Die Einzelausstellung der Künstlerin Chan Sook Choi mit dem Titel a sunlit site, humid and warm [ein sonniger Ort, feucht und warm] findet ihren Ausgangspunkt im südkoreanischen
Dorf Yangji-ri. Yangji-ri ist eine von insgesamt 112 Minbuk-Siedlungen, die staatlich geplant und in unmittelbarer Nähe zur demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea errichtet wurden. Bereits in den 1960er Jahren hat die südkoreanische Regierung Maßnahmen zur Umsiedlung von Menschen in diese stark kontrollierten Gebiete ergriffen, die in den 1970er Jahren intensiviert wurden. Infolgedessen leben heute in den Minbuk-Dörfern über Generationen Menschen zusammen, die im Laufe der Zeit gemeinsam spezifische soziale Ordnungen und Traditionen geschaffen haben.
In Yangji-ri hat sich die Künstlerin mit den Biografien und Geschichten der Bewohner:innen befasst. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung sind mehrere Arbeiten entstanden – neben den Arbeiten 60Ho und Artificial Sun auch das Yangji-ri Archiv, das anhand von Erinnerungen und persönlichen Narrativen die Vergangenheit und Gegenwart des Dorfes kreuzt und die Gemeinschaft abbildet, die hier zusammenlebt. Künstlerisch forschend untersucht Choi in ihrer Arbeit das Verhältnis von Menschen zu den Orten, die sie bewohnen. Gleichzeitig fokussiert sie sich auf ein wiederkehrendes Thema: die Frage, wie Besitzansprüche auf Land definiert werden. Vor dem Hintergrund des bis 2008 wirksamen Hoju-Systems ist diese Frage auch in Yangji-ri grundlegend. Denn durch dieses Rechtssystem, das alle Besitzansprüche entlang männlicher Erblinien regelte, hatten Witwen in den Minbuk-Dörfern keinen Zugang zu dem Land, das sie teilweise jahrzehntelang bewirtschaftet haben. Auf dieser Grundlage wurden und werden sie bis heute in ein gesellschaftliches Schattendasein gedrängt.
In der Arbeit qbit to adam greift Chan Sook Choi die oben genannte Fragestellung auf und untersucht anhand der weltweit größten Kupfermine Chuquicamata in den nordchilenischen Anden die Art und Weise, wie Land von Staaten, Konzernen und Einzelpersonen besetzt und in Besitz genommen wird. Dabei beleuchtet sie auch die Geschichte von Menschen, die durch solche Machtdynamiken aus ihrem Lebensumfeld vertrieben wurden und reflektiert somit den Zusammenhang von Geschichte, Besitz und Macht. Denn diese globalen Dynamiken lassen sich häufig bis ins Lokale zurückführen und zeigen, wie beeinflusst selbst kleine Orte und individuelle Lebensrealitäten von den Wirkmächten sind, die sich um sie herum entfalten. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Besitz eine rein juristische Kategorie ist oder auch durch emotionale und gelebte Beziehungen zu einem Ort manifestiert werden kann.
Der Titel der Ausstellung setzt sich aus der Übersetzung des Wortes Yangji-ri, was „sonniger Ort“ oder „sonnenbeschienene Stelle“ bedeutet, und den klimatischen Bedingungen zusammen, mit denen die Gangwon-do-Region, in der Yangji-ri liegt, beschrieben wird. Gleichzeitig eröffnen die Beschreibungen „feucht und warm“ eine körperliche Dimension, der Intimität und Fragilität innewohnt. Damit beschreibt der Titel die Unmöglichkeit, einen Ort zu beschreiben, ohne die vielschichtigen historischen, sozialen und (gesellschafts-)politischen Fragestellungen, die sich hier kumulieren, zu berücksichtigen.
Die Ausstellung ist kuratiert von Vincent Schier.
Chan Sook Choi (* KR) lebt und arbeitet in Deutschland und Korea. Sie hatte bereits Einzelausstellungen im Humboldt Forum, Berlin (2017), im Art Sonje Center Project Space, Seoul (2017) und im Taipei Digital Art Center (2010). Außerdem wurde sie in das Förderprogramm für aufstrebende Künstler:innen des Seoul Museum of Art aufgenommen (2017) und erhielt den VH Award der Hyundai Motor Group (2019) sowie einen Förderpreis für visuelle Kunst der deutschen Stiftung Kunstfond (2021). Ihre Arbeiten wurden unter anderem bei einer Performance des National Theater of Korea in Seoul (2013/2014) und beim Festival Ars Electronica (2019) sowie im Kunstmuseum Wolfsburg (2022) präsentiert. Im Jahr 2021 erhielt sie den Korea Artist Prize, der vom National Museum of Modern and Contemporary Art, Korea (MMCA) und der SBS Culture Foundation verliehen wird.
www.chansookchoi.com
Am Deich 68/69
28199 Bremen