Als die Kunstsammlung Jena im Sommer 2014 die Schenkung der Sammlung Opitz-Hoffmann erhielt, bedeutete das nicht nur zahlenmäßig mit über eintausend Arbeiten einen erheblichen Zuwachs. Auch durch ihre Qualität und Kohärenz stellt die Sammlung die mit Abstand wichtigste Bereicherung des Museumsbestands seit dem Zweiten Weltkrieg dar, welche dank einer Vielzahl substanzieller Nachreichungen in den letzten Jahren noch ausgebaut wurde. Eine prägende Entwicklung, deren museale Präsentation und Aufarbeitung nach einer ersten überblickenden Gesamtschau 2016 sowie der vertiefenden Vorstellung des spezifischen Kapitels der Künstlerbücher 2021 weder als erschöpft noch als gebührend gewürdigt gelten können.

Mit dem jetzigen Ausstellungsvorhaben zu den Multiples der Sammlung Opitz-Hoffmann wird ein weiterer Schwerpunkt erschlossen, der nicht bloß durch einen Gattungsbegriff als Thema zusammengehalten wird, sondern konzeptuell zum Ausdruck bringt, was die Ausrichtung der Sammlung auch inhaltlich determiniert.

Multiples, zu Deutsch Auflagenobjekte, sind beispielhaft für den Anspruch von Künstlerinnen und Künstlern in der Nachkriegszeit, sich mit neuen Ideen gegen die etablierten Formen der Kunst zu wenden. „Kunst für alle!“, lautet so ein prägnantes Credo, das der gesellschaftskritischen und nonkonformistischen Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre entwuchs und zum Schlüsselgedanken für neue Ausdrucksformen wie dem Multiple wurde. Viele der nationalen und internationalen Positionen in der Sammlung Opitz-Hoffmann entwickelten sich aus diesem Nährboden; ein großer Teil der Werke entstammt jenem Wirkungsraum der Städte Köln, Bonn und Düsseldorf, wo in der Zeit vor 1989 transgressive Strömungen, wie etwa die Fluxus-Bewegung florierten.

Das Multiple wurde hier zu einer wichtigen, charakteristischen Gattung. Begrifflich ursprünglich durch den Schweizer Künstler Daniel Spoerri und seine Edition MAT (Multiplication d’Art Transformable, 1959) geprägt, bleibt es schwierig, das Multiple definitorisch scharf zu umranden. Essenziell ist die serielle, vom Künstler autorisierte Produktion, wobei es sich im Unterschied zu druckgrafischen Arbeiten meist um dreidimensionale Objekte handelt. Der künstlerische Entwurf wird multipliziert, d. h. eine Auflage mehrerer, üblicherweise identischer Exemplare des Werks ausgeführt, häufig nicht durch die Hand des Künstlers selbst, sondern durch maschinelle Unterstützung oder Fachkräfte. Hieraus resultiert eine Mehrzahl an Originalen, nicht Kopien, analog zur Druckgrafik, die angesichts eines erweiterten Kunstbegriffs jedoch als einziges Mittel der Vervielfältigung zu eng geworden war. Das Multiple lässt dem Künstler die größtmögliche Freiheit in der Wahl des Materials und Vorgehens.

Ein Blick in die Sammlung zeigt dabei schnell, dass es oft gerade kunstuntypische oder vermeintlich minderwertige Materialien sind, zu denen mit demonstrativem Impetus gegriffen wird. So präsentiert etwa Felix Droese ein zur Kugel geknülltes, mit Weidezaunlitze umwickeltes Plakat als „Atlas“, während Reiner Ruthenbeck eine schwarz glasierte Keramikfliese zum „Taschenspiegel“ deklariert. Die alte Vorstellung des gewichtigen, in seiner Unikalität auratischen Originals wird hier bereits mit der einfachen Verfügbarkeit, niedrigen Produktionskosten und oft hohen Auflagen gekontert.

Folgt man dem kunsthistorischen Blick zurück, stehen Marcel Duchamps teils schon seriell produzierten Ready Mades Pate für eine häufige Präferenz von Alltagsgegenständen. So umwickelte C. O. Paeffgen Regenschirme mit Draht und kleineren Objekten und Bernhard Johannes Blume gestaltete eine „Ideoplastie“-Aktionsvase. Diese ist, wie viele andere Multiples auch, in ihrer ursprünglichen Funktion als Gegenstand theoretisch verwendbar – ebenso, wie mit Jenny Holzers Bleistift-Set gezeichnet werden könnte oder sich die Krawatten und Seidentücher Rosemarie Trockels durchaus zum Tragen eignen.

Die Rolle der herausragenden Gestalt im Bereich der Auflagenobjekt fällt bei all dem zweifelsohne Joseph Beuys zu, der mit mehreren seiner subversiven Arbeiten in der Sammlung Opitz-Hoffmann vertreten ist. Wie kein anderer versinnbildlicht er das Konzept einer Demokratisierung der Kunst sowie das Bestreben, Kunst für wenig Geld unter die Bevölkerung zu bringen und damit die Hybris der Kunst als exklusive Sphäre einer gehobenen Klasse zu unterlaufen. Zur Etablierung des Multiples als künstlerisches Medium trug er entscheidend bei, indem er es regelmäßig, manchmal unlimitiert, im Rahmen seines Konzepts der Sozialen Plastik als über sich hinausweisenden Ideenträger nutze.

Das Ausstellungsprojekt der Kunstsammlung Jena vereint die Multiples von über 30 Künstlerinnen und Künstlern und ermöglicht so eine eingehende Auseinandersetzung mit der markanten Ausdrucksform. Dabei bestechen die Arbeiten nicht nur mit ihren zeit- und gesellschaftskritischen Ideenhintergründen, vor allem wissen sie mit viel intelligentem Witz, seltener Originalität und ästhetischer Raffinesse zu unterhalten und inspirieren.


Öffnungszeiten:
Dienstag - Sonntag: 10:00 - 17:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: kunstsammlung-jena.de

Blume, Bernhard J., Heilsgebilde (Gott), 1990, Multiple
16.12.2023 - 17.03.2024

Multiples. Sammlung Opitz-Hoffmann

Kunstsammlung Jena

Markt 7
07743 Jena