Der Maler Alexander Camaro (Breslau 1901–1992 Berlin) galt bis in die 1980er Jahre als einer der bedeutendsten Nachkriegskünstler Deutschlands. Der ausgebildete Hochseilartist, Ausdruckstänzer und Musiker, der bei Otto Mueller in Breslau studiert und die NS-Zeit als Ballettmeister und bei Fronttheatern überlebt hatte, malt nach Kriegsende den 19-teiligen Gemäldezyklus »Das hölzerne Theater«. Seine Verarbeitung der Bühnenerfahrungen in dunkeltonigen Leinwänden macht ihn nach dessen Erstausstellung 1948 schlagartig bekannt. Unter kärglichsten Lebensbedingungen erschafft er ein Welttheater, in dem seine Akteur:innen als programmatische Figurinen eines melancholiegesättigten Erinnerungstheaters auftreten. Obwohl der Zyklus auf Camaros konkrete Erlebnisse in den 1930er Jahren am Gothaer Theater zurückgeht, ist sein Blick doch universalistisch: Die Welt als Theater – die Welt als Schein.

Während etwa der fast zeitgleich geborene Ernst Wilhelm Nay anscheinend unberührt von zwei Weltkriegen durchweg heitere, von mythologischen Elementen sowie Naturmotiven beeinflusste Abstraktionen schuf oder der zwanzig Jahre ältere Hans Purrmann in seinen zeitlos schönen Stillleben und Landschaften die politische und Alltagsrealität bewusst ausblendete, ist Camaros Werken bis 1960 eine gewisse »Räudigkeit« (A. Camaro) eigen: sowohl in ihrer düsteren Farbpalette als auch in ihrer offenen, häufig ungefirnisten Materialität. Nie thematisiert er seine Kriegserfahrungen direkt, doch erscheinen seine Werke von ihnen geradezu getränkt.

Aus der Erinnerung an die Welt der Jahrmärkte, Schaubuden und Lunaparks, die seine Kindheit in Breslau-Morgenau prägt und die er in seinen frühen Erwachsenenjahren als Bühnenartist erlebt, schöpft er zeitlebens seine Themen und Motive. Auch als er 1952 nach seiner Berufung als Professor an die Hochschule der bildenden Künste, in Kenntnis der aktuellen Kunstentwicklungen hin zur Weltsprache Abstraktion und ihrer Protagonist:innen, zunehmend abstrakter, informeller und sein Pinselduktus freier und gestischer wird, bleibt der gegenstands- und erinnerungsbezogene Kern in seiner Malerei bis zuletzt bestehen.

Das Kunstforum Hermann Stenner präsentiert mit 100 Gemälden aus allen Schaffensperioden sowie 20 Papierarbeiten aus seinem größtenteils verlorenen Frühwerk die bisher umfangreichste Retrospektive des heute ein wenig in Vergessenheit geratenen Malerstars der 1950er bis 1980er Jahre.

Seit seiner Eröffnung im Jahr 2019 widmet sich das Kunstforum Hermann Stenner neben so berühmten Protagonisten der Moderne wie dem Bauhaus-Maler Johannes Itten verstärkt auch aus dem Fokus geratenen Künstler:innen des 20. Jahrhunderts. Ausgehend von dem Namensgeber des Kunstforums, dem in Bielefeld geborenen, früh verstorbenen Expressionisten Hermann Stenner, wurden mit umfangreichen Ausstellungen geehrt: der Kolorist der Moderne Hans Purrmann, der Universalkünstler Wenzel Hablik, der Kunsthistoriker und Stenner-Entdecker Gustav Vriesen und die verschollene, aus Detmold stammende Malerin Hedwig Thun, die am Bauhaus in Dessau studiert hatte und zu einer wichtigen Künstlerin des deutschen Informel wurde. Eine zeitgenössische Position wurde mit dem Architekturfotografen Josef Schulz vorgestellt.

Zum ersten Mal hat eine im Kunstforum Hermann Stenner erarbeitete Ausstellung eine zweite Station: »Alexander Camaro: Die Welt des Scheins« wird vom 26. März bis zum 18. Juni 2023 im Angermuseum Erfurt gezeigt. Der Katalog mit Texten von Ulrich Clewing, Christiane Heuwinkel, Anna Krüger und Kai Uwe Schierz erscheint im Hirmer Verlag, 204 S., 29,90 €.

Eine Kooperation mit der Alexander und Renata Camaro Stiftung Berlin.


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Freitag: 14:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag - Dienstag: gesclossen
Heiligabend und Silvester: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: kunstforum-hermann-stenner.de