Erstmalige Rekonstruktion des Ateliers der Künstlerin

Paula Rego. Theatrum Mundi ist der erste Versuch, das Atelier von Paula Rego im Norden Londons hier in der Kestner Gesellschaft vollständig zu rekonstruieren. Als solches bietet es einen einzigartigen Einblick in den kreativen Arbeits- und Denkprozess der Künstlerin und lädt uns zu einer Reise in eine transgressive und groteske Welt der theatralischen Fantasie ein, in der Regos unvergleichliche Vielseitigkeit und die Magie ihres Erzählens gefeiert werden.

„Meine Welt spielt sich in meinem Atelier ab!“
Über ihren Arbeitsplatz sagte Rego selbst: „Meine Welt spielt sich in meinem Atelier ab. Das meiste davon besteht aus Dingen, die ich vor vielen Jahren aus Portugal mitgebracht habe: Kleidung, bestimmte Puppen. Es gibt Anzüge, die meiner Großmutter gehörten ...“ Das Atelier, das in zwei Räume unterteilt ist, in den ruhigen Raum (Ruhe und Nachdenken) und den geschäftigen Raum (Arbeit und Aktion), wurde von Lila Nunes, Regos wichtigster und langjähriger kreativer Freundin, sorgfältig und liebevoll rekonstruiert. Sie stand häufig für mehrere bedeutende Werke Regos Modell, darunter Angel, 1998, und die Serie Dancing Ostriches, 1995, die in der Ausstellung zu sehen sind.

Wir danken dem Sohn von Paula Rego, Nick Willing, und Lila Nunes für ihre Unterstützung, die die Rekonstruktion von Regos Atelier hier in der Kestner Gesellschaft ermöglicht hat. 


Paula Rego (* 26. Januar 1935 in Lissabon; † 8. Juni 2022 in London)

Maria Paula Paiva de Figueiroa Rego wird am 26. Januar 1935 in Lissabon geboren, während der Diktatur des Estado Novo von António de Oliveira Salazar. Ihre Mutter studierte Malerei an der Schule der Schönen Künste in Lissabon; ihr Vater war Elektroingenieur und stammte aus einer antifaschistischen und antiklerikalen Familie. Zwischen 1936 und 1937 wird Rego von ihren geliebten Großeltern väterlicherseits betreut und kommt im Alter von zweieinhalb Jahren wieder mit ihren Eltern zusammen.

Rego und ihr Vater teilen die Leidenschaft für italienische Opern von Puccini und Verdi und besuchen gemeinsam Aufführungen im São Carlos Theater in Lissabon. Um der repressiven Herrschaft des Estado Novo zu entkommen, schickt ihr anglophiler Vater Rego auf die Grove Finishing School in Kent; sie wechselt aber nach zwei Schuljahren an die Slade School of Fine Art in London (1952–1956). Im Alter von 17 Jahren lernt sie dort ihren zukünftigen Ehemann, den Malereistudenten Victor Willing (1928–1988), kennen.

1954 gewinnt sie mit dem Ölgemälde Under Milk Wood den jährlichen Slade-SummerComposition-Wettbewerb. Zwischen 1956 und 1961 bringt sie ihre drei Kinder zur Welt: Caroline (Cas), Victoria und Nick. 1957 zieht die junge Familie nach Casal da Ribeira da Baleia, in das Bauernhaus der Großeltern in Ericeira. 1961 stellt Rego zum ersten Mal mit der sogenannten „Londoner Gruppe“ aus – zusammen mit David Hockney, Michael Andrews und Frank Auerbach. 1965 hat sie ihre erste Einzelausstellung in der Modern Art Gallery der Nationalen Gesellschaft der Schönen Künste Lissabon, mit neunzehn Collage-Gemälden.

1972 lässt sich die Familie dauerhaft in London nieder. Die Nelkenrevolution von 1974 beendet die portugiesische Diktatur. 1983 kehrt Rego als Gastdozentin für Malerei nach Slade zurück, nimmt an zahlreichen Ausstellungen teil, unter anderem im Arnolfini, Bristol und im Camden Art Centre. Ihre erste Einzelausstellung fand in den USA im Art Palace, New York (1985) statt.

1987 beginnt sie mit Modellen zu arbeiten, vor allem mit Lila Nunes, Willings Studioassistentin und Betreuerin. 1988 stirbt ihr Ehemann Victor Willing, 22 Jahre nach seiner Diagnose Multiple Sklerose. Im selben Jahr veranstaltet Rego eine große Retrospektive in der Calouste Gulbenkian Foundation, die danach in die Casa de Serralves in Porto wandert, und sie hat ihre erste große Einzelausstellung in London in der Serpentine Gallery.

1990 nimmt Rego die Einladung an, die erste „Associate Artist in Residence“ in der National Gallery in London zu werden; während dieses Aufenthalts entwirft Rego das monumentale Tableau Crivelli’s Garden, das die Meisterwerke der National Gallery neu interpretiert.· 1993 zieht sie in ihr letztes Atelier in Camden Town (hier nachgebaut). Inspiriert durch das Werk des spanischen Barockmalers Bartolomé Esteban Murillo in der Sammlung der Dulwich Picture Gallery, malt Rego Angel (1998), ein rächendes Symbol der weiblichen Stärke.

Zur gleichen Zeit, nachdem ein Referendum in Portugal aufgrund der geringen Wahlbeteiligung zur Legalisierung der Abtreibung gescheitert ist, beginnt Rego mit der Arbeit an einer Serie großer Pastelle zu diesem Thema. Ihre Bilder werden anschließend in der portugiesischen Presse verwendet, um das zweite Referendum im Jahr 2007 zu unterstützen, das zur Legalisierung der Abtreibung führt. Ebenfalls 1998 entwirft Rego die Kostüme für There and Back Again, das Ballett, das von ihrer Nursery-Rhymes-Serie für die Spielzeit 1998/1999 der Calouste Gulbenkian Foundation inspiriert wurde (s.o.).

2007 findet eine große Retrospektive ihrer Arbeiten im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid statt, die im darauf folgenden Jahr in das National Museum of Women in the Arts in Washington, DC wandert. Im selben Jahr durchlebt Rego eine schwierige Zeit der Depression, in der sie eine Serie von zwölf Pastellen zu diesem Thema anfertigt, die zunächst zehn Jahre lang in einer Schublade im Atelier der Künstlerin verschlossen bleiben.

2009 wird in Cascais, Portugal das von dem Architekten Eduardo Souto de Moura entworfene Museum Casa das Histórias Paula Rego eröffnet; es beherbergt eine ständige Sammlung von Regos Werken sowie Wechselausstellungen. Einen intimen Einblick in ihr Leben und ihre Arbeit bietet Paula Rego in Secrets & Stories, 2017, einem Dokumentarfilm unter der Regie ihres Sohnes Nick Willing, der von der BBC ausgestrahlt und auch hier während der Ausstellung zu sehen ist.

Eine große Retrospektive wird von der Tate Britain veranstaltet (2021) und wandert ins Kunstmuseum Den Haag und ins Museo Picasso Málaga. Paula Rego stirbt am 8. Juni 2022 in Hampstead, London.