Der Hamburger Bahnhof präsentiert den umfangreichen Bestand an Werken des Künstlers Joseph Beuys in der wiedereröffneten Kleihueshalle: Die neue Dauerpräsentation zeigt Schlüsselwerke wie „DAS ENDE DES 20. JAHRHUNDERTS“ (1982) aus der Sammlung der Nationalgalerie sowie „Straßenbahnhaltestelle. A monument to the future“ (1976) und „DAS KAPITAL RAUM, 1970–1977“ (1980), die dank der großzügigen Schenkung der Familie des 2020 verstorbenen Sammlers Erich Marx ebenfalls Teil der Sammlung sind. Die Besucher*innen erkunden in dem 15 Werke und eine multimedialen Studieninsel umfassenden Parcours das komplexe Werk und die ambivalente Rezeption des Künstlers Beuys.
Joseph Beuys (1921–1986) war Zeichner, Bildhauer, Aktions- und Installationskünstler, Lehrer, Politiker und Aktivist. Beuys wuchs in der nationalsozialistisch geprägten Gesellschaft auf, an der er sich aktiv in der Hitlerjugend und als Soldat beteiligt hatte. Als Künstler wollte er eine radikal demokratische Gesellschaft entstehen lassen: durch Kunst, im gemeinsamen Gespräch und in Zusammenarbeit mit allen Menschen. Diese kollektive Umgestaltung der Gesellschaft verstand Beuys als Soziale Plastik, als erweiterte Form der Kunst, in die sich jeder Mensch als Künstler*in einbringen sollte. Der Parcours von 15 Werken stellt erstmalig „Straßenbahnhaltestelle. A monument to the future“ (1976), „DAS KAPITAL RAUM, 1970–1977“ (1980) und „DAS ENDE DES 20. JAHRHUNDERTS“ (1982) aus der Sammlung der Nationalgalerie in einem Raum zusammen aus. Die Studieninsel bietet den Besucher*innen mittels Audiobeiträgen bekannter Persönlichkeiten und ausgewählten Büchern einen Einblick in die zwiespältige Wahrnehmung des Künstlers und konfrontiert seine Vision der gesellschaftlichen Erneuerung mit der Bürgerrechtlerin Angela Davis, der Schriftstellerin Ursula Le Guin oder der Lyriker*in Kae Tempest u.a.
Neben Skulpturen, Environments, Zeichnungen und Multiples zeigt die Ausstellung Dokumentationen wegweisender Aktionen wie „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (1965), „Transsibirische Bahn“ (1970) und „I like America and America likes Me“ (1974). In diesen erarbeitete und veranschaulichte Beuys seine Vorstellung davon, wie jeder Mensch als Künstler*in zur Demokratisierung der Gesellschaft aktiv beitragen könne. Ab 1963 führte er in verschiedenen Rollen über dreißig Performances auf, etwa als Schamane, Lehrer, Gangster oder Gärtner. Beuys nutzte Materialien wie Filz, Fett und Kupfer, denen er bestimmte Eigenschaften innerhalb seines Werks zusprach. Der „Filzanzug“ (1970) etwa besteht aus einem Material, das Beuys für seine wärmende, isolierende Kraft schätzte. Er entwickelte auch Theorien, wie die Notizbücher „Projekt Westmensch“ in der Ausstellung verdeutlichen. Vom Elektromagnetismus bis zur Quantenphysik befasste er sich intensiv mit den Eigenschaften von Energie. Bei der Entwicklung seiner „Plastischen Theorie“, die er auch als „Energieplan“ bezeichnete, spielten Energie erzeugende und Energie leitende Prozesse eine zentrale Rolle. Davon zeugen „Energiestab“ (1974) oder „Capri-Batterie“ (1985).
Die Ausstellung zeigt, wie Beuys Materialität, Sprache, Grenzen und Aufgaben der Kunst nachhaltig befragte. Er bezog Mythen um seine Person in sein Werk ein, integrierte das Publikum im Sinne der Sozialen Plastik aktiv in seine Kunst und verließ schließlich den Ausstellungsraum. Als Vorlage für „Straßenbahnhaltestelle. A monument to the future“ (1976) diente ein Friedensdenkmal aus Kriegsgeräten und eine Bahnschiene aus Beuys Heimatstadt Kleve. „DAS KAPITAL RAUM, 1970–1977“ (1980) bezog sich auf „Das Kapital“ von Karl Marx (1867), wobei Beuys Kapital mit menschlicher Kreativität gleichsetzt. Die Installation besteht aus Gegenständen aus Aktionen von 1970 bis 1977. Die Tafeln mit Kreidezeichnungen entstanden im Rahmen der „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ auf der documenta 5 (1972) und der „Free International University“ auf der documenta 6 (1977). Künstler und Publikum diskutierten jeweils 100 Tage lang über Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. „DAS ENDE DES 20. JAHRHUNDERTS“ ging aus „7000 Eichen“ für die documenta 7 (1982) hervor und nutzt ebenfalls Basaltstelen. Mit der ökologischen Großskulptur in Kassel, an deren Realisierung sich Tausende Menschen beteiligten, verließ Beuys den konventionellen Kunstraum.
Bereits der „Filzanzug“ (1970) zeugt von Beuys Tendenz, seine Person in den Mittelpunkt seiner gesellschaftsbezogenen Kunst zu rücken. Das hier gezeigte Porträt von Andy Warhol aus dem Jahr 1980 stellt Beuys als Ikone der Populärkultur dar. Das Werbepotenzial von Warhols Porträt war Beuys vermutlich bewusst. 1981 behauptete er, dass sein ganzes Leben Werbung sei: für die Erneuerung der Gesellschaft durch Kreativität.
Die Ausstellung möchte das Publikum aktiv beteiligen. Die Studieninsel wird alle drei Monate um neue Stimmen zum Thema Transformation und gesellschaftliche Erneuerung ergänzt. Die Besucher*innen sind aufgerufen, Vorschläge in ein Notizbuch einzutragen.
Das Bildungs- und Vermittlungsprogramm umfasst neben kostenlosen Führungen an Sonntagen, die den Teilnehmenden einen grundsätzlichen Überblick über Fragen und Themen des Künstlers bieten, auch neue individuell buchbare Führungen. Schulen haben die Möglichkeit Ausstellungsgespräche zu Beuys’ Werk zu buchen, die sich mit Themen wie Ökologie, Umweltschutz und Nachhaltigkeit befassen. Das Programm umfasst ebenfalls ein Workshop-Angebot zum Thema politischer, gesellschaftskritischer und utopischer Kunst. Diese interaktiven Diskussionen bieten Schüler*innen der Oberstufe die Gelegenheit, Beuys’ Kunst im Kontext zeitgenössischer Positionen zu betrachten und zu diskutieren. Ein Schulprojekt mit der Erika Mann Grundschule wird ausgehend von einer intensiven Auseinandersetzung mit seinem Werk einen Beitrag für das beuysradio gestalten.
Im Jahr 2022 hat die Familie des 2020 verstorbenen bekannten Berliner Sammlers Erich Marx der Stiftung Preußischer Kulturbesitz den gesamten Bestand an Werken des Künstlers Joseph Beuys aus der Sammlung Marx geschenkt. Die Schenkung umfasste folgende Werke, die sich nun in der Sammlung der Nationalgalerie befinden: „The secret block for a secret person in Ireland“ (1936–76); „STELLE, 2. Fassung“ (1967–76); „Energiestab“ (1974); „Straßenbahnhaltestelle, 2. Fassung“ (1961–76); „Ohne Titel (Tafel)“ (1977); „Ohne Titel (ART= KAPITAL)“ (1980); „Ohne Titel (Neutralisiertes KapitaI)“ (1980); „DAS KAPITAL RAUM 1970–1977“ (1980). Davon sind „Energiestab“ (1974); „Straßenbahnhaltestelle, 2. Fassung“ (1976) und „DAS KAPITAL RAUM 1970–1977“ (1980) in der neuen Sammlungspräsentation zu sehen.
Die Sammlungspräsentation von Joseph Beuys in der Kleihueshalle, wird mit wechselnden zeitgenössischen Einzelausstellungen gezeigt. Den Auftakt macht Naama Tsabar mit „Estuaries“ (bis 22.9.2024, kuratiert von Ingrid Buschmann). Ab 8. November 2024 folgt Andrea Pichl mit „Wertewirtschaft“ (bis 4.5.2025, kuratiert von Sven Beckstette).
Neben der neuen Sammlungspräsentation in der Kleihueshalle ist im Westflügel des Museums Beuys Rauminstallation „Unschlitt/Tallow“ (1977) aus der Sammlung der Nationalgalerie als Teil der Dauerpräsentation „Unendliche Ausstellung“ ausgestellt.
„Joseph Beuys. Werke aus der Sammlung der Nationagalerie“ wird kuratiert von Catherine Nichols, wissenschaftliche Mitarbeiterin Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart.
Öffnungszeiten:
Dienstag - Mittwoch: 10:00 - 18:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 20:00 Uhr
Freitag: 10:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen
Weitere Informationen direkt unter: smb.museum