Das Jüdische Museum Frankfurt zeigt vom 1. November an die erste kulturgeschichtliche Ausstellung über jüdische Vorstellungen und Praktiken rund um Sterben, Tod und Trauer. Die Ausstellung „Im Angesicht des Todes“ stellt erstmals umfassend dar, wie das antike Judentum eine eigene Vorstellung vom Tod entwickelte, die sich von derjenigen der sie umgebenden Kulturen unterschied. Auf neue Bestattungsriten folgten eigene Praktiken der Trauer sowie eine rituelle Form der Unterscheidung zwischen Leben und Tod, die bis heute maßgeblich für die jüdische Tradition ist.

Neben rituellen Gegenständen, digitalen Medien und partizipativen Stationen präsentiert die Ausstellung auch künstlerische Reflexionen zum Thema – insbesondere von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern wie etwa Eliyahu Fatal, Asaf Gam Hacohen, Tobi Kahn, Jacqueline Nicholls, Ilana Salama Ortar und Ruth Patir. Bildgewaltig ist der Tod auch in Gemälden der Klassischen Moderne etwa von Felix Nussbaum (u.a. „Triumph des Todes“, 1944) und Else Meidner (gezeigt wird unter anderem „Frauenakt mit Todesengel“, 1949) oder in den Lithografien von El Lissitzky (aus der Mappe Chad Gadja, 1919) in Szene gesetzt. Eine eigens in Auftrag gegebene fotografische Serie von Laura J. Padgett wendet sich indessen dem Neuen Jüdischen Friedhof zu, einem der stillen Orte, an der die letzten „rites de passages“ vollzogen werden. Die ungewöhnliche Ausstellungsarchitektur, die mit Lehm und Licht spielt, stammt vom Künstlerkollektiv YRD.works. Sie betont die Spannung zwischen der Stofflichkeit des Lebens und der immateriellen Sphäre der kommenden Welt (hebräisch: Olam Haba).

Auf mehr als 600 Quadratmetern gliedert die Wechselausstellung den Themenkomplex in fünf räumliche Zusammenhänge, die Übergänge und Unterscheidungen zwischen Leben und Tod nachvollziehbar werden lassen:

1. Das Angesicht des Todes
Das Intro zur Ausstellung präsentiert das Motiv des personifizierten Todes in religiösen jüdischen Schriften sowie in der Bildenden Kunst. 

2. Sterben
Die darauffolgenden Räume gehen sowohl auf religiöse Praktiken der Sterbebegleitung wie auch auf ethische Fragen rund um die medizinische Beschleunigung oder Verlangsamung des Sterbens (assistierter Suizid/Sterbehilfe, Triage) sowie den Todeszeitpunkt (Hirntod, Organspende) ein. Hier wird der erste Interview-Film gezeigt: Gespräche mit Besucherinnen und Besuchern der beiden historischen Frankfurter Friedhöfe an der Battonnstraße und an der Rat-Beil-Straße. Dabei kommen auch persönliche Bezüge zu den Gräbern jüdischer Gelehrter und ihrer Vorfahren wie etwa zu Reisele Sofer, Mutter des Rabbiners Moses Schreiber (bekannt als Chatam Sofer, 1762 - 1839) oder zu Rabbiner Samson Raphael Hirsch, dem Begründer der modernen Orthodoxie, zur Sprache.

3. Beerdigung
Neben der Kleidung der Toten und weiteren Dingen, die mit den Beerdigungsritualen zusammenhängen, wird in diesem thematischen Schwerpunkt der Ausstellung mit filmischen Interviews darauf eingegangen, wie sich der Umgang mit den Riten bei außergewöhnlichen Umständen oder Ereignissen gestaltet – in diesem Fall bei Beerdigungen während der Corona-Pandemie.

4. Trauer
In der jüdischen Tradition ist die Trauerzeit in verschiedene Perioden unterteilt (Schiwa, Schloschim, Jahrzeit), die mit spezifischen Praktiken und Gebeten einhergehen (Kaddisch, Jiskor, El Male Rachamim). Die räumliche Inszenierung macht diese Praktiken erfahrbar und rückt sie in einen thematischen Zusammenhang mit der jüdischen Erinnerungskultur, die die Namen der Verstorbenen im Gedächtnis bewahrt. Eine besondere Rolle spielt dabei das gemeinschaftliche Gedenken an die Pogrome des Mittelalters, an die Opfer der Schoa und des Massakers vom 7. Oktober 2023.

5. Olam Haba – Die kommende Welt
Die Sehnsucht nach ewigem Leben, die Beziehung von Diesseits und Jenseits (Wiederauferstehung, Seelenwanderung) und jüdische Vorstellungen von der Nachwelt (u.a. Scheol, Olam haNeschamot, Gehinnom oder Olam Haba genannt) bilden die letzten Stationen der Ausstellung. Dabei findet auch die Frage Erwähnung, inwieweit Verstorbene in der digitalen Welt ein Nachleben haben.

Die Ausstellung wurde von Sara Soussan, Kuratorin für jüdische Gegenwartskulturen und zeitgenössische Kunst, und Erik Riedel, Ausstellungsleiter des Jüdischen Museums, unter Mitwirkung von Dennis Eiler kuratiert. Im Rahmen der konzeptionellen Arbeiten nahmen sie unter anderem mit Kindern, Studierenden und Pflegepersonal Kontakt auf und baten sie um persönliche Texte zu den Objekten der Ausstellung. Diese alternativen Objekttexte sind Bestandteil des Rundgangs und erweitern die Perspektiven auf das Thema Tod. Dem multiperspektivischen Zugang entsprechend steht auch eine kuratierte Playlist auf Spotify zur Verfügung, die von Hörerinnen und Hörern weitere Songs ergänzt werden kann.

Die Mediaguide-App des Jüdischen Museums wurde anlässlich der Eröffnung erstmals um eine Tour durch die Wechselausstellung in deutscher, englischer und in Leichter Sprache ergänzt. Sie kann in den Stores von Google und Apple heruntergeladen oder an der Museumskasse auf Tablets mit Kopfhörern kostenfrei ausgeliehen werden. Im Frühjahr 2025 erscheint zudem ein Podcast zur Ausstellung, in dem sich die Journalistin Shelly Kupferberg mit ausgewählten Persönlichkeiten über Sterben, Tod und Trauer unterhält.

Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Katalog begleitet, der im Verlag Hentrich & Hentrich in deutscher und in englischer Sprache erscheint. Neben Essays von renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Rabbinern und Ärzten zu den einzelnen thematischen Stationen, Kunstwerken und Objekten der Ausstellung kommen dabei auch religionsvergleichende Perspektiven zum Tragen. Das umfangreiche Begleitprogramm zur Ausstellung ist auf der Ausstellungs-Website zu finden.

Ausstellung und Begleitprogramm konnten dank großzügiger Förderung der Art Mentor Foundation Lucerne sowie der Kulturstiftung des Bundes realisiert werden.

In der Ausstellung „Im Angesicht des Todes“ sind folgende zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler vertreten:

Marc Babej: Die Arbeiten des gebürtigen Frankfurter Historikers und Journalisten (1970) bewegen sich zwischen sozialwissenschaftlichen und massenpsychologischen Studien sowie den Medien. Babej hatte unter anderem Einzelausstellungen im Ägyptischen Museum in Kairo, im Roemerund Pelizaeus-Museum in Hildesheim und in der Rathausdiele Hamburg. Seine Werke befinden sich in zahlreichen Sammlungen, unter anderem im Staatlichen Puschkin-Museum der Schönen Künste in Moskau und im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel.

Eliyahu Fatal, geboren 1974 in Jerusalem, lebt und arbeitet in Tel Aviv. Der multidisziplinäre Künstler kombiniert verschiedene Medien wie Malerei, Bildhauerei, Ton, Video und Druckgrafik. Seine Werke befinden sich in den Sammlungen des Tel Aviv Museum of Art, des Israel Museums in Jerusalem, der City of Paris Collection und anderen. Sie wurden weltweit ausgestellt, etwa im Centre Pompidou in Paris, im Center for Contemporary Art in Philadelphia und im Gropius Bau in Berlin.

Asaf Gam Hacohen: Der 1977 geborene Künstler, Kurator und Dozent lebt und arbeitet in Tel Aviv. Er hatte zahlreiche Einzelausstellungen in Israel und war an Gruppenausstellungen in Museen und Galerien, unter anderem im Vereinigten Königreich, in den USA, Italien und Deutschland beteiligt. Gam Hacohen gehörte zur Gründungsgruppe der Indie Photography Group Gallery, außerdem gründete und leitet er die DaPhotoLab Art Gallery.

Tobi Kahn ist ein Maler und Bildhauer, dessen Werke in mehr als 70 Einzelausstellungen vor allem in US-amerikanischen Museen gezeigt wurden und sich in mehreren Museumssammlungen befinden, unter anderem im Solomon R. Guggenheim Museum in New York City, im Houston Museum of Fine Arts und in der Yale University Art Gallery. Kahn wurde unter anderem mit einer Bodeninstallation in der Ausstellung „Rendering the Unthinkable“ im 9/11 Memorial Museum in Downtown New York beauftragt. Er unterrichtet seit mehr als 30 Jahren Bildende Kunst an der School of Visual Arts in New York.

Jacqueline Nicholls: Die Künstlerin, Architektin und Illustratorin kam 1971 in Nottingham zur Welt. Sie nutzt eine Vielzahl von Techniken wie Stickerei, Textilien, Schneiderei, Druck und Zeichnung und erforscht traditionelle jüdische Konzepte auf nicht-traditionelle Weise. Ihre Arbeiten wurden in vielen Gruppen- und Einzelausstellungen gezeigt, unter anderem in den USA, Italien, Israel, England und Österreich. Sie lebt in London und unterrichtet an der London School of Jewish Studies.

Julia Ovrutschski, 1961 in St. Petersburg geboren, lebt und arbeitet seit 1995 als selbstständige Künstlerin in Frankfurt am Main. Sie hatte Einzel- und Gruppenausstellungen in Königstein, Frankfurt, Wiesbaden und Moskau. Laura J. Padgett, 1958 in Cambridge geboren, ist Fotografin und Kunsthistorikerin. Sie hatte unter anderem Einzelausstellungen in Düsseldorf, Wien, Nicosia (Zypern), Istanbul und Berlin. In Frankfurt hat sie mehrfach ausgestellt, unter anderem mit „Regenerating Permanence“ im Jüdischen Museum (noch bis 03.11.2024). Seit 1990 lehrte sie an verschiedenen Universitäten, darunter die Bauhaus-Universität in Weimar, die German Jordanian University in Amman und die J. W. Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Ilana Salama Ortar, geboren 1949 in Alexandria (Ägypten) ist bildende Künstlerin und Forscherin für Performancekunst im öffentlichen Raum. Ihr Fokus liegt auf den Themen Entwurzelung, Flucht, Migration und Exil in Konfliktgebieten. In ihrer Arbeit nutzt sie den Austausch mit dem Publikum, um die Wirkung ihrer Erfahrungen mit Video, Klang, Zeichnung, Malerei und Architektur zu erforschen. Salama Ortar arbeitet auch als Dozentin, unter anderem in Frankreich, den USA und England.

Ruth Patir: Die Künstlerin des noch immer geschlossenen Pavillons auf der Biennale in Venedig (bis 24. November 2024) wurde 1984 in New York geboren. Sie lebt in Tel Aviv und hat sich in ihrer Arbeit auf Videokunst und Installationen spezialisiert. Die in der Ausstellung gezeigte Installation „My Father in the Cloud“ wurde erstmalig 2022 im Center for Contemporary Art in Tel Aviv präsentiert. Ihr Film „Sleepers“ (2017) gewann den Video and Experimental Cinema and Video Art Award beim Jerusalem Film Festival. Sie stellte international unter anderem auf der Gwangju Biennale in Korea, dem Los Angeles Contemporary Archive und im Centre Pompidou aus.

Yael Serlin, 1983 geboren, lebt und arbeitet in Jerusalem. Sie beschäftigt sich in ihren multidisziplinären Arbeiten sowohl mit persönlichen Themen als auch mit der jüdischen Tradition, die sie als praktizierende Jüdin sowohl befragt wie auch weiterentwickelt. Serlin hatte zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in Marokko, Israel, Serbien und im Jüdischen Museum Frankfurt.

Sari Srulovitch wurde in Jerusalem geboren. Sie ist eine vielfach preisgekörnte künstlerische Gold- und Silberschmiedin. Ausgestellt hat sie unter anderem im Israel Museum in Jerusalem, im Jüdischen Museum in New York City und in der Royal College of Art Public Collection in London.

YRD.works: Das Künstlerkollektiv aus Offenbach entwickelt seit 2015 soziale und temporäre Architekturen, die kurzfristige Begegnungen ermöglichen und insbesondere im öffentlichen Raum platziert werden. Ihre Projekte sind an der Schnittstelle von Raum, Skulptur und Aktion angesiedelt. Für „Im Angesicht des Todes“ schufen sie eine Ausstellungsarchitektur aus Lehm und Licht, die mit der Spannung zwischen dem Stoff des Lebens und der immateriellen Ewigkeit spielt.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Mittwoch: 10:00 - 17:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 27:00 Uhr
Freitag - Sonntag: 10:00 - 17:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: juedischesmuseum.de

Samuel Bak, Ner Tamid, 1978-1992 © Jüdisches Museum Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz
01.11.2024 - 06.07.2025

Im Angesicht des Todes

Jüdisches Museum Frankfurt

Bertha-Pappenheim-Platz 1
60311 Frankfurt am Main