an der Bauhaus-Universität Weimar.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Sonntag: 11:00 - 17:00 Uhr
Mittwoch: 11:00 - 20:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: marburger-kunstverein.de

08.10. - 18.11.2021

Susanne Kutter: Stille im Auge des Zyklons

Marburger Kunstverein

Gerhard-Jahn-Platz 5
35037 Marburg