Chu Chun Hsu, die 1991 in Yilan, Taiwan geboren ist, hat in ihrem Heimatland bereits 2013 eine künstlerische Ausbildung am Department of Material Arts and Design der Tainan National University of the Arts mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen, ehe sie ab 2016 noch ein Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Münster aufgenommen hat. Sie ist hier 2022 zur Meisterschülerin von Suchan Kinoshita ernannt worden und zeigt nun im unmittelbaren Anschluss an ihre diesjährige Examenspräsentation in Münster ihre erste Einzelausstellung in der galerie januar. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Münster.

Ähnlich wie bei ihrer Abschlusspräsentation in Münster stellt sie auch in ihrer Ausstellung in Bochum auf den drei wohnraumartigen Etagen einen Ausschnitt aus ihrem enorm vielfältigen jüngsten Schaffen vor. Es umfasst sowohl zwei- wie dreidimensionale Arbeiten, nämlich so unterschiedliche Gattungen wie Zeichnung, Malerei und Plastik, aber auch Collagen und andere Arbeiten auf Papier, die Fotografien benutzen. Das Unterschiedliche lässt sich nicht so leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, aber der bewusst doppelbödige Titel „Handlungsraum bzw. Handlungstraum“, den die Künstlerin ihrer Ausstellung gegeben hat, deutet vielleicht dennoch eine Art roten Faden für das zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss Versammelte an: Denn fast immer hat man es bei den Arbeiten von Chu Chun Hsu mit Darstellungen von Räumen oder genauer: den Erinnerungen an Räume zu tun. Sie nehmen ihren Ausgang von eben jenen Räumen, in denen die Künstlerin in der Wirklichkeit lebt und arbeitet oder die sie in verschiedenen Quellen findet bzw. imaginär in Träumen erlebt. Hsus Arbeiten gehen dabei stets – in welchem Medium auch immer – von den Grundrissen, Dimensionen und auch alltäglichen Gestaltelementen jener scheinbar vertrauten Räume aus. Aber ohne Zweifel auch verlieren sämtliche ihrer Raumdarstellungen letztlich alle Vertrautheit und Selbstverständlichkeit.

Insbesondere in der oberen Etage des Galeriegebäudes ist das Räumliche als Thema bei Hsu offensichtlich: Denn einerseits hängen dort an den Wänden eine ganze Reihe von gemalten Bildern, die allesamt Ansichten von Innenräumen zeigen. Ihnen liegen eingescannte Fotos von Hotelzimmern aus aller Welt zugrunde, welche die Künstlerin eingescannt und auf Metall aufgezogen hat, um sie anschließend mit Acryl- und Dispersionsfarben zu übermalen. Das fotografische Wirklichkeitsvorbild aber erscheint in Hsus Gemälden jeweils in eben dem Maße verwandelt, in dem sie sämtliche architektonischen Gegebenheiten der Zimmer wie auch alles Mobiliar jeweils auf unbunte Weiß- und Grautöne und zugleich auf reine Silhouettenwerte beschränkt, so dass sowohl das Dingliche wie das Räumliche insgesamt – bei aller unverkennbaren Bindung an die Malerei – tendenziell entkörperlicht scheint und zu geisterhaften Schemen wird, die mit gleicher Berechtigung positive wie negative Assoziationen auslösen können, etwa solche des Heimlichen oder auch Unheimlichen.

Und andererseits sind im Obergeschoss eine Vielzahl der insgesamt siebenteiligen plastischen Raummodelle aus der titelgebenden Serie „Handlungs(t)raum“ versammelt. Auf filigranen Sockeln erheben sich jeweils durchsichtige Raumkonstruktionen, die auf Träumen der Künstlerin basieren, welche die Modelle als Texte begleiten und das Räumliche der kargen Gerüste bestimmter Gebäudetypen wie „Flughafen“, „Gefängnis“ oder“ Konferenzzimmer“ jeweils erzählerisch aufladen. Wie immer sich auch die plastischen Raumgerüste Hsus mit unseren je eigenen Raumerinnerungen verbinden, so erweisen sie sich doch jedenfalls stets als mehrperspektivische Raumabstraktionen mit wesentlich mehr als den drei Dimensionen ihrer Höhe, Breite und Tiefe.

Und selbst die unaufdringlichen, annähernd schwerelos wirkenden Arbeiten auf Papier im Untergeschoss, die hauptsächlich aus einer 2024 entstandenen, insgesamt 10-teiligen Serie mit dem Titel „Blumenstücke“ stammen, sind schon im Wortsinne mehrschichtige Erscheinungen: Die kleinen Hochformate von 30 x 24 cm, welche jeweils hinter Glas, aber ansonsten ohne weitere Distanzierungsmaßnahme ungerahmt direkt der Wand aufliegen, sehen selbstverständlich unterschiedlich aus, aber auch sie scheinen wiederum von vornherein verwandt miteinander, indem sie sich allesamt einer doppelten Schichtung verdanken: Denn immer ist hier das Sichtbare das Ergebnis einer Überlagerung einer zugrunde liegenden Farbfotografie mit einem darüber befindlichen halbtransparenten Seidenpapier, welches das fotografierte Motiv jeweils überdeckt und mehr oder weniger verunklärt. Wie ein weißlicher Schleier legt sich das Seidenpapier mal partiell oder auch – häufiger noch - über das gesamte fotografierte Blumenmotiv, so dass dieses lediglich schemenhaft zu erkennen ist und sozusagen nur noch subkutan spürbar bleibt. Indem sich aber dem Blick zugleich durch eine Vielzahl von über das Seidenpapier verteilten Lochungen das darunter liegende Foto zumindest stellenweise unverdeckt, das heißt in seiner mit dem Weiß des Seidenpapiers kontrastierenden Buntfarbigkeit zeigt, beziehen die „Blumenstücke“ von Chu Chun Hsu ihre anschauliche Spannung aus dem Gegensatz von einer anonym wirkenden seidenen Oberfläche zu dem darunter liegenden individuellen fotografischen Motiv. Dabei ist es eine besondere Erfahrung, dass die gegenständlich wiedererkennbaren Blumenmotive vermöge der Lochungen des Seidenpapiers eine geradezu abstrakte ungegenständliche Qualität gewinnen, die eher an autonome Setzungen erinnert und auch unabhängig von allem Wiedererkennen von Blumen faszinieren kann.
(Pressetext: Ulrich Fernkorn) 


Öffnungszeiten:
Donnerstag: 17:00 - 19:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: galerie-januar.de

Chu Chun Hsu, o.T., 2025. Foto: Chu Chun Hsu
13.06. - 24.07.2025

Chu Chun Hsu; Handlungs(t)raum

galerie januar e.V. – Verein zur Förderung junger Kunst

Eislebener Straße 9
44892 Bochum