Seine Fotografien sind eine Reise durch die Zeit. Wie kaum ein anderer Fotograf prägte Carl Friedrich Mylius (1827–1916) das Bild Frankfurts. Von der Zeil, dem Eschenheimer Turm, dem Goethe-Denkmal über den Römer bis hin zum Mainufer hielt er die berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt fest. Damit wurde er vor mehr als 150 Jahren zum Wegbereiter der Architekturfotografie. Das Städel Museum widmet Carl Friedrich Mylius mit rund 80 seiner Arbeiten vom 12. Februar bis zum 1. Juni 2025 die erste große Einzelausstellung. Anlass ist eine Schenkung aus Privatbesitz von 180 Fotografien, die den Bestand mit Aufnahmen von Carl Friedrich Mylius in der Städel Sammlung vortrefflich ergänzt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.

Frankfurt war als Ort der Kaiserkrönungen, als Messestadt und durch seine geografische Lage in der Nähe des Mittelrheins im 19. Jahrhundert ein bedeutender Anziehungspunkt für Reisende. Durch den sich etablierenden Tourismus wurden Carl Friedrich Mylius’ Fotografien noch heute bekannter Sehenswürdigkeiten zu beliebten Souvenirs. Viele seiner Ansichten zeigen eine Stadt im Wandel. Frankfurt erlebte damals nicht nur eine politische Neuordnung durch die preußische Annexion, sondern auch eine rasante wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Industrialisierung und Verstädterung führten zu einschneidenden baulichen Veränderungen – ganze Straßenzüge in der Alt- und Innenstadt verschwanden. Als Chronist dieser Zeit dokumentierte Mylius die historischen Orte seiner Stadt genauso wie Neubauten, Industrieanlagen und die moderne Infrastruktur. Es zog ihn auch ins Frankfurter Umland – der Feldberg im Taunus, die Städte Kronberg, Königstein und Gelnhausen –, und er hinterließ die teils ersten existierenden Aufnahmen dieser Orte. Ein besonderes Werk der Ausstellung ist eine 7,60 Meter lange Ansicht des Mains. Es ist das erste fotografische Panorama Deutschlands

„Seit seinen Anfängen ist die Faszination für das Medium Fotografie ungebrochen. Die Fotografien des Frankfurters Carl Friedrich Mylius sind ein wertvolles visuelles Erbe – künstlerisch herausragende Werke und zugleich bedeutende Dokumente der Stadtgeschichte. Mylius’ Ausbildungs- und Lebensgeschichte ist mit dem Städel Museum verbunden: Noch während seiner aktiven Schaffenszeit übergab er seine Fotografien an das Städel. Im Jahr 2023 wurde dieser einmalige historische Bestand durch eine großzügige private Schenkung erweitert. Mit dieser Ausstellung können wir Carl Friedrich Mylius’ Gesamtwerk erstmals umfassend vorstellen“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.

„Carl Friedrich Mylius spezialisierte sich als einer der Ersten in der jungen Frankfurter Fotografieszene Ende der 1850er-Jahre auf Architekturansichten. Als Fotograf war er neutraler Beobachter, indem er seine Motive sachlich und unvoreingenommen festhielt. Gleichzeitig setzte er künstlerische Gestaltungsmittel wie die Zentralperspektive und einen ausgewogenen Bildaufbau ein, was sein sensibles Gespür für Komposition zeigt. Bereits in diesen frühen Anfängen war die Fotografie mehr als bloße Abbildung – sie war ein Mittel, um die Stadt in einer ästhetischen Dimension zu erfassen. Das machte Mylius zu einem frühen Wegbereiter der Architekturfotografie“, erläutert Kristina Lemke, Kuratorin der Ausstellung und Sammlungsleiterin Fotografie.

Rundgang durch die Ausstellung
Die Ausstellung ist als offener Rundgang durch einzelne Stadtteile Frankfurts und das Umland angelegt. Der Schwerpunkt liegt auf den Jahren 1855 bis 1880, in denen Carl Friedrich Mylius’ kreative Auseinandersetzung mit dem städtischen Raum am deutlichsten wird. In der Sammlung des Städel Museums werden seine Aufnahmen seit 1867 bewahrt. Durch die jüngste Schenkung aus Privatbesitz kann nun eine Auswahl von Fotografien aus seiner Hauptschaffenszeit präsentiert werden.

Carl Friedrich Mylius (1827–1916) war ursprünglich ausgebildeter Lithograf, entschied sich jedoch angesichts der wirtschaftlichen und künstlerischen Möglichkeiten, die der aufstrebende Fotografenberuf bot, schnell für diesen neuen Weg. 1854 eröffnete er in der Biebergasse 3 in Frankfurt sein Atelier, das zunächst noch auf Porträtfotografie spezialisiert war. Angeregt durch Anfragen wohlhabender Bürger, ihre Stadt- und Landhäuser abzulichten, verlagerte er seinen Schwerpunkt zunehmend auf die Architekturfotografie. Hier hatte er keine Konkurrenz, denn Aufnahmen außerhalb des Studios waren damals wesentlich aufwendiger als Porträtbilder. Die schwere technische Ausrüstung musste an die jeweiligen Orte transportiert und jede Fotografie direkt in einem Dunkelkammerwagen entwickelt werden.

Mylius’ Fotografien ermöglichen einen einzigartigen Blick auf das Frankfurt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Fotograf hat er die Erinnerung an zahlreiche Orte bewahrt, die es so nicht mehr gibt, und zugleich den zeitgeschichtlichen Wandel der Stadt dokumentiert. Zu seinen Auftraggebern zählten Privatpersonen, städtische Ämter, Stiftungen, Gesellschaften und Vereine. Die geografisch günstige Lage sowie die politische und historische Bedeutung Frankfurts eröffneten ihm weitere Absatzmärkte. Diplomaten und Bildungsreisende fanden in seinen Fotografien ein beliebtes Souvenir. Mylius bediente diese Nachfrage und fotografierte aus eigener Initiative die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Neben Einzelaufnahmen bot er auch Alben und Mappen an, die sich die Käufer selbst zusammenstellen konnten: Ansichten des Doms, des Römers und der Denkmäler von Goethe, Schiller und Gutenberg waren besonders beliebt.

In Mylius’ Aufnahmen aus der Frankfurter Altstadt dominieren die historischen Wahrzeichen Dom und Römer. Den Römer (1855) – das Rathaus und zentraler Ort der Stadtpolitik seit 1405 – fotografierte Mylius besonders häufig. Eine überregionale Verbreitung seiner Aufnahmen sicherte er sich zudem durch eine Zusammenarbeit mit der Leipziger „Illustrirten Zeitung“, der er regelmäßig Fotografien für ihre Berichterstattung lieferte. Eine Reproduktion seiner Fotografie Blick von Westen auf den Dom (ca. 1865) wurde am 31. August 1867 veröffentlicht. Der Artikel berichtete über den Dombrand, der sich wenige Tage zuvor ereignet hatte, und zeigt das noch unversehrte Monument.

In den Fotografien der Innenstadt werden die massiven baulichen Veränderungen im urbanen Gesamtgefüge deutlich, die Mylius selbst miterlebte. Wie belebt etwa die Einkaufsstraße schon damals war, zeigt die Fotografie Blick von der Hauptwache auf die Zeil (1864–1866), in der die Personen nur schemenhaft zu erkennen sind. Aufgrund der langen Belichtungszeit erscheinen sie teils nur als Schlieren. Heute sind deutlich mehr Passanten in der Straße unterwegs. Statt der historischen Gebäude prägen moderne Einkaufszentren und hohe Bürokomplexe das Bild. Die Aufnahme Neue Mainzer Straße nach Süden (1874–1876) zeugt von den damals neuen Gebäuden im Stil des Klassizismus. Angelegt Anfang des 19. Jahrhunderts als noble und ruhige Wohngegend für die Frankfurter Oberschicht ist die Straße heute das Zentrum des Frankfurter Bankenviertels und beidseitig von Hochhäusern gesäumt.

Im Zentrum des Rundgangs der Ausstellung steht der Main, der in der Gründungslegende der Stadt und für ihre Entwicklung zum bedeutenden Handels- und Messestandort eine besondere Rolle spielte. Zudem prägte der Fluss als wesentliches Element auch die bildlichen Darstellungen Frankfurts. Außergewöhnlich ist etwa Mylius’ Mainpanorama (1860/61), das von herausragender fotohistorischer Bedeutung ist. Er fotografierte dafür das nördliche und das südliche Ufer in 31 Einzelbildern. Während die Gestaltungsmittel der Malerei es relativ leicht machten, weite Landschaften auf die Leinwand zu bannen, stieß die Fotografie aufgrund begrenzter Aufnahme- und Drucktechniken dabei an ihre Grenzen. Die Anfertigung von mehreren Einzelbildern blieb für viele Fotografen die bevorzugte Methode. Der Aufwand, den Mylius für sein fotografisches Panorama betrieb, war enorm: Um die 2,5 Kilometer lange Strecke möglichst verzerrungsfrei zu erfassen, versetzte er seine Kamera für jedes Bild um rund 100 Meter. Ungeachtet von Lücken oder perspektivischen Unstimmigkeiten ist das Mainpanorama ein beeindruckendes Zeugnis für das Streben nach topografischen Gesamtansichten im Medium der Fotografie.

Im 19. Jahrhundert entstand mit dem Westend ein neuer Frankfurter Stadtteil. Die dortigen Wohnhäuser wohlhabender Bürger sind Zeugnisse des repräsentativen Stadtausbaus. Mylius fotografierte sie im Auftrag der Eigentümer, wie die Aufnahme Gartenhaus am Kettenhofweg (vor 1861) zeigt. In diesem Haus hatte Adolph Knigge ein Jahrhundert zuvor sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“ geschrieben. Im Westend eröffnete 1871 mit dem Palmengarten ein neues Erholungs- und Vergnügungsareal, das auch Mylius in zahlreichen Motiven verewigte, die am Eingang verkauft wurden. Das Gesellschaftshaus war eines der ehrgeizigsten Bauprojekte seiner Zeit.

Sachsenhausen hingegen gehörte schon seit dem Mittelalter zu Frankfurt. Aufnahmen dieses Stadtteils sind in Mylius՚ Werk jedoch äußerst spärlich. Zum einen wurde der Stadtteil vor allem von Fischern, ärmeren Handwerkern und Gemüsegärtnern bewohnt, die sich die Beauftragung eines Fotografen nicht leisten konnten. Zum anderen bestand zu Mylius՚ Zeiten – anders als heute – kaum touristisches Interesse an diesem Stadtviertel.

Den Abschluss der Ausstellung bilden Aufnahmen aus dem Frankfurter Umland, etwa aus Höchst, dem Taunus und Gelnhausen. Im Rahmen seiner strategischen Geschäftsausrichtung hatte Mylius seinen Wirkungskreis auch auf diese Regionen ausgedehnt. In Gelnhausen fertigte er etwa eine Serie von Bildern der Kaiserpfalz an. Den Hintergrund der Fotografie Gelnhausen: Kaiserpfalz, Palas mit Blick auf die Marienkirche (1870) bildet die Marienkirche – ein weiteres wichtiges Wahrzeichen des mittelalterlichen Stadtkerns. Die schiefe Turmspitze ist nicht auf einen Fehler beim Abziehen der Fotografie zurückzuführen, sondern war zum Zeitpunkt der Aufnahme ein architektonisches Faktum. Erst 1879 wurde sie im Zuge umfangreicher Restaurierungsarbeiten begradigt