Zwischen Schönheit und Vergänglichkeit, zwischen Prunk und Objekten des Alltäglichen - Stillleben haben als eigenständige Bildgattung spätestens seit dem Barock Einzug in die Kunstgeschichte gehalten. Als künstlerische Anordnung von leblosen oder unbeweglichen Objekten wie Blumen, Früchte, Gefäße oder Bücher, erfolgt die konkrete Auswahl und Inszenierung der Gegenstände nach thematischen Gemeinsamkeiten, symbolischem Gehalt und ästhetischen Aspekten. Wenngleich die Trennlinien zu anderen Bildgattungen wie beispielsweise der Genremalerei fließend sind, sind Stillleben ohne die Darstellung von Personen gekennzeichnet. Der Mensch ist lediglich indirekt durch Spuren anwesend.
Eine erste Hochphase der Stillleben-Produktion findet im 17. und 18. Jahrhundert statt. Hier bilden sich spezielle Typen wie das Blumenstillleben, das Vanitasstillleben oder das Küchenstillleben heraus. Neben Italien, Spanien und Deutschland ist das Sujet vornehmlich in der niederländischen Bildtradition vorzufinden. Der im Deutschen gebräuchliche Begriff geht daher auch auf das niederländische „stilleven" (für „stil" = still, lautlos und „leven* - Leben, Dasein) zurück. In den barocken Stillleben steht zum einen das Vorführen des künstlerischen Handwerks sowie die standesgemäße Repräsentation der Kunstschaffenden durch die abgebildeten Gegenstände im Zentrum. Durch eine zeichenhafte Bildsprache können darüber hinaus auch moralisierende Botschaften transportiert werden. Das Ansehen der Gattung, die zunächst als minderwertig im Vergleich zur Historien-, Porträt- und Landschaftsmalerei gilt, verdankt das Stillleben auch der Tatsache, dass es als dekoratives Wandstück schnell kommerzielle Erfolge feiert. Besonders Blumenstillleben erfreuen sich rasch großer Beliebtheit, da sie es vermögen, ganzjährig für einen frischen, blühenden Anblick im Haus zu sorgen.
Im 20. Jahrhundert wird das Sujet durch künstlerische Neuerungen und gesellschaftliche Umbrüche weiterentwickelt. Eine kulturell aufgeladene, symbolische Bildsprache weicht zugunsten einer künstlerischen Experimentierfreude. Stillleben finden nun nicht mehr nur als bloße illusionistische Abbildung auf der Leinwand statt, sondern werden durch motivische, formal-ästhetische und konzeptuelle Ansätze neu gedacht. Durch die formalen Spielereien der frühen Avantgarden werden am Stillleben Fragen von Abbildung und Abbildbarkeit der Realität vorgenommen. Die Erweiterung des Kunstbegriffs durch das objet trouvé - bei dem gefundene Objekte zu eigenständigen Kunstwerken werden oder in Arbeiten integriert werden - ermöglicht den dinglichen Einzug der Realität in das Werk. Konzeptuelle Arbeiten hinterfragen die Konstruktion der Gattung an sich, ebenso wie Wert und Wertigkeit. Insbesondere ab 1900 kann festgehalten werden, dass die dargestellten Objekte immer mehr aus dem direkten Umfeld der Kunstschaffenden kommen. So hält auch das Übersehene und das Verworfene Einzug in die Werke. Das Stillleben wird somit zum Spiegel der bürgerlichen Wirklichkeit. Wie das Sujet in unsere heutigen Sehgewohnheiten einwirkt, erzählt der Film Stillleben von Harun Farocki im Medienraum (Erdgeschoss) als Teil der Ausstellung. Ausgehend von den eigenen Beständen des Museums spannt die Ausstellung den Bogen von 1900 bis heute und verdeutlicht immer wieder den Bezug zu unserer Lebensrealität.
Hinter dem Rahmen 13
26721 Emden