Andreas Gefeller betrachtet den Lebensraum des Menschen und zeigt unbekannte Welten auf: Der Düsseldorfer Fotograf beschäftigt sich mit der technologisierten Gesellschaft und einer vom Menschen dominierten Natur. Das NRW-Forum Düsseldorf präsentiert vom 3. März bis 14. Mai 2023 seine erste Retrospektive. Von Gefellers Anfängen in der analogen und digitalen Fotografie bis zu den jüngsten Arbeiten, die an 3D-Renderings erinnern – die Ausstellung umfasst 60 Werke aus seinem gesamten Schaffen von 2000 bis heute. Die Präsentation verdeutlicht seinen experimentellen Umgang mit dem Medium, durch den er den fotografischen Prozess selbst zum Thema macht.

Andreas Gefeller fordert die visuelle Wahrnehmung heraus: Kategorien wie Groß und Klein, Hell und Dunkel, Farbig und Farblos werden neu bestimmt, das Verhältnis zur Realität immer wieder hinterfragt. Zu seinen Arbeitsweisen zählen das Collagieren digitaler Einzelbilder, Langzeit- Kurzzeit- und Überbelichtungen, Aufnahmen bei Nacht, aus großer Höhe und ungewöhnlichen Perspektiven. So gewinnt er aus scheinbar vertrauten Orten noch nicht dagewesene, verborgene Bilder. Kulissenhafte Aufnahmen von Ferienanlagen bei Nacht, konstruierte Aufsichten auf urbane Räume oder in Licht ertränkte Stadtansichten veranschaulichen Phänomene moderner Gesellschaft. In dieser Spurensuche zeigt sich die Zivilisation, obwohl der Mensch abwesend bleibt.

Die früheste Serie der Ausstellung Soma (2000, Gran Canaria) führt an die Grenzen des Sehsinnes. Gefeller fotografiert leere Sonnenliegen am Strand, verwaiste Apartmentkomplexe oder das Meer, das im Schwarz der Nacht versinkt. Er arbeitet im Dunkeln und nutzt Langzeitbelichtungen, um mit der Kamera bei Nacht Farben wiederzugeben, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Die Serie Blank (2010–2016) verkehrt den Zweck von künstlichem Licht, Dinge sichtbar zu machen, ins Gegenteil: Gefeller fotografiert industrielle Orte wie Autobahnkreuze oder Raffinerien bei Nacht und belichtet diese so stark über, dass nur noch ihre skelettartige Grundstruktur erkennbar ist. Licht benutzt er als Metapher für Information und Überinformation, in der wir Menschen im digitalen Zeitalter ertrinken.

Soziale Netzwerke, die Cloud oder digitale Algorithmen – die Bilder der Serie The Other Side of Light (seit 2016) sind Visualisierungen abstrakter Prozesse der modernen Welt. Es ist eine Spurensuche nach dem Digitalen im Natürlichen. Regentropfen, die auf einer Wasseroberfläche ihre Kreise bilden, gestochen scharfe Pflanzenformationen oder die feinen Linien von Lichtreflexen auf dem Wasser illustrieren Phänomene unseres digitalen Lebens, für die es eigentlich keine Abbildungen gibt.

Auch die Serie Clouds (2019–2021) ist ein Spiel mit Sichtbarkeit. Die Wolken wurden an den Kühltürmen von Kohlekraftwerken fotografiert. Gefeller sieht in ihnen Sinnbilder für die menschengemachte Klimaerwärmung und Umweltverschmutzung.

Aus zwei Metern Höhe und in tausenden digitalen Einzelbildern sind die Arbeiten der Serie Supervisions (2002–2015) aufgenommen, die urbane Räume wie Plattenbauwohnungen, einen Parkplatz oder das Holocaust-Mahnmal in Berlin zeigen. Das so entstandene Foto-Material fügt Gefeller zu einem großformatigen Werk zusammen, das durch die ungewöhnliche Perspektive und den Detailreichtum neue Zusammenhänge offenbart und statt eines einzelnen Moments einen langen Zeitraum abbildet. Auch in The Japan Series (2010) arbeitet er mit Perspektivwechsel und dreht seinen Blick um 180 Grad nach oben, um Strommasten und domestizierte Pflanzen zu fotografieren. Die Aufnahmen erinnern an fragile Zeichnungen oder japanische Schriftbilder. Die Metalldrähte der Strommasten entwickeln ein organisches Eigenleben, während pflanzliches Wachstum durch die Kontrolle des Menschen leblos und eingeengt erscheint.

In seiner neuen, zum ersten Mal ausgestellten Serie Flames (2022) werden Formen sichtbar, die an 3D-Renderings oder Röntgenbilder erinnern. Durch kurze Belichtungen bekommen die Flammen eine Körperlichkeit und visuelle Präsenz. Lebendig oder tot, gasförmig oder fest, echt oder gerendert – Flames zeigt eine reale und doch fremdartige, fast unheimliche Welt jenseits des Sichtbaren. Um Verbrennung als Neuanfang, den Kreislauf des Lebens und der Stoffe, geht es in der Serie Dust (2022). Gefeller fotografiert mit einem Highspeedblitz in die Luft geschleuderte Schlacke, die bei der Verbrennung von Restmüll entsteht. Die in ihrer Bewegung eingefrorenen winzigen Partikel erinnern an kosmische Strukturen. Energiekrise, Klimawandel, Rohstoffausbeutung – die Serie berührt aktuelle Themen und geht doch darüber hinaus. Die menschliche Zivilisation wird zum sprichwörtlichen Staubkorn im Universum.

Der gebürtige Düsseldorfer Andreas Gefeller studierte Kommunikationsdesign und Fotografie an der Folkwang Universität der Künste Essen. Ausstellungen mit seinen Arbeiten waren unter anderem in Amsterdam, London und New York zu sehen. Gefeller lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Die Ausstellung wird kuratiert von Judith Winterhager, NRW-Forum Düsseldorf.