„Retour de Paris“ ist eine Ausstellungsreihe, die Künstler*innen aus Baden-Württemberg nach ihrem Stipendium an der Cité Internationale des Arts in Paris die Präsentation ihrer Arbeiten ermöglicht. Jährlich werden drei Ausstellungen realisiert – zwei davon finden 2022 erstmals in Kooperation zwischen der Städtischen Galerie Karlsruhe und dem Centre Culturel Franco-Allemand Karlsruhe statt. Die beiden Künstlerinnen Florina Leinß (*1984) und Karolina Sobel (*1987) konzipierten jeweils neue, ortsspezifische Werke, in denen sie sowohl Eindrücke und recherchiertes Material aus ihrer Zeit in Paris als auch Begegnungen mit der Museumssammlung reflektieren. „Retour de Paris“ wird vom Ministerium für Kunst, Wissenschaft und Forschung BadenWürttemberg unterstützt.

Die Malerei von Florina Leinß reicht von kleinen Formaten bis hin zu raumgreifenden Installationen mit Bezug zur architektonischen Umgebung. Ausgangspunkt für ihre ästhetischen Untersuchungen ist die industriell gefertigte Dingkultur unseres Alltags. Davon ausgehend entwickelt sie ein abstraktes Formenvokabular mit einer subjektiven Geometrie, in das sie auch intuitive, expressive und spielerische Momente einbezieht. Damit transzendiert Florina Leinß die uns umgebenden technischen Apparaturen und legt deren ästhetische Qualitäten frei. Ihre Gemälde und Rauminstallationen fordern uns letztlich dazu auf, die Materialität und Oberflächen der uns umgebenden Dingwelt bewusster zu erfassen und uns der eigenen sinnlichen Existenz zu vergewissern.

Während ihres Stipendienaufenthalts in Paris widmete sich Florina Leinß den Gesten unserer Hände im digitalen Raum. Täglich üben unsere Finger beim Dirigieren von Daten auf dem Touchpad oder dem Smartphone Bewegungen aus, deren wir uns nur selten bewusst sind. Die hier präsentierten Arbeiten beziehen sich auf solche intuitiven Gesten, die sich einerseits in Zeichnungen niederschlagen und andererseits in die Technik der Radierung übersetzt werden.

Diese manuellen künstlerischen Bewegungen, wie das Berühren von Metall oder das Auswischen der Farbe, sind Prozesse, die indirekt auch unsere Kommunikationswege widerspiegeln. In Florina Leinß Wandarbeit, die mit Graphit entstanden ist und deren Formen sich übermenschlich groß auftürmen, lässt die Oberflächenbeschaffenheit kaum mehr Spuren des zeichnerischen Aktes erahnen. Ihre Ausstellung „Echoes and Traces“ thematisiert den Austausch zwischen Subjekt und Umwelt. Echos ihrer subjektiven Farbwahrnehmung sind auch die in Paris gesammelten Farbproben, die nun in der Sammlung der Städtischen Galerie Karlsruhe widerhallen.

Florina Leinß lebt und arbeitet in Stuttgart. Sie studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und am Edinburgh College of Art in Schottland. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit einem Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn. 2021/22 erhielt sie ein Stipendium an der Cité Internationale des Arts in Paris. Seit 2013 ist sie neben ihrer künstlerischen Arbeit am Institut für Darstellen und Gestalten an der Universität Stuttgart in der akademischen Lehre tätig.

In ihrer künstlerischen Praxis setzt Karolina Sobel Fotografie als Werkzeug für visuelle Forschungen ein. Dabei geht sie Fragen der Gruppenidentität, des kollektiven Gedächtnisses, sozialer Ausgrenzung und des Aufbauprozesses von Gemeinschaften nach. In ihrer hier installierten Arbeit „Fontis“ befasst sie sich ebenfalls mit sozialen Themen, die Aspekte der Parallelität, Heimlichkeit und Sorgfalt ergründen.

„Als Alice in ‚Alice im Wunderland‘ dem flüchtigen Kaninchen folgt, fällt sie in den Kaninchenbau. Sie folgt ihm aus Neugier und glaubt, dass sie, wenn sie es fängt, neues Wissen erlangt. Sie betritt eine Parallelwelt, aus der sie an einem Ort wieder herauskommt, den sie nicht erwartet hat. Diese Erfahrung des Absturzes, des Falls in den Abgrund, verändert ihre Sichtweise auf Identität und Realität für immer. Ich bin vor zehn Jahren während meines Studiums buchstäblich in den Kaninchenbau der Pariser Katakomben ‚hinuntergefallen‘“, so Karolina Sobel über den Beginn ihrer Recherchen zum Pariser Katakombensystem.

Das System von unterirdischen Kanälen und Tunneln in und um Paris erstreckt sich über fast 300 Kilometer. Diese Minen und Steinbrüche, aus denen Material für den Aufbau der Stadt gewonnen wurde, diente in der Vergangenheit auch als Zufluchtsort oder bot Platz für menschliche Knochen der Pariser Friedhöfe. Ein kleiner Teil dieser Stollen ist heute zu einer Touristenattraktion umgestaltet und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht: das Museum der Katakomben. Alle anderen Tunnel, die der Öffentlichkeit verborgen sind, wurden zu einem Ort der Eskapaden und Entdeckungen für die Gruppen der Kataphilen. Diese Entdecker der unterirdischen Stadt schützen, pflegen und bewahren dieses unsichtbare Erbe von Paris. Die Videoarbeit zeigt eine Gruppe von Kataphilen, die durch verschiedene Löcher in diese einsturzgefährdete Parallelwelt eintreten.

Karolina Sobel lebt und arbeitet in Karlsruhe. Sie absolvierte 2019 ihr Studium an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Nach ihrem Master in Urbanistik an der TU Darmstadt studierte sie Sozialwissenschaften an der EHESS in Paris und visuelle Kunst im IUAV in Venedig. 2020 war sie Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg und wurde 2020 Mitglied des Kollektivs für Öffentlichen Protest Warschau (Archive of Public Protest APP). 2021/22 erhielt sie ein Stipendium an der Cité Internationale des Arts in Paris.


Öffnungszeiten: 
Mittwoch - Freitag: 10:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag - Dienstag: geschlossen 

Informationen direkt unter: galerie.karlsruhe.de

Ausstellungsansicht Florina Leinß. Echoes and Traces © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Lizzy Ellbrück.
24.09.2022 - 12.03.2023

Retour de Paris. Florina Leinß & Karolina Sobel

Städtische Galerie Karlsruhe

Lorenzstraße 27
76135 Karlsruhe