Hana Miletics zarte Gespinste sind Erzählungen über Wachstum und Zerfall, über Verletzung und Heilung, über Verbundenheiten durch Zeit und Raum. Sie bilden Gegenentwürfe zum Streben nach Effizienz, zur Atemlosigkeit unserer Gesellschaft.

Das liegt zum einen an dem Prozess, den ihre Werke durchlaufen, zum anderen an der Technik, für die sie sich entschieden hat. Am Anfang steht die Kontaktaufnahme. Auf Spaziergängen durch den urbanen Raum entwickelt die Künstlerin nicht nur ein Gefühl für den Ort, sondern sucht auch nach Anzeichen für Umbruch-situationen, für Transformationsprozesse. Stadtentwicklungsprojekte, Neubaugebiete, vernachlässigte, abgehängte Viertel ziehen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Mit Fotografien hält Hana Miletic diese Orte und Eindrücke fest. Dabei hält sie sich nicht bei der Monumentalität oder Wiedererkennbarkeit von Stadtarchitektur und -mobiliar auf. Vielmehr konzentriert sie sich auf Details, auf Unfertigkeiten oder Stückwerk. Sie sucht nach Verhüllungen aus Folie, die zum Schutz oder als Provisorium angebracht wurden oder geklebten Reparaturen, die Bruchstellen notdürftig kitten. Dieser Bestandsaufnahme und Materialsammlung folgt die Motivfindung, die Auswahl der Nebensächlichkeiten, die im nächsten Schritt in gewebte Formen übersetzt werden. Denn gerade diese Nebensächlichkeiten bilden für Hana Miletic zentrale Motive in der Wahrnehmung des menschlichen Lebens- und Gestaltungsraumes und münden in die eigentlichen Kunstwerke. So verwandelt sich eine Ansammlung von behelfsmäßig aneinander geklebten Plastikfolien in eine gewebte Collage aus unterschiedlich nuancierten Stoffteilen divergierender Stärke – von hauchdünn bis opak. Getapte Stellen an Laternen oder Autofenstern erscheinen als farbige Streifengebilde an der Wand, die ohne ihren Ursprungszusammenhang mal lose Beziehungsgeflechte ausbilden und sich mal zu eigentümlichen Figuren zusammenfinden. Indem sie Teile aus ihrem Bezugsrahmen löst, Bild in Material und temporäre Kaschierung in vollendetes Objekt übersetzt, abstrahiert Hana Miletic formal und inhaltlich. Das zentrale Element dieses Abstraktionsprozesses bildet das Weben – eine Technik, die sowohl Wissen und handwerkliche Fertigkeit als auch ein schier aus der Zeit gefallenes Maß an Langmut erfordert.

Die Entscheidung für eine derartige Technik, kann nur mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Material, Motiv und Tätigkeit einhergehen, denn sie ist im Sinne unseres zweckorientierten Weltverständnisses ineffizient; Resultate entstehen langsam und benötigen Zeit, Ruhe und Geschicklichkeit.Den Antrieb der Künstlerin bildet ebenjene Leidenschaft, aber auch die tiefe Überzeugung, dass diese Zeichen des Umbruchs innerhalb des Stadtraums, von Gemeinschaften, von zwischenmenschlichen Begegnungen es wert sind, wahrgenommen und analysiert zu werden. Sie ordnet diese Zeugnisse ökonomischen Erwägungen über. Sie fixiert sie und macht sie über ihre visuelle Erscheinung hinaus haptisch, greifbar. Es ist eine Qualität von Hana Miletics künstlerischer Praxis, bildhafte Eindrücke in begreifbare Objekte umzuwandeln. Die Künstlerin selbst bezeichnet diese Arbeitsweise als vom Kopf zur Hand zurück zum Kopf.

Nun zurück zu dem eingangs verwendeten Wort Gespinst, das ein zum Zweck des Beutefangs konstruiertes Spinnennetz bezeichnet. Es bildet ferner ein Synonym für den Kokon, das Nest von Raupen. Damit benennt es ein Gebilde, das etwas umfängt und konserviert. Allgemein steht der Begriff für etwas Gesponnenes, für ein zartes Gewebe oder Netzwerk. In der Textilindustrie bezeichnet es einen endlosen Faden. Bedeutungen, die in Hana Miletics Werk tief verwurzelt sind: Gefangensein und Schutz, Fragilität und Beständigkeit, Routine und deren Durchbrechung, Miteinander und Gegeneinander, Bild und Objekt und natürlich der endlose Faden. Denn gezeigt werden nicht einzelne Fäden mit Anfang und Ende, sondern Gewebe, Netzwerke aus Fäden – visuelle und physische Verbindungen. Aus all diesen Charakteristika sprechen eine außergewöhnliche Sensibilität und Respekt gegenüber dem Zustand der Jetztzeit, aber auch gegenüber einer gemeinsamen Vergangenheit. Hana Miletic webt entlang der Bruchstellen unserer Gegenwart und schafft damit Konstanten und Verbindungen über Epochen hinweg.

Ihre Einzelausstellung Pieces in der Kunsthalle Mainz ist die erste Soloschau von Hana Miletic im deutschsprachigen Raum. Sie wird existierende Werke und Neuproduktionen vereinen. Einen Schwerpunkt bildet dabei das Zollhafenareal als größtes innerstädtisches Entwicklungsprojekt in Mainz.

Pieces ist eine Kooperation mit dem MMSU – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Rijeka.

DIe Ausstellung wird gefördert durch Kultursommer Rheinland-Pfalz und KIOSK Vlaanderen.

Zu der Ausstellung erscheint ein Katalog.