Die Sammlung Rudolf vereint rund 60 Werke des Historikers und Autodidakten Carl Gerhardt Rudolf. Avantgardekünstler wie Lucio Fontana, Maler der Klassischen Moderne wie Picasso und Piet Mondrian finden sich ebenso im angeeigneten Repertoire Rudolfs wie der hannoversche Dadaist Kurt Schwitters und viele andere. Spannend und gleichermaßen tragisch ist C.G. Rudolfs Leben, das zeitweise unfreiwillig für Devisenbeschaffungsdienste der DDR-Regierung vereinnahmt wurde.

DIRK DIETRICH HENNIG
Erdacht hat den Künstler Carl Gerhardt Rudolf der Künstler Dirk Dietrich Hennig (*1967 in Herford), der seit Jahren an seiner Unsichtbarkeit arbeitet und Protagonisten der Kunstwelt – erfundene wie reale – an seine Stelle treten lässt und durch sie Geschichtsschreibung und ihre Rezeption einer kritischen Betrachtung unterzieht. Hennig erfindet Künstlerpersönlichkeiten und verwebt sie mit wahren Geschehnissen. Diese Kunstform, die sich der Einbettung von fingierten Figuren in einen real geschichtlichen Kontext bedient, mischt Fakt und Fiktion. Er arbeite mit „Geschichtsinterventionen“, so der Künstler über seine Arbeitsmethode. Redakteur der Monographienreihe „Kunst der Gegenwart aus Niedersachsen“ und ehemaliger Direktor des Sprengel Museum Hannover Ulrich Krempel schreibt über Hennig und das Inszenieren der Geschichte im 77. Band ebendieser Reihe:

„Hier sei der Hinweis auf die nunmehr ständig wachsende Anzahl von Personen erlaubt, die in der fiktiven Welt der einzelnen Recherchen, Ausstellungen und Installationen tätig werden. Das Personal der Inszenierungen spiegelt die historische Zeit, greift auf reale Figuren ebenso zurück wie auf erfundene Mitwirkende.“

Die Stiftung Niedersachsen freut sich, dass das Spektrum der Monographienreihe mit Dirk Dietrich Hennig „um eine neue, ganz eigenständige künstlerische Position erweitert und bereichert wird", sagt Matthias Dreyer. 76 Künstler*innen verschiedener Sparten hat die Reihe bisher präsentiert – darunter Antje Schiffers, Björn Melhus, Lienhard von Monkiewitsch und Emil Cimiotti.

Mehr zu „Kunst der Gegenwart aus Niedersachsen“ und eine Liste vormaliger Künstler*innen, die in der Buchreihe erschienen sind, finden sich auf der Website der Stiftung Niedersachsen.

DIE KÜNSTLERISCHEN ANFÄNGE C.G. RUDOLFS UND EINE ANTITHESE
Als Historiker arbeitete Rudolf ursprünglich an der Reaktivierung des Aurabegriffs in der Kunst. Anhand kopierter Werke der Moderne versuchte er zu belegen, dass die Aura eines Kunstwerks (Walter Benjamin) nicht werkimmanent, sondern von seinen Betrachtenden auf das Werk projiziert werde. Im Jahr 1965 konstatiert Rudolf:

„Wenn die Aura nicht dem Kunstwerk immanent, sondern vom Betrachter in das Werk projiziert wird, dann ist das Kunstwerk Projektionsfläche für das Bedürfnis nach Bedeutsamkeit und Kontemplation. In der Begegnung zwischen Betrachter und Kunstwerk füllt sich ein Vakuum, das nach der Aufklärung als Rest des religiösen Bedürfnisses der Gesellschaft geblieben ist.“

DIE AUSSTELLUNG
Mit Rudolfs Nachlass vereint die Ausstellung rund 60 undatierte Arbeiten, darunter finden sich sowohl kopierte Werke bedeutender Künstler wie Pablo Picasso, Piet Mondrian, Kurt Schwitters, Claes Oldenburg, Lucio Fontana, Roy Lichtenstein und Christo, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus sind Arbeiten, die Rudolf einem bestehenden Oeuvre hinzugefügt hat, sowie historische Dokumente – Akten und Presseartikel – in der Ausstellung präsentiert.

ÜBER DEN INOFFIZIELLEN MITARBEITER RUDOLF, DECKNAME REMBRANDT
In der DDR wird Rudolf Mitte der 1960er-Jahre als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit geführt, Deckname Rembrandt. In der geheimen Unterabteilung Moderne Kunst (MoK) der Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo), unter Leitung von Alexander Schalk-Golodkowski, wird Kunst zum Zweck der Devisenbeschaffung gefälscht und über Schweizer Galerien ins europäische Ausland verkauft. C.G. Rudolf arbeitet über 20 Jahre unter Zwang bis zur Wende in dieser Abteilung.

Nach der deutschen Wiedervereinigung lebt Rudolf bis zu seinem Tod 2012 in Venedig. Es ist nicht auszuschließen, dass er seinen Unterhalt durch den Verkauf gefälschter Werke bestritt. Sein Fall geriet an die Öffentlichkeit, als sein Neffe einem Auktionshaus eine vermeintliche Arbeit von Piet Mondrian aus dem Nachlass der Sammlung Rudolf anbot und diese als identifizierte Fälschung abgelehnt wurde.

Künstler Dirk Dietrich Hennig bemerkt:
„Die weitere Forschungsarbeit wird gegebenenfalls mehr Klarheit in dieses neue Thema der deutsch-deutschen Vergangenheit bringen. Die theoretischen Schriften Rudolfs werden zurzeit aufgearbeitet, um sie in einer kommentierten Publikation der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

KOMMERZIELLE KOORDINIERUNG (KOKO) UND KUNST UND ANTIQUITÄTEN GMBH
Ideengeber und Organisator von KoKo und K&A war Alexander Schalck-Golodkowski, Staatssekretär im DDR-Ministerium für Außenhandel und Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit. Die An- und Verkaufslisten der K &A befinden sich seit dem Frühjahr 2015 im Bundesarchiv für Stasiunterlagen (BStU) in Berlin. Die Auswertung der Dokumente führte zur Entdeckung der bislang unbekannten Abteilung Kommerzielle Koordinierung: Moderne Kunst (MoK), bestehend aus einer Gruppe von begabten Künstlern, die unfreiwillig am staatlich verordneten Kunstfälschen zum Zweck der Devisenbeschaffung beteiligt waren.

DISCLAIMER
Carl Gerhardt Rudolf ist eine fiktive Kunstfigur. Die Ereignisse seines Lebens und die ausgestellten Artefakte sowie die Unterabteilung MoK sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen und deren Handeln ist rein zufällig. Es besteht jedoch eine Ähnlichkeit mit dem Künstler Dirk Dietrich Hennig, der Rudolf erfunden hat und diesen verkörpert. Der geschichtliche Rahmen der Ausstellung mit Bezügen zu KoKo, Schalck-Golodkowski sowie dem Bundesministerium für Stasi-Unterlagen ist real.

KUNST DER GEGENWART AUS NIEDERSACHSEN
Der Band „Dirk Dietrich Hennig“ (Wallstein Verlag, 90 Seiten) ist erhältlich im Sprengel Museum Hannover, er kostet 19,80 Euro.

Die Ausstellung wird gefördert durch die und findet in Kooperation mit der Stiftung Niedersachsen statt.