James Ensor (1860–1949) ist ein Künstler, der fasziniert. Er lässt uns staunen, bewundern, schaudern, nachdenken, entdecken, fragen und lachen. Ensor zählt zu den Wegbereitern der Moderne und übt mit den bekannten expressiven Maskenmotiven und seinen zahlreichen anderen Bildthemen bis heute eine große Anziehungskraft aus – auf das Kunstpublikum ebenso wie auf Künstlerinnen und Künstler. Seine Kunst ist zeitlos. Die facettenreiche, oftmals ironische Kunst widersetzt sich einer Zuordnung zu den
-Ismen des 19. und 20. Jahrhunderts. Lediglich einzelne Werke und Werkgruppen weisen realistische, impressionistische oder symbolistische Eigenschaften in stilistischer oder motivischer Hinsicht auf. 

„Die Zukunft gehört den Einzelgängern!“ So endet ein Text Ensors, in dem er die Individualität des Künstlers und deren Notwendigkeit für die Kunst hervorhebt. Es könnte gleichzeitig sein retrospektiver Leitspruch sein. Ensor, der immer um die Anerkennung seiner künstlerischen Errungenschaften besorgt war, wusste im Grunde ganz genau, welchen künstlerischen Weg er gehen wollte. Seine Bildwelten sind privat und allgemeingültig, leise und laut, sanft und tosend. Paul Klee (1879–1940) bemerkte lakonisch: „Sonderegger hat mich mit diesem Ensor bekannt gemacht. Es musste ja so etwas geben.“

Ensors Werke zeugen von seiner Virtuosität, seiner Vorstellungskraft, seinem Willen zur Erneuerung, seiner Selbstreflexion und seiner Freude am Experiment. Rund 900 Gemälde, 133 Radierungen, einige Lithografien sowie etwa 4000 Zeichnungen entstanden in Ensors 60 Schaffensjahren. Ab Mitte der 1880er Jahre beschäftigte er sich mit dem Medium der Radierung. Er schätzte die im Vergleich zur Malerei höhere Beständigkeit. Es existieren 133 Drucke, darunter 117 Radierungen, 14 Kaltnadelradierungen, eine Weichgrundätzung und einige Lithografien. Die Radierungen auf Zink- und Kupferplatten entstanden in zwei Phasen: zwischen 1886 und 1889 sowie zwischen 1895 und 1899. Zahlreiche Radierungen wurden zu Lebzeiten mehrmals gedruckt, auch in verschiedenen Stadien und zum Teil auf unterschiedliche Papiertypen. Die wenigen druckgraphischen Verfahren, die bei Ensor zur Anwendung kamen, lotete er in all ihren Möglichkeiten aus. Das druckgraphische Œuvre weist eine bemerkenswerte Stilvielfalt auf. Nach 1900 ließ er weiterhin Drucke von den älteren Platten anfertigen, die häufig koloriert wurden – eine Praxis, die er seit seiner ersten Radierung anwandte. Hierfür nutzte er die Materialien Farbstift, Aquarell und Gouache nicht nur einzeln, sondern auch in Kombination. Die Wechselwirkungen in den unterschiedlichen Bildmedien Gemälde, Zeichnung und Druckgraphik sind enorm. Ensor schuf Radierungen nach Zeichnungen und nach Gemälden, gleichermaßen entstanden aber auch Bleistiftzeichnungen oder Gemälde nach Radierungen. In den Farbzeichnungen und kolorierten Radierungen ebenso wie in einzelnen Gemälden treffen sich der Maler und der Zeichner James Ensor. Er wiederholte bereits genutzte Kompositionen in neuen Medien, wobei ihm seine eigene Kunst immer wieder als Motivfundus diente, indem er alte Motive überarbeitete oder sie anders gestaltete, um dadurch ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern.

In Ensors Heimatstadt Ostende entstand in den letzten 20 Jahren eine umfangreiche Privatsammlung mit einem Schwerpunkt auf den Radierungen. Die Sammlung Deckers, die auch viele handkolorierte Exemplare beinhaltet, wird in dieser Ausstellung erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. In der Ausstellung auf zwei Etagen im Kunstmuseum Reutlingen | Spendhaus sind 100 Radierungen zu sehen, davon 20 handkolorierte Exemplare, zudem über 20 Lithografien, ein Gemälde und zwei Briefe. Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern thematisch konzipiert und gibt Einblick in den gesamtes Motivkosmos James Ensor – von Werken mit christlicher Bildthematik, über Landschaften und Stadtansichten, Selbstporträts, Genredarstellungen, Werke aus den Themenbereichen Theater, Tanz und Karneval, Maskenbilder, Liebesgärten, Literaturdarstellungen, und seine makabren und grotesken Bildspiele, für die er noch heute bekannt ist.

Zur Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog (deutsch/englisch) im Wienand Verlag erschienen, den wir auf Wunsch zur Verfügung stellen.


Öffnungszeiten:
Mittwoch, Samstag, Sonntag (Feiertag): 11:00 - 18:00 Uhr
Donnerstag - Freitag: 14:00 - 20:00 Uhr
Montag - Dienstag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: kunstmuseum-reutlingen.de

Ausstellungsplakat „James Ensor. Das druckgraphische Werk aus der Sammlung Deckers“, Kunstmuseum Reutlingen | Spendhaus. Gestaltung: Studio Pandan.
04.02. - 25.06.2023

James Ensor: Das druckgraphische Werk aus der Sammlung Deckers

Kunstmuseum Reutlingen | Spendhaus

Spendhausstraße 4
72764 Reutlingen