Seit 2017 stiftet der Freundeskreis Kunstmuseum Reutlingen | Spendhaus e.V. alle zwei Jahre den Holzschnitt-Förderpreis und ermöglicht damit jungen Künstlerinnen und Künstlern eine Unterstützung in ihrer Auseinandersetzung mit dem traditionsreichen Medium. Die Auszeichnung ist sowohl mit einem Preisgeld in Höhe von 2.500 Euro als auch mit einer Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen | Spendhaus und einem begleitenden Katalog verbunden. Die Auswahl des Preisträgers obliegt einer renommierten Persönlichkeit der Bildenden Kunst und in diesem Jahr wählte Prof. Klaus Lomnitzer (*1970 in Marburg, seit 2016 Professor für Grafik und Malerei am Institut für Bildende Kunst der Philipps-Universität Marburg) die junge Künstlerin Julia Weißflog (* 1993 in Steinheim, Nordrhein-Westfahlen), die letztes Jahr ihren Abschluss in Bildender Kunst und künstlerischer Konzeption an der Philips-Universität Marburg absolviert hat für die nun vierte Ausgabe dieses Preises aus. Weißflog lebt und arbeitet als Künstlerin in Marburg und beschäftigt sich intensiv mit verschiedenen Drucktechniken, unter anderem mit dem Holzschnitt. 

Im ersten Obergeschoss ist auf einer Etage ein umfassender Einblick in Julia Weißflogs aktuelles Schaffen zu sehen. Die eigens für die Ausstellung „Scheinbar Unwichtiges“ realisierten Holzschnitte werden ergänzt von Linolschnitten und einer installativen Arbeit mit dem Titel „Drei Geschosse“. Im Zentrum von Weißflogs Werk stehen Erinnerungen, insbesondere ihre Kindheitserinnerungen, die an das von ihren Eltern verkaufte Haus als wichtigsten Ort ihrer Kindheit und Jugend gebunden sind. Die Unmöglichkeit, jemals wieder dorthin zurückkehren zu können, ließen die Künstlerin mit bittersüßen Erinnerungsbildern zurück. Im Druckprozess begibt sie sich auf die Suche nach Verlorengegangenem in den Tiefen des Gedächtnisses, das sie an die Oberfläche hervorholt und auf dem Blatt wieder sichtbar macht. Manche Erinnerungen sind als Bild im Inneren präsent, andere sind an gewöhnliche Gegenstände gebunden. 

Im Druck hat sie ihre Technik und in Linol und Holz ihr Medium gefunden. Aus einzelnen Blättern bestehend und durchnummeriert sind ihre Arbeiten alle Teil der Serie „Scheinbar Unwichtiges“. Zunächst geht es Weißflog um das Material selbst, um das Herausschneiden, Herausschaben und Herauslösen einer Form aus der Materie. Indem sie aus Linol- oder Holzplatten Teile entfernt, entfernt sie – gefühlt – auch Teile aus sich selbst: „Ich trage auf, aber eigentlich schäle ich in mir ab“. Bis zu zehn Druckschritte liegen einem Blatt zugrunde und es wechseln sich Holz- und Linolschnitte von konkreten Motiven - wie Hände, Häuser, Bonbonpapiere, Klammern - mit Materialdrucken ab, die aus Papierresten, Kartons und Verpackungsmaterialien bestehen, die achtlos weggeworfen wurden und ebenfalls unter die Kategorie des „scheinbar Unwichtigen“ fallen. Die Künstlerin arbeitet mit zwei verschiedenen Arten des Druckens: Handabzug und Druckerpresse. Beim Handabzug wird auf das Blatt nur die Kraft des eigenen Körpers angewendet, beim zweiten dagegen erfolgt der Druck mit der Presse stark und satt auf dem Papier. Dadurch entstehen klar konturierte Gebilde, die mit zarten, fast schon luftigen Flächen in ein Spannungsverhältnis treten. Auf poetische Art und Weise macht die Künstlerin durch unterschiedliche Drucktechniken Erinnerungsvorgänge sichtbar. Ihre Motive von scheinbar unwichtigen Dingen verbergen individuelle Geschichten, die sich nach und nach in Schichten entfalten. Aus der subjektiven Erfahrung, die sie im Druckprozess verbildlicht, schafft sie einen Assoziationsraum, der sich nicht nur auf sich selbst beschränkt, sondern vielmehr zum Dialog mit den Betrachter*innen einlädt.

Zur Ausstellung ist Katalog im Wienand Verlag erschienen.


Öffnungszeiten:
Mittwoch, Samstag, Sonntag (Feiertag): 11:00 - 18:00 Uhr
Donnerstag - Freitag: 14:00 - 20:00 Uhr
Montag - Dienstag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: kunstmuseum-reutlingen.de