Mit künstlicher Intelligenz, Video, Spielsimulationen, Skulpturen und Referenzen aus südkoreanischen Webcomics schafft Ayoung Kim im Hamburger Bahnhof ein fiktives Universum mit eigenen zeitlichen und räumlichen Gesetzen. Das Publikum taucht in Kims virtuelle Welt der „Delivery Dancer“ ein, die sie in den verspiegelten Museumsraum überträgt. Die Besucher*innen sind sowohl Zuschauende als auch Mitspielende und können die Erzählung aus eigener Perspektive beeinflussen. Die erste Einzelausstellung der Künstlerin in einem deutschen Museum untersucht Konzepte von Zeit und Realität sowie Fragen von Zugehörigkeit und Queerness. „Ayoung Kim. Many Worlds Over“ im Hamburger Bahnhof gibt mit Werken der vergangenen Jahre und aktuellen Kunstwerken einen Einblick in das Werk der multidisziplinären Künstlerin.
Ayoung Kim (geboren 1979) befasst sich in ihrer Kunst mit der Symbiose zwischen Daten, Menschen und dem Planeten. Kims Protagonist*innen sind Menschen, mythologische Wesen und virtuelle Existenzen, die über verschiedene Zeiten und Räume hinweg aufeinandertreffen. „Ayoung Kim. Many Worlds Over“ im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart widmet sich der Welt der „Delivery Dancer“. Der 2022 begonnene Werkzyklus setzt sich aus Videoinstallationen, Spielsimulationen, Tapetenbildern und Skulpturen zusammen. Im Zentrum der Geschichte steht die fiktive „Delivery Dancer-App“, die von einer künstlichen Intelligenz namens „Dancemaster“ gesteuert wird. Das Programm dient als effiziente Schnittstelle für ihre Arbeitnehmer*innen, die mit Motorrädern auf algorithmisch berechneten Routen durch ein futuristisches Seoul rasen. Ein Smartphone im Ausstellungsraum („Stipulation“, 2022) zeigt den Besucher*innen auf einem Display die Instruktionen der App.
Die Einkanal-Videoinstallation „Delivery Dancer’s Sphere“ (2022) steht am Beginn des Werkzyklus und dient im Hamburger Bahnhof als Eingangstor in die Welt(en) von „Delivery Dancer“. Die Besucher*innen folgen Kims Protagonistin Ernst Mo – sowie ihrer Doppelgängerin in einer Parallelwelt – durch das Labyrinth der Dancemaster-Lieferrouten einer futuristischen Stadt, die Kim aus realen Filmmaterialien und mithilfe von 3DAnimationen generiert hat. In der zweiten Videoarbeit der Ausstellung, der Dreikanal-Installation „Delivery Dancer’s Arc: 0º Receiver“ (2024), tauchen die Besucher*innen in die Beziehung Ernst Mos und ihrer Doppelgängerin En Storms ein. Sie erfahren, dass die Plattform „Delivery Dancer“ eine Zeitmaschine ist, die die Zeitachsen unterschiedlicher Welten kontrolliert. Die Spielsimulation „Delivery Dancer Simulation“ (2022) führt die Besucher*innen schließlich direkt in das virtuelle Universum und sie können selbst durch die komplexen Routen in Kims Welt navigieren.
Kims Universum von „Delivery Dancer“ besteht aus einer unendlichen Anzahl möglicher Welten, in denen Zeit zyklisch und nicht linear verläuft. Der verspiegelte Ausstellungsraum unterstützt den Eindruck der überlappenden Welten und konfrontiert die Besucher*innen immer wieder mit sich selbst. Die runden Spiegel mit kugelförmigen Objekten und Mobiles der „Orbit Dance Series“ (2022) symbolisieren Uhren und verweisen auf die kreisförmige Topologie von Planeten. Die Skulptur „Ghost Dancers B“ (2022) wiederum bringt die digitalen Protagonist*innen Ernst Mo und En Storm als lebensgroße Puppen in den Ausstellungsraum. Im nächsten Raum begegnen die Besucher*innen „Ghost Dancers A“ (2022): Zwei Motorradhelme hängen einander gegenüber von der Decke herab. Die Visiere zeigen Videos der sich endlos regenerierenden Lieferwege; Drähte und Kabel ragen wie Tentakel aus den Helmen hervor.
Durch den gesamten Ausstellungsraum ziehen sich die großformatigen Tapetenbilder „Evening Peak Time Is Back“ (2022). Die Tapetenbilder stellen unterschiedliche Szenarien dar, in denen sich Ernst Mo und En Storm begegnen. Kim hat die Tapeten in Kooperation mit der Webtoon Künstlerin 1172 geschaffen. Webtoons sind koreanische Comics, die online veröffentlicht werden und in viel kürzeren Abständen als die auf Papier gedruckten Mangas erscheinen.
Kims Zyklus bezieht sich auf Gig Economy-Plattformen, die im realen Seoul seit der COVID-19-Pandemie einen rasanten Wachstum erfahren haben. Von Gig-Unternehmen eingesetzte Arbeitskräfte sind in der Regel Freiberufler*innen in prekären Arbeitsverhältnissen. Diese Formen der Ausbeutung finden sich zum Beispiel bei Liefer-Apps, die auch in Berlin und in vielen anderen Städten auf der Welt existieren. In ihrer Auseinandersetzung mit moderner kapitalistischer Logik und einem nicht-linearen Zeitverständnis verweist Kim auf das literarische Science-Fiction Werk der Autorin Octavia Butler.
Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Ausgabe der Katalogreihe des Hamburger Bahnhofs, herausgegeben von Silvana Editoriale Milano (12 Euro).
Die Ausstellung wird kuratiert von Sam Bardaouil und Till Fellrath, Direktoren Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, und Charlotte Knaup, Kuratorin Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart.
Die Ausstellung findet im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie statt.
Diese Ausstellung wird unterstützt durch: Hamburger Bahnhof International Companions e.V., Samsung Foundation of Culture und SBS Foundation
Öffnungszeiten:
Dienstag - Mittwoch: 10:00 - 18:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 20:00 Uhr
Freitag: 10:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen
Weitere Informationen direkt unter: smb.museum