Die Einzelausstellung Standard_Deviation von Rana Hamadeh vom 5. Mai - 18. Juni 2023 ist das zweite Kapitel aus dem dreiteiligen Projekt Das Theater in jede*m von uns (17.02 - 30.06.2023), in dem der Kunstverein Arnsberg erforscht und erprobt, wie Prozesse und Räume des Theaters in bildender Kunst, als auch in unserem Alltag eine Form finden.

Die Ausstellung zeigt Hamadehs 3-D-Animationsfilm- Installation Standard_Deviation (2021-fortlaufend), eine 22-minütige, geloopte Projektion, die von einer immersiven und kakophonischen Sound- und Medien-Installation begleitet wird. In den anderen vier Räumen des KV Arnsberg präsentiert Hamadeh neue Studien für eine Serie von kartographisch-skulpturalen Ablegern des Animationsfilms. Diese zeichnen die verschiedenen narrativen, poetischen und szenografischen Ebenen des ausgestellten Films nach und ermöglichen nicht nur eine andere Art der Auseinandersetzung mit dessen Inhalt, sondern verwandeln dessen dicht kodierte Bilder, Räume und Motive in autonome Akteure, die sich von der Montage des Films verselbständigen.

Rana Hamadehs Praxis verwischt die Grenzen zwischen Kunst, Theater und Ausstellungsmachen. Ihre oft über Jahre produzierten Arbeiten entwickeln sich in aufeinanderfolgenden Kapiteln und manifestieren sich als groß angelegte Klangkompositionen mit komplexen Netzwerkdesigns, maschinellen Interaktionen, audiovisuellen Installationen, kartografische Arbeiten, Texte und pädagogische Setups.

Ihre Arbeiten durchdenken die Infrastrukturen und Technologien der Justiz  - linguistisch, performativ und juristisch - und verstehen Recht durch die Modalitäten des Spektakels. Für Das Theater in jede*m von uns interessierte sich der KV Arnsberg besonders für Hamadehs künstlerisches Verständnis von Theater als Form.

In ihrer Serie Standard_Deviation unternimmt Hamadeh einen Exkurs durch Sophokles‘ berühmte Tragödie Ödipus Rex. Die Arbeit bietet keine Nacherzählung des erschütternden Unglücks von Ödipus, dem König von Theben, dessen schwere Reise sich auf dem Höhepunkt des Schwarzen Todes, - der Pest abspielt. Sie bietet Lesarten von Sophokles‘ Stück selbst an und dessen Darstellung der Tragödie als „Maschine mund Technologie des Aushaltens“. Diese Edition des Films im KV Arnsberg wurde in Zusammenarbeit mit Sara Hamadeh realisiert.

Mit seinem unheimlichen visuellen und akustischen Geflecht zeichnet der Film die Leidenswege und die emotionalen Abgründe nach, die sich in der ursprünglichen Tragödie entfalten. Er folgt den Höhen und Tiefen, der Anspannung und Unruhen, seiner Dramatik, der Figurenabfolge und den psychologischen Verstrickungen. Von Träumen über Trance und Horror bis hin zu phantasmagorischen Tableaux vivants erinnert die Optik vor allem an geschnittene Szenen in einem Computerspiel. Die Szenarien sind ebenso traumhaft wie bedrohlich, während die Handlung von Zahnrädern, Prothesen und Organen angetrieben wird.

Ständig mutierende Figuren wie das Bein, die Garnele, die Holzstühle, das Papierflugzeug und der Verkehrskegel wandern durch Bühnenbilder, die von Anatomietheatern inspiriert sind. Ständig entfaltet sich ein Theater aus dem anderen. Das Jonglieren mit fantastischen Bildern wird von einer kakophonischen und verwirrenden Sechs-Kanal-Komposition begleitet, die für die Ausstellung in den Raum übertragen wurde. Der Klang verstärkt sich konstant. Einfache stereoskopische Betrachtungsapparate, die Szenen aus dem Video zeigen, kontrastieren den technischen Charakter der audiovisuellen Installation. In gleicher Weise ermöglicht eine Landkarte der digitalen Infrastruktur des Films dem Betrachter einen Backstage-Zugang zu den Kulissen.

Aus Hamadehs Lektüre der Tragödie von Sophokles ergeben sich aktuelle Fragen zu den Verstrickungen von Begehren, Schicksal, Technologie und den Ökonomien der Reproduktion. In dem Bemühen, darüber nachzudenken, was eine zeitgenössische Tragödie ausmacht, fragt Hamadeh, wie wir - in einer hyperdigitalisierten Gesellschaft- „anders begehren“ können? Und welche Technologien können wir entwickeln, um einen solchen Wunsch nach einem „anderen Begehren“ zu ermöglichen?

Rana Hamadeh lebt und arbeitet in Rotterdam. Einige ihrer jüngsten Einzelausstellungen waren 2022 Edith Russ Haus, Oldenburg, 2021 Wiener Secession; 2019 Kunsthalle Winterthur; 2017 Witte de With Center for Contemporary Art (momentan Kunstinstituut Melly), Rotterdam; 2016 The Showroom, London; 2015 Nottingham Contemporary. Im Jahr 2017 wurde sie mit dem niederländischen Prix de Rome ausgezeichnet. 2021 war sie Preisträgerin des Stipendiums der Niedersächsischen Stiftung für Medienkunst am Edith-Russ-Haus.


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Freitag: 17:30 - 19:00 Uhr
Sonntag: 11:00 - 15:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: kunstverein-arnsberg.de

Produktionsstill aus The Destiny Project work-in-progress © Rana Hamadeh 2020
05.05. - 18.06.2023

Rana Hamadeh: Standard_Deviation

Kunstverein Arnsberg e.V.

Königstraße 24
59821 Arnsberg