Ab Freitag, 7. Oktober, widmet sich das Günter Grass-Haus in Kooperation mit der Völkerkundesammlung Lübeck mit einer Sonderausstellung dem Subkontinent Indien, der Günter Grass nach seinen Reisen dorthin zu einigen Werken inspiriert hat. Seine Texte und Zeichnungen zum Thema Indien haben in Ausstellungen und in der Forschung bisher verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ein Grund hierfür mag die Kontroverse sein, die sich um seine Werke entspannte. Zweifellos entwirft er ein düsteres Bild Indiens. Vor dem Hintergrund der Geschichte des Kolonialismus fragten sich manche, ob Grass als Europäer das Recht hatte, ein so kritisches Werk zu verfassen. Eine Frage, die angesichts jüngster Debatten um Karl May und „Cancel Culture“ von größter Aktualität erscheint. Umso wichtiger ist es den Kuratoren, Dr. Jörg-Philipp Thomsa vom Günter Grass-Haus und Dr. Lars Frühsorge von der Lübecker Völkerkundesammlung, das Thema nun in der Schau „Indienbilder – von Mutter Teresa bis Günter Grass“ aufzugreifen. Die Ausstellung ist bis 15. Februar zu sehen. Die mehr als vierzig Bilder von Günter Grass sowie einige seiner Manuskripte werden ergänzt von knapp zwanzig indischen Objekten der Völkerkundesammlung.

Was ist Indien? Zahllose Antworten auf diese Frage sind denkbar angesichts der Vielfalt an Sprachen, Ethnien und Glaubensgemeinschaften und der ebenso komplizierten Geschichte des Subkontinents, der als Kulturraum auch Pakistan, Bangladesch und Nepal umfasst. Die heutige Vorstellung einer indischen Nation ist im Wesentlichen das Resultat der britischen Kolonisation, die dieses Gebiet erstmalig politisch vereinte. So sind in der Kolonialzeit geschaffene Strukturen für das heutige Selbstverständnis Indiens von großer Bedeutung. Gleichsam besteht jedoch der Wille, sich von der traumatischen Erfahrung der jahrhundertelangen Unterdrückung, Ausbeutung und Bevormundung durch Europa abzugrenzen. Ökonomische und politische Ungleichheiten und Abhängigkeiten bleiben aber bis heute bestehen. Europäische Fremdwahrnehmung und indische Selbstbilder stehen daher stets in einem Spannungsverhältnis. 

Indien kann auch überfordern. Europäische Versuche, diese Vielfalt zu beschreiben, ihr literarisch oder künstlerisch gerecht zu werden, sind immer wieder an ihrer Einseitigkeit gescheitert. Nicht selten diente Indien als bloße Projektionsfläche europäischer Fantasien und Vorurteile. Auch die Werke von Günter Grass sind als einseitig, ja sogar als neokolonial-arrogante Belehrung der Menschen in Indien aufgefasst worden. Verortet man Grass‘ Werk jedoch in einem breiteren Kontext seines literarischen und künstlerischen Schaffens, vergleicht man es mit der Art, wie er sich mit seinem eigenen Land stets kritisch auseinandersetzte, wird das Urteil differenzierter ausfallen.  

Diese Ausstellung ist als Kooperation des Günter Grass-Hauses mit der Völkerkundesammlung der Hansestadt Lübeck entstanden. Prof. Dr. Hans Wißkirchen, der Leitende Direktor der LÜBECKER MUSEEN, erklärt: „Die Ausstellung trägt dazu bei, das Bild Indiens im Werk von Günter Grass, aber auch unsere eigenen Indienbilder kritisch zu hinterfragen. Wir wollen den historischen Wurzeln von Motiven und Ideen nachspüren, die die Vorstellungen von Indien in Deutschland bis heute prägen. Die Objekte der Völkerkundesammlung ergänzen und visualisieren den literarischen Blick auf den Subkontinent perfekt. Ich freue mich, dass eine weitere Kooperation zweier Häuser des Lübecker Museumsverbundes diese vielschichtige Betrachtungsweise möglich macht.“

Dr. Jörg-Philipp Thomsa, der Leiter des Günter Grass-Hauses, ergänzt: „Ich freue mich sehr über die gute und sehr anregende Zusammenarbeit mit Dr. Lars Frühsorge und seinen Mitarbeiter:innen aus der Völkerkundesammlung. Seitens des Günter Grass-Hauses möchte ich der Gestalterin Franka Frey, der Kuratorin Julia Wittmer und ganz besonders unserer FSJlerin Marie Bahr und den Praktikantinnen Lea Martens und Janne Beck danken, die diese Ausstellung mit größtem Engagement ermöglicht haben.“

Als besonderes Highlight der Ausstellung gilt eine Bollywood-Tanzstation, bei der mit Hilfe von künstlicher Intelligenz getanzt werden kann. Die Bewegungen werden in Form von Avataren an eine Wand projiziert. Die Avatare wurden von der Künstlerin Pola Rader gestaltet, die mit dem IT-Systemarchitekten Dirk Hoffmeister in einem Crossover zwischen Medien und kybernetischer Kunst kooperiert. 


Öffnungszeiten:
01.04.-31.12.
Dienstag - Sonntag: 10:00 - 17:00 Uhr

01.01.-31.03.
Dienstag - Sonntag: 11:00 - 17:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: grass-haus.de

Grafik "Indien" von Günter Grass © Günter und Ute Grass Stiftung
Dauerausstellung

Indienbilder im Günter Grass-Haus

Günter Grass-Haus – Forum für Literatur und Bildende Kunst

Glockengießerstraße 21
23552 Lübeck