Die 69. Jahresausstellung der Nolde Stiftung Seebüll 2025 widmet sich Emil Noldes Verständnis von Stadt und Land. Der Wechsel ist zentral in seinem Leben: Die Sommer verbrachte der Künstler meist in ländlicher Abgeschiedenheit, die Winter im Trubel der Hauptstadt Berlin. Die aufregenden Bilder des Berliner Nachtlebens mit Tanz, Theater und Kabarett stehen neben bezaubernden TierAquarellen aus dem Berliner Zoologischen Garten. Insgesamt zeigen über 110 Werke den ganzen Nolde mit seinen famosen Blumendarstellungen, bewegten Meeren und unendlichen Landschaften.

Der bedeutende Expressionist Emil Nolde (1867–1956) teilte seine Lebenszeit zwischen Stadt und Land, seinem Sommerwohnsitz im heutigen deutschdänischen Grenzgebiet und einer Atelierwohnung für den Winter in Berlin. In diesen beiden sehr unterschiedlichen Welten empfängt er die Anregungen für seine Kunst: einerseits in seiner abgelegenen Heimatregion und andererseits in der pulsierenden Großstadt. Dort verbringt das Ehepaar Nolde die Wintermonate, ab 1910 können sie eine Atelierwohnung in der Tauentzienstraße mieten, ab 1929 in der Bayernallee im Westend.

Bildende Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind magnetisch angezogen von einer der wichtigsten Metropolen in Europa. Berlin mit seinem Nachtleben, mit Tanz, Theater und Kabarett wird auch für Emil Nolde zur Inspirationsquelle. Insbesondere in den Jahren 1910/11 setzt er sich bildnerisch mit der Großstadt auseinander. Max Reinhardt, Intendant des Deutschen Theaters und der Kammerspiele, überlässt Nolde Freikarten. Im dunklen Zuschauersaal malt Nolde, assistiert von Ada, mit schnellen, präzisen Pinselstrichen mit Aquarellfarben und Tusche eine Folge von weit über 300 Aquarellen und Tuschpinselzeichnungen, konzentriert auf die Ausdrucksmöglichkeiten der Figuren, ihre Bewegungen und den Tanz, ihre Gestik, ihre Gebärden. In den beschwingten Aquarellen und in den strahlenden Ölgemälden huldigt Nolde der quirligen Großstadt.

Gleichzeitig ermöglicht das Berliner Leben den direkten Kontakt mit Freunden, Sammlern, Kunsthistorikern, Museumsdirektoren und Galeristen. Es ist der Ort zum Netzwerken für den ehrgeizigen Künstler, der von seiner gesellschaftlich gewandten Frau Ada unterstützt wird. Als „Malermensch“ bezeichnet er sich selbst vielfach. Damit betont er die Unterscheidung zwischen Künstler und Mensch, die für sein Selbstverständnis zentral war.

Dr. Christian Ring, Direktor des Nolde Museums, entwickelt jedes Jahr aus dem reichen Künstlernachlass eine neue „Jahresausstellung“. Das Thema 2025 führt den Gedanken von „Welt und Heimat“ aus dem Jahr 2023 fort. Christian Ring beschreibt seinen Grundgedanken: „Wir befragen in den Jahresausstellungen Noldes reichhaltiges Werk zu allen Aspekten seines Lebens und gehen dem Bezug zum Heute nach. Emil Nolde verstand es wie kein anderer Künstler, die Gegensätze zwischen pulsierendem Großstadtleben und der stillen Abgeschiedenheit des Landlebens in seiner Kunst zu verarbeiten“, erklärt Christian Ring weiter. „Mit dieser Ausstellung möchten wir nicht nur einen Einblick in sein Schaffen geben, sondern auch die Bedeutung dieser beiden Pole für sein Werk erfahrbar machen. In Seebüll wollen wir, ganz im Sinne des Stifterehepaares Ada und Emil Nolde, dem „suchenden, geistigen Wanderer aus allen Landen … Glück und künstlerisch-geistige Erholung geben“.

Seit 1957 zeigt das Nolde Museum in Seebüll in der jährlich wechselnden Ausstellung eine beeindruckende Auswahl an etwa 110 Werken, Ölgemälden, Aquarellen und Druckgraphiken, die exemplarisch für Noldes Werk stehen. Neben den bekannten Meisterwerken werden auch seltene Stücke aus seinem umfangreichen Nachlass präsentiert. In diesem Jahr sind 32 Werke erstmals in Seebüll zu sehen. Mit der weltweit größten Sammlung seiner Arbeiten ist Seebüll der zentrale Ort, um tief in das Schaffen dieses bedeutenden Künstlers einzutauchen.

EMIL NOLDE ÜBER BERLIN
Emil Nolde selbst hat die starken Gegensätze zwischen dem lebhaften Berliner Nachtleben und der Ruhe des Landlebens auf eindrückliche Weise beschrieben – ein Spannungsfeld, das seine Kunst nachhaltig prägte. Mit einem Hauch von Ironie schildert er seine Eindrücke vom Großstadtleben.

„Allabendlich um elf zog ich meine dunkle Hose an und auch den schwarzen St. Galler Frack, der nun bald historisch war. Meine Ada ebenfalls zog ihr bestes Kleid an, und wir gingen auf Maskenbälle, in die Kabaretts, in den Eispalast. Und dann gings in öffentliche Lokale, wo fahl wie Puder und Leichengeruch impotente Asphaltlöwen und hektische Halbweltdamen in ihren elegant verwegenen Roben saßen, getragen wie von Königinnen. Und weiter ging es hinein in den Zigarettendunst der Cafés der Morgenstunden, wo Neulinge aus der Provinz, harmlos mit Straßendirnen sitzend, im Sektrausch halb hinschliefen.“

Er beschreibt, wie er und seine Frau Ada das kulturelle Leben Berlins bewusst suchten:
„Wir waren gern dort, das Besondere der Großstadt suchend, das künstlerisch Beste: Konzerte, Theater, Vorträge.“

Doch auch die stille Idylle seiner ländlichen Sommerresidenz blieb ein wichtiger Gegenpol in seinem Leben und Werk:
„Ein größerer Gegensatz zum fernen sommerlichen Landleben war kaum denkbar. Dort der friedliche Wald mit den großen, weißen, ruhenden Wolken – hier die Benzinstraßen und der Zigarettendunst der Lokale.“

NOLDE MUSEUM SEEBÜLL – EIN GESAMTKUNSTWERK
Das Nolde Museum Seebüll bietet ein einzigartiges Kunsterlebnis, das weit über einen herkömmlichen Ausstellungsbesuch hinausgeht. In Seebüll, nahe Niebüll und unweit der nordfriesischen Insel Sylt, steht das von Emil Nolde selbst entworfene Wohn- und Atelierhaus Seebüll, das ursprünglich als Sommerresidenz für ihn und seine Frau Ada diente. Hier schuf das Künstlerehepaar einen Rückzugsort, der ganz dem konzentrierten Arbeiten und dem Naturerlebnis gewidmet war.

Das Nolde-Haus, das von 1927 bis 1937 nach Plänen des Künstlers errichtet wurde, ist ein herausragendes Künstlerhaus der Moderne. Nach mehr als sechzig Jahren Museumsbetrieb hat die Nolde Stiftung das Haus von 2020 bis 2022 einer umfassenden denkmalgerechten Sanierung und technischen Ertüchtigung unterzogen. Die Wohnräume sind in ihrer originalen, farbintensiven Gestaltung erhalten und vermitteln teils noch mit der Originalmöblierung einen lebendigen Eindruck des expressionistischen Lebensgefühls.

Der von Emil und Ada Nolde angelegte Bauerngarten gehört untrennbar zum Leben im Gesamtkunstwerk. Der prachtvolle Garten wurde von Nolde zusammen mit Ada entworfen. Grundlegend ist der ausgeklügelte Windschutz, damit die Pflanzen dem rauen Nordseeklima standhalten können. Dank der Aufzeichnungen von Noldes letztem Gärtner, der bis in die 1970er-Jahre für die Stiftung gearbeitet hat, kann das heutige Gärtnerteam den Garten im Sinne des Künstlers erhalten. Der Garten zeugt von Noldes Leidenschaft für die Natur, die sich vielfach in seiner Kunst widerspiegelt. Die ursprünglichen Nolde-Pflanzen und deren sorgsam aufgezogene Nachkömmlinge laden die Besucher ein, den Garten so zu erleben, wie Nolde ihn einst gestaltet hat.

01.03. - 31.10.2025

Emil Nolde – "Malermensch" in Berlin

Nolde Stiftung Seebüll

Seebüll 31
25927 Neukirchen