Mit ihren Gemälden und Drucken porträtiert die Künstlerin Amna Elhassan (*1988) die sozio-politischen Veränderungen und den kulturellen Widerstand im Sudan mit besonderem Augenmerk auf den Frauen. Unter dem Ausstellungstitel „Amna Elhassan. Deconstructed Bodies – In Search of Home“ präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 4. November 2022 bis zum 12. Februar 2023 in ihrer öffentlich zugänglichen Rotunde die erste großformatige Wandmalerei December (2022) der Künstlerin, die sie spezifisch für den Raum konzipiert und realisiert hat. Zudem zeigt Elhassan im inneren Rotunden-Umgang im ersten Obergeschoss 21 Gemälde und Drucke, die seit 2019 entstanden sind, einige davon eigens für die Ausstellung. Die Arbeit der Künstlerin hat mit der sudanesischen Revolution 2018/2019 eine nachhaltige Wendung erfahren. Das zentrale Thema ihrer Werkauswahl für die Schirn ist der Status der Frauen im Sudan sowie die Wahrnehmung ihrer Körper durch die Gesellschaft.

In dem großformatigen Panoramagemälde December (2022) in der Schirn Rotunde verarbeitet Elhassan die Zerschlagung der Demokratiebewegung im Sudan und nimmt Bezug auf das Massaker von Khartum am 3. Juni 2019. Mit diesem beendeten Regierungstruppen gewaltsam die friedliche Dezember-Revolution, die mit landesweiten Protesten und einer dreimonatigen Besetzung des Platzes vor dem Militärhauptquartier in Khartum zum Sturz der 30-jährigen Diktatur des ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir geführt hatte. Während des Massakers wurden Frauen geschändet, viele Leichen der Opfer von den Angreifenden in das Wasser des Nils geworfen. Elhassans Gemälde thematisiert den Nil als Fluss des Lebens und des Todes und widersetzt sich der Annahme, dass der Tod das Ende von Träumen und Ambitionen eines Menschen bedeutet. Die drei dargestellten Frauen repräsentieren die Opfer der sudanesischen Revolution. Zudem bindet Elhassan arabische Schriftzüge ein. Diese nehmen Bezug auf Graffitis im öffentlichen Raum, die in der Widerstandsbewegung nicht nur verwendet werden, um politische Forderungen zu kommunizieren oder über Termine und Orte von Demonstrationen zu informieren, sondern auch, um der Opfer ehrend zu gedenken. Elhassan integriert hier zudem eine Kommentarebene ihres Mentors, des sudanesischen Künstlers Hatim Koko, der ihre Arbeit u. a. als „Feier der Frauen“ beschreibt.

Im inneren Rotunden-Umgang im ersten Obergeschoss der Schirn zeigt die Künstlerin eine Auswahl von Alltagsszenen sowie Porträts sudanesischer Frauen, deren Stärke und Widerstandsfähigkeit im politischen und gesellschaftlichen Umbruch die Künstlerin mit ihrer Arbeit zelebriert. Charakteristisch für Elhassans Malweise sind das Experimentieren mit unterschiedlichen Techniken, darunter analoge und digitale Zeichentechniken, Öl-, Acryl- und Sprühfarben, sowie das Arbeiten in Schichten auf Leinwand und Papier. Elhassan erweitert in der Schirn den Bildraum der Gemälde über die Leinwand hinaus und schreibt die Werke damit in den Ausstellungsraum ein. Auch hier bringt die Künstlerin neben den Werken Schriftzüge an, in diesem Fall Straßennamen, die die Zivilbevölkerung während der Revolution inoffiziell umbenannte und getöteten Demonstrantinnen und Demonstranten widmete.

Dr. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, betont: „Amna Elhassan ist eine wichtige Stimme der künstlerischen Selbstermächtigung im Sudan. Mit ihrem ortsspezifischen Panoramagemälde setzt Elhassan in der Rotunde der Schirn ein Zeichen für Courage und den Einsatz für eine lebendige Demokratie. Die Künstlerin widmet den Opfern des Massakers von Khartum ein zukunftsgewandtes malerisches Denkmal. Ihr Werk ist zugleich eine Hommage an die mutigen Frauen, die die treibende Kraft der gesellschaftlichen Transformation im Sudan verkörpern.“
 
Die Kuratorin der Ausstellung, Larissa-Diana Fuhrmann, erläutert die Arbeitsweise der Künstlerin: „Charakteristisch für die Werke von Amna Elhassan ist die Arbeit in Ebenen. Schicht um Schicht bringt sie ihre Motive auf Leinwand und Papier, und in der Schirn nun erstmals auch ins raumgreifende Format. Mit dieser Vielschichtigkeit legt die Künstlerin die komplexe Realität im Sudan und den Kampf um Emanzipation und Befreiung offen. Durch die Einbeziehung von Graffiti und die Erweiterung der Gemälde in den Ausstellungsraum verschränkt Elhassan die Proteste auf der Straße direkt mit dem musealen Raum der Schirn.“
 
Amna Elhassan (*1988, Khartum, Sudan) studierte Architektur an der Universität Khartum und an der Sapienza-Universität Rom, bevor sie sich für ein Atelierprogramm am Khartoum Arts Training Center (2017–2019) einschrieb. In den letzten Jahren hat Elhassan international ausgestellt, u. a. in der HFBK Hamburg (2022); auf der Egypt Int'l Art Fair in Kairo, Ägypten (2021), auf der FNB Joburg Art Fair, die online aus Johannesburg, Südafrika, übertragen wird (2020), sowie in der Afriart Gallery in Kampala, Uganda (2020), im Journées d'Art Contemporain de Carthage JACC, Tunis, Tunesien (2019), im Khartoum Art Center, Khartum, Sudan (2018), im Rashid Diab Arts Center, Khartum, Sudan (2017), im National Museum of Sudan, Khartum, Sudan (2016) und im Yalla Khartoum, Khartum, Sudan (2015). Im Sommersemester 2022 war sie Gastdozentin an die HFBK in Hamburg und unterrichtete zum Thema „Art During Times Of Crisis". Sie lebt und arbeitet in Khartum.

In der Rotunde der Schirn wurden bereits zahlreiche zeitgenössische Positionen präsentiert, u. a. von Carlos Bunga (2022), Caroline Monnet (2020), Karla Black (2019), Maria Loboda, Ne?l Beloufa (2018), Philipp Fürhofer, Lena Henke (2017), Rosa Barba, Peter Halley (2016), Heather Phillipson, Alicja Kwade (2015), Andreas Schulze (2014), Yoko Ono (2013), Bettina Pousttchi (2012), Barbara Kruger (2010), Eva Grubinger (2007), Jan De Cock (2005), Ay?e Erkmen und Olafur Eliasson (2004).