Ruinenlandschaften en miniature aus Eschen-, Zwetschgen- und Ahornholz. Ein Nautiluspokal, in den Liebesszenen aus Ovids Metamorphosen eingraviert sind. Und eine Kugel aus zerrupftem Plastik, an der Seidenspinner zu verenden scheinen. Anlässlich von „Various Others“, dem nun ins Frühjahr versetzten Kunstparcours durch Münchner Galerien, Institutionen und Offspaces zeigt ERES Projects (Theresienstraße 48) mit „Works of Wonder“ eine Kabinettausstellung, die zum Staunen einlädt. Werke aus dem 16. und 17. Jahrhundert werden mit aktueller Kunstproduktion in Verbindung gesetzt, die der Raffinesse von Kunstkammerobjekten aus Renaissance und Barock sowie der tiefgreifenden Bewunderung für Phänomene aus Natur, Kunst und Technik nachspüren. Die Ausstellung wird großzügig unterstützt von der Kunstkammer Georg Laue München/London.
Als ästhetische Erfahrung ist Staunen auch Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das überraschte Sich-Versenken in ein Phänomen oder ein Objekt, hat positiven Einfluss auf die Konzentration, steigert die Resonanzfähigkeit mit der Mitwelt und führt zu intensiverer Wahrnehmung der Realität. „Das Staunen ist die Saat, aus dem das Wissen wächst“ formulierte der Physiker, Mathematiker und Naturforscher Georg Christoph Lichtenberg und machte damit auf das bereichernde Sich-Einlassen auf außergewöhnliche Gegenstände und Momente aufmerksam.
In der Beobachtung verweilend, eröffnet sich im Staunen die Möglichkeit, die Wirklichkeit als Erfahrungsraum voller Wunder zu erkennen. Vor allem ab der Renaissance begeisterten Kunst- und Naturalienkammern mit einer Sammlung von fantastischen und rätselhaften Objekten, die bis heute durch handwerkliche Virtuosität und vorgefundene Naturformen glänzen. Als Ort bewusstseinsverändernder Begegnungen waren Wunderkammern ein Schmelztiegel aus Wissenschaft, Kunst, Fantasie und Faszination für die Natur, der das Unmögliche und Geheimnisvolle in den Mittelpunkt stellte. Die Fähigkeit der Kunst, ins Staunen zu versetzen, ist in der Jetztzeit eine ebenso bedeutungsvolle wie damals, können wir uns doch durch sie vom hyperschnellen Schauhunger des digitalen Zeitalters abwenden. Auch in zeitgenössischen Positionen sorgt das „Augen machen“ durch wiederbelebte Praktiken und Techniken für Wow-Effekte.
So überführt der Münchner Künstler Camill von Egloffstein die traditionsreiche Intarsienkunst aus Renaissance und Barock ins Hier und Jetzt, indem er selbst zum Messer greift und die jahrhundertealte Handwerkstechnik mit zeitgenössischer Materialität verbindet. In direkter Nachbarschaft seiner fünfteiligen Arbeit, die billige Spanplatten mit kostbaren Hölzern kombiniert, befindet sich ein Kabinettskästchen, das Ende des 16. Jahrhunderts in Süddeutschland für die prachtvolle Verwahrung von Dokumenten, Schreibutensilien, Münzen und Kleinodien kreiert wurde. Mona Ardeleanus Freude am Auffinden seltsamer Dinge veranlasste die Künstlerin zu ihrem Ölgemälde „Schnürungen 2022/VII“. Sie verwandelt das formal einzigartige Naturwunder eines Nautilus-Gehäuses in ein textiles Mischwesen, das sich einer klaren Zuordnung entzieht. Im Unterschied zu Cornelis Bellekins Nautiluspokal rückt die Künstlerin die natürliche Flammierung des maritimen Kopffüßers in den Mittelpunkt, während der Renaissancekünstler das Gehäuse poliert, graviert und montiert, um die Natur durch menschliches Vermögen zu vervollkommnen. Unsere Wahrnehmung schärft Anri Sala in seinem Diptychon „Untitled“, indem er wissenschaftliche Präzision und künstlerische Freiheit in ein Spannungsfeld setzt und dabei konventionelle Methoden der Kategorisierung von Spezien auslotet. Objekt seines Interesses ist dabei eine handkolorierte Grafik aus einem wissenschaftlichen Reisebericht, der Anfang des 19. Jahrhunderts eine Einordnung von Zoophyten – Mischwesen zwischen Tier und Pflanze – ermöglichte. Der Vergänglichkeitssymbolik von Memento Mori-Darstellungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert spürt die nordirische Künstlerin Claire Morgan nach. Ihre Skulptur ist eine moderne Allegorie auf die Endlichkeit des irdischen Lebens. Körperhaft in den Raum gesetzt, kommt es zu einem verhängnisvollen Zusammenstoß von Biosphäre und Anthroposphäre, in dem echte Seidenspinner an einer Kugel aus Plastikfolienresten zu verenden scheinen. In unmittelbarer Nähe zu Peter Wibers glanzvoll verziertem Buckelpokal krabbelt und wuselt es. Auf Walid Raads Fotografien werden prunkvolle Wunderkammerobjekte von Stabheuschrecken und Wildbienen erklommen, deren Herkunft rätselhaft bleibt. Wert sowie Bedeutung der abgebildeten Artefakte werden durch das Zusammenspiel aus Insekten-Invasion und der Verschmelzung von realen und fiktiven Narrativen in Frage gestellt und regen an, sich die eigenen Vorurteile bewusst zu machen.
Die Ausstellung lädt ein, sich auf eine außergewöhnliche Reise zu begeben und Kunstwerken zu begegnen, die ebenso faszinierend wie überraschend sind. Mit einer Kombination von zeitgenössischen und traditionellen Werken wird ERES Projects zur modernen Wunderkammer, die neue Perspektiven und Grenzen des Staunens herausfordert. Ob durch verblüffende Formen oder unerwartete Verschränkungen – „WoW! Works of Wonder“ konfrontiert uns mit der Schönheit des Unbekannten und regt dazu an, die Welt und ihre Mysterien neu zu entdecken. Denn „wer staunt, widersetzt sich der Vergeudung des Lebens“.
Mit: Mona Ardeleanu, Cornelis Bellekin, Camill von Egloffstein, Claire Morgan, Walid Raad, Anri Sala, Peter Wibers
Führungen: 10. Mai, 24. Mai, 7. Juni, 28. Juni, jeweils 15 Uhr
Öffnungszeiten:
Freitag: 14:00 - 18:00 Uhr
Samstag: 11:00 - 18:00 Uhr
und nach Vereinbarung
Weitere Informationen direkt unter: eres-stiftung.de