„Wir sind ein Zimmer und zugleich eine Weltanschauung“ lautet das Motto der Bernsteinzimmer-Galeristen. Seit 1998 existiert die Produzentengalerie an der Großweidenmühle direkt an der Pegnitz und bereichert mit ihrem vielseitigen Programm die Nürnberger Kulturlandschaft. Rund um das Kernteam mit Anders Möhl, Birgit Nadrau, Helga von Rauffer und Fredder Wanoth werden hier nicht nur Ausstellungen inszeniert, sondern auch Lesungen, Dia-Vorträge und Konzerte veranstaltet. Nicht zuletzt sendet Radio Bernstein originell mit wechselnden Gästen aus den Räumen der Galerie.

In der Reihe ihrer Ausstellungen mit Nürnberger Künstlergruppen und -vereinen stellt die Kunstvilla ab Oktober 2021 Künstlerinnen und Künstler des Bernsteinzimmers vor. Die dort vertretene Künstlerschar ist vielseitig und bunt, unangepasst und ausgefallen. Gemeinsam ist den Bernsteinzimmer-Künstlerinnen und -Künstlern ihre Einstellung zur Kunst als Lebensgrundlage. Mit unbändiger und unerschrockener Kreativität wird unter ihren Händen alles zu Kunst: Poesie trifft auf Balkan Rock, Ziseliertes auf Bad Painting, Kitsch auf Hochkunst – und musikalischen wie leiblichen Genüssen ist man ebenfalls nicht abgeneigt.

Wie das als Weltwunder geltende Bernsteinzimmer, das der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I, dem russischen Zaren Peter dem Großen 1716 schenkte und das seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen ist, ist das Nürnberger Bernsteinzimmer legendär und schwer zu greifen. Die Ausstellung blickt mit rund 200 Werken von 53 Künstlerinnen und Künstlern sowie mit einem umfangreichen Begleitprogramm hinter den Mythos.

Es gibt Galeriekunst, Museumskunst und Auftragskunst. In Nürnberg gibt es außerdem Bernsteinzimmerkunst: Kunst aus der Galerie Bernsteinzimmer an der Großweidenmühle. Die Programmatik der im Verein zusammengeschlossenen Bernsteinzimmerer ist nicht fixiert und trägt dennoch eine erkennbare Handschrift. Sie umfasst zahlreiche, einst junge, heute etablierte Positionen und wird stets um Neuentdeckungen erweitert, sodass inzwischen fast zwei Generationen an Künstlerinnen und Künstlern vertreten sind. Im Mittelpunkt Seite 2 von 4 steht Künstlerkunst: Kunst, die nicht unbedingt marktgängig ist, sondern das Individuelle feiert und die kein großes Format benötigt, um Strahlkraft zu entfalten. Die Kunstvilla stellt eine subjektive Auswahl daraus vor.

Die Ausstellung legt ihren Fokus dabei einerseits auf malerische Positionen, die erzählerisch, aber auch komisch sein können. Auf Motive der Populärkultur beziehen sich Anna Bittersohl, Roger Libesch, Philipp Kummer und Wolf Sakowski. Fatma Güdü, Annamaria Schönrock, André Debus, Jan Gemeinhardt und Kai Klahre zitieren ikonische Werke und Themen der Kunstgeschichte. Martin Fürbringer, der auch als Filmemacher tätig ist, nimmt in seinen auf „armen“ Pressspanplatten gemalten Werken filmische wie fotografische Motive auf und changiert dabei zwischen Bad Painting und Kitsch.

Einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bildet die Gattung der Zeichnung. Die Bandbreite reicht hier von den Stadtansichten des selbsternannten „Städtesammlers“ Fredder Wanoth, Alltagsskizzen bei Peter Engel, der Thematisierung von Sexus und Geschlecht bei Anders Möhl bis zu den feinen Tuschezeichnungen von Bastian Spiegel. Von dem frühverstorbenen literarisch wie künstlerisch tätigen Philipp Moll sind einige frühe Zeichnungen und Collagen zu sehen, die Bild und Text verbinden. Michael Jordan, von dem einige Künstlerbücher ausgestellt sind, ist als Comiczeichner längst kein Unbekannter mehr, und nimmt in den präsentierten Blättern aus der Bildfolge „Der Fall Birke“ den künstlerischen Übervater Joseph Beuys aufs Korn. Ironie und Persiflage sogenannter „Hochkunst“ sowie die Verbindung von High and Low erscheinen auch bei anderen Positionen als verbindende Klammer. Gerhard Rießbeck, der für seine einsamen Landschaften bekannt ist, verrätselt in seinen „Symbiosen“ das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Franz Janetzko erschafft in seinen Installationen Alltagsgegenstände aus Holz und Beton. Thomas Lunz agiert mit seinen neonfarbenen naiven Gemälden gegen den Zeitgeist einer angepassten Bildproduktion während Birgit Nadrau in ihren Aluminiumzeichnungen ornamentale Strukturen untersucht. Andrea Sohlers Fotografie erscheint nur auf den ersten Blick in der Tradition der BecherSchule, denn ihre Arbeiten entstehen nicht konzeptionell, sondern aus Alltagsbeobachtungen, für die sie eine Foto-Amateurausrüstung nutzt. Dem schnellen Medium des Aquarells hat sich Cornelia Effner verschrieben, um damit weibliche wie männliche Typenbilder zu erschaffen.

Verena Waffek schuf eigens für die Ausstellung eine ortsbezogene Installation Seite 3 von 4 im aus der Erbauungszeit der Villa mit Märchenmotiven überkommenen Zwergenzimmer. Ausgehend von ihren Collagen imaginiert Waffek mit großer Poesie die Vergangenheit des Raums mit Nähutensilien und -maschine als Arbeitszimmer einer Bediensteten um 1900. Entstanden ist ein abwechslungsreicher Parcours, der zeigt, dass Kunst Spaß machen kann, ohne dabei oberflächlich zu sein. Dieser Ansatz kulminiert im letzten Ausstellungsraum, der von Anders Möhl eingerichtet wurde. In sogenannter „Petersburger Hängung“ werden hier weitere 30 Positionen präsentiert, die die gesamte Bandbreite des Bernsteinzimmers widerspiegeln: von A bis Z oder von Peter Angermann bis Reiner Zitta – dazwischen hängen gleichrangig Werke von noch zu entdeckenden Künstlerinnen und Künstlern.