“I do You“ der Künstlerin Monica Bonvicini ist eine skulpturale Aneignung der Architektur der Neuen Nationalgalerie: Eine riesige Spiegelwand an der Fassade und ein großflächiges Podest in der Ausstellungshalle widersetzen sich dem transparenten, weitläufigen Raumeindruck und eröffnen den Besucher*innen ungewohnte Perspektiven. Neben den eigens entwickelten, ortsspezifischen Installationen sind skulpturale Objekte, performative Werke und Soundarbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin aus den 1990er-Jahren bis heute zu sehen. “I do You“ macht den ikonischen Museumsraum von Mies van der Rohe zu einem Reflexionsraum über die traditionell männlich konnotierte Macht von Architektur.

Bonvicinis ortspezifische Installation in der Neuen Nationalgalerie versteht sich als feministische Aneignung des von Mies van der Rohe konzipierten Raumes, den sie durch architektonische Eingriffe grundlegend verändert. Bereits der Eingang ist mit einer Wand verstellt, die an das hohe Dach gelehnt ist und dieses noch überragt. Im Innenraum definiert ein begehbares Podest die auf Weite und Transparenz ausgerichtete Ausstellungshalle neu. Die verspiegelte Plattform eröffnet den Besucher*innen ungewohnte Perspektiven, konfrontiert sie mit sich selbst und ihrer Präsenz im Raum und ermöglicht die Betrachtung der rundum verglasten Halle und ihrer äußeren Umgebung von einem erhöhten Standpunkt aus.

Neben den architektonischen Eingriffen sind ausgewählte skulpturale Arbeiten aus Bonvicinis Oeuvre zu sehen, mit denen die Besucher*innen auch interagieren können: Beispielsweise sind ihre benutzbaren „Chain Swings“ (2022) in die Ausstellung integriert, jeweils für zwei Personen konzipierte Schaukeln, die durch ihre Materialität aus Stahl und Ketten eine visuelle Verbindung zu subversiven Handlungen und Räumen herstellen. Eine Serie neuer Lichtarbeiten, bestehend aus LED-Neonröhren, die von Hand mit elektrischen Kabeln verwebt wurden, erhellen als skulpturale Struktur eine Ecke der Halle. Ebenso ist die frühe Arbeit „2 Tonnen Alte Nationalgalerie“ (1998) zu sehen, die aus abgetragenem Schutt von der klassizistischen Fassade der Alten Nationalgalerie besteht. Beim Umrunden der gläsernen Halle auf der Terrasse hören die Besucher*innen die neue Soundarbeit „Retrospective“ (2022), die mit der Rezitation von Werktiteln Bonvicinis aus den letzten drei Jahrzenten ihre konzeptionelle Verwendung von Sprache verdeutlicht. Im Zusammenspiel mit weiteren Licht-, Film- und Soundarbeiten vermittelt die Ausstellung Bonvicinis Medienvielfalt und ihre zentralen Themen Feminismus und Architektur sowie die damit verbundene Infragestellung nach der Rolle der Institution.

Der als Imperativ formulierte Ausstellungstitel „I do You“ (übersetzt „Ich mache dich“) ist bewusst mehrdeutig gehalten. Verstanden als ein „Ich will dich“ lässt Bonvicini das Museum als Ort der Kulturproduktion zur Stadt sprechen. Gleichzeitig liest sich das „I do You“ als provokative Ansage der Künstlerin an die Institution, das Gebäude innen und außen zu besetzen.

Bonvicini widmet sich seit Jahren intensiv dem Thema Architektur. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf den oft übersehenen, verdeckten Ideologien, die der westlichen Moderne zugrunde liegen. Deren Logiken und Mythen, auch deren geschlechtsspezifische Einschreibungen werden von der Künstlerin in ihren Werken immer wieder offengelegt und ironisch destabilisiert. Ihre Ausstellungen entstehen dabei jeweils aus einer präzisen Reflexion des vorgefundenen Raumes, den sie oft massiv baulich verändert. So zieht sie zusätzliche Wände ein, errichtet Zäune oder Gerüste, installiert Treppen oder spiegelnde Flächen. „I do You“ ist eine konsequente Fortführung dieser bereits früh entwickelten Ansätze. Bonvicinis künstlerische Interventionen können als Angriff auf eine chauvinistische Vormachtstellung in der Architektur verstanden werden und zielen darauf ab, den Raum als Ort zurückzugewinnen und neu zu besetzen. Mit der Einladung Bonvicinis würdigt die Neue Nationalgalerie eine Künstlerin, die aus Berlin heraus international bekannt geworden ist und in ihrer Kunst beharrlich dazu auffordert, überholte Kategorien zu revidieren und die Institution Museum als solche zu hinterfragen.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Distanz Verlag, mit Vorworten von Klaus Biesenbach und Gabriele Quandt, einer Einleitung der Kurator*innen sowie Essays von David Adjaye, Diedrich Diederichsen und Dario Gamboni, Deutsch/Englisch, Hardcover, 176 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, ISBN 978-3-95476-506-5, 40 €

Es wird ein umfangreiches Rahmenprogramm zur Ausstellung angeboten, darunter Gespräche mit Jill Killjoy, Simone Kellerhoff und René de Sans im Kontext der Reihe „Perspektivwechsel“, ein Künstlerinnengespräch mit anschließender Buchvorstellung und ein Konzert des Drummers Andrea Belfi.

Kuratiert von Joachim Jäger und Irina Hiebert Grun, Neue Nationalgalerie.
Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Freunde der Nationalgalerie mit freundlicher Unterstützung der Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Gaggenau Hausgeräte GmbH, die Ihr Engagement für die Neue Nationalgalerie damit fortsetzen.
Die Ausstellung wird von der Rudolf Augstein Stiftung unterstützt.


Öffnungszeiten:
Dienstag – Mittwoch: 10:00 . 18 00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 20:00 Uhr
Freitag -  Sonntag: 10:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: smb.museum