Eine Kooperation mit der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und mit dem Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

Mit Werken der Künstler:innen: Heidi Bucher, Lawrence Malstaf, Marshmallow Laser Feast, Petra Noordkamp, Claudio Parmiggiani, Toni R. Toivonen und Exponaten aus dem Archäologischen Park von Pompeji, dem Prähistorischen Museum Florenz „Paolo Graziosi”, dem Naturhistorischen Museum Wien, dem LWL-Museum für Naturkunde in Münster, der Associazione Gibellina Parco Culturale und von Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik (ITP) an der GoetheUniversität Frankfurt

Das Anwesende des Abwesenden
Was wie ein Widerspruch klingt, ist der Kern der Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden. Atemberaubende Kunstwerke und Wissenschaftsexponate laden im Frankfurter Kunstverein zu Erlebnissen des Staunens und des Berührtseins ein. Die Abgüsse von Menschen aus Pompeji, die vor fast 2000 Jahren aus dem Leben gerissen und vom Vulkanmaterial als Negativform erhalten wurden – was lassen sie den Betrachter erahnen? Die versteinerten Fußabdrücke prähistorischer Menschen, die vor 3,6 Millionen Jahren entstanden – was sagen sie uns über die Existenz dieser Menschen? Die monumentalen, sakralen Messingbilder von Tierabdrücken des jungen Künstlers Toni R. Toivonen – warum erschüttern sie uns?

Die unterschiedlichen Spuren, die vergangene Augenblicke des Lebens in Materie festhalten, öffnen unsere Gedanken über unser Dasein in der Welt und in der Zeit. In flüchtigen Augenblicken verbinden wir uns mit der Ewigkeit und geben Momenten des Seins eine materielle Form. Kunst ist ein Weg, durch intuitives Begreifen mit diesen Momenten in Resonanz zu gehen.

Die Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden kreist thematisch um die zeitlose Auseinandersetzung des Menschen mit der Idee der Veränderung und der Vergänglichkeit und deren Formen der Repräsentation in der Kunst. Der Titel spielt auf die Materie als Präsenz an, in der sich Spuren des Lebenden einschreiben. Die vitale Energie ist kraftvoll, jedoch flüchtig. Und sie hinterlässt ein Zeichen, eine Spur, welche die Zeit überdauern kann. Werke bedeutender zeitgenössischer Künstler:innen treffen auf wissenschaftliche Exponate der Geologie, der Astrophysik, Abgüsse aus Pompeji, Fußabdrücke prähistorischer Menschen von Laetoli und Nachbildungen prähistorischer Höhlenzeichnungen. Alle Exponate verweisen auf große und kleine Ereignisse im Netz des Lebens und auf dessen Transformation in Raum und Zeit.

Seit Anbeginn der Menschheit hat Homo Sapiens das Verlangen, die Welt zu verstehen. Mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen Menschen die Eigenschaften der Welt. Um dies zu tun, haben sie immer komplexere Instrumente entwickelt. Das daraus gewonnene Wissen ist von großer Bedeutung. Es ermöglicht Erkenntnisse zu erlangen und Zusammenhänge zu verstehen. Und gleichzeitig gelingt es unserem Verstand nicht immer, von Zahlen und Fakten berührt zu werden, um vielleicht unser Handeln auf der Welt zu ändern.

Und was macht Kunst? Sie führt komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse zu uns und auf uns zurück. Durch Musik, Dichtung und bildhafte Ausdrucksformen fragt sie nach der Bedeutung des Wissens für uns. Sie schafft erweiterte Vorstellungen und sinnliche Erlebnisse, die nach übergeordneter Bedeutung und Sinnhaftigkeit streben. Es sind Erzählungen und deren Verwobenheit mit dem Großen und Ganzen, welche die Abstraktion der Zahlen und Begriffe auf die Existenzen einzelner zurückbindet und zusammenfügt.

Woher kommen wir? Was ist der Ursprung aller Materie auf der Erde und in der Unendlichkeit des Kosmos? Welche Auswirkungen schaffen Naturereignisse, die die Erde umformen und das Leben der Menschen mit ihrer Macht verändern? Und wie gehen Menschen mit dem existentiellen Bedürfnis um, sich in ihrer Endlichkeit der Ewigkeit zu stellen? Welche Mythen und welche Bilder schaffen sie, um sich mit dem Spirituellen zu verbinden? Ist Kunst ein Weg, ein Zeugnis von sich selbst in die Zeit einzuschreiben?

Die Ausstellung ist diesen Fragen nachgegangen, Fragen die das Vorstellungsvermögen der Menschen seit der Urzeit bis in die heutige Epoche umtreiben. Seit es Menschen auf der Erde gibt, erfinden sie Erzählungen, Symbole und Zeichen, um ihrem Fühlen, Denken und Wissen eine Form zu geben.

Die Ausstellung als Kooperation von Kunst und Wissenschaft
Mit der Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden schreibt der Frankfurter Kunstverein die Zusammenarbeit mit der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ein viertes Mal fort. Nach Trees of Life (2019), Edmonds Urzeitreich (2020) und Bending the Curve (2023), entsteht nun eine Schau, in der der Frankfurter Kunstverein mit Hilfe der Wissenschaft, komplexe Fragen auf existentielle Fragen der Menschheit stellt. Die Zusammenarbeit erwächst aus den fortwährenden Gesprächen zwischen Prof. Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins und Prof. Dr. Andreas Mulch, Direktor des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt. 

Zusätzlich haben wir Prof. Dr. Luciano Rezzolla vom Institut für Theoretische Physik der GoetheUniversität gewinnen können, Wissenschaft und Kunst als gemeinsame Kraft menschlichen Denkens und Forschens in einen intensiven Dialog treten zu lassen.

"Die Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden ist ein Herzensprojekt und über mehrere Jahre gereift. Keimzelle dafür war meine Begegnung mit den Abgüssen in Pompeji. Ich war tief berührt. Sie sind nicht symbolisch, nicht Kunst, sondern durch die Naturgewalt eines Vulkans und durch die Intuition eines Archäologen für uns heute, nach fast 2000 Jahren sichtbar! Zeitgleich lernte ich den jungen Künstler Toni R. Toivonen aus Finnland kennen und war beeindruckt. Und so wurde die Frage nach der Anwesenheit des Abwesenden eine Reise, auf wir uns gemeinsam mit wunderbaren Künstler:innen und Wissenschaftler:innen begeben haben: auf der Suche nach Spuren des Seins.“ Prof. Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins

„Wissenschaft und Kunst bieten unterschiedliche Zugänge zur Entdeckung der Natur. Beide vereinen sich jedoch wunderbar, wenn es um Einblicke in das Abwesende geht. Wenn wir Funktionszusammenhänge zwischen Biosphäre, der festen Erde und dem Klimasystem verstehen wollen oder wenn es darum geht, zu verstehen, wie sich unser Planet vor Millionen von Jahren verändert hat, müssen Wissenschaftler:innen sich häufig Informationen erarbeiten, die nur indirekt in das Vergangene Einblick geben. Sie nutzen zum Beispiel den chemischen Fingerabdruck, den ein globales Ereignis in geologischen Einheiten hinterlassen hat, um so dem Abwesenden Gestalt zu verleihen und dieses greifbar zu machen. Das Abwesende zur beschreibbaren Realität werden zu lassen, das ist die Kunst in der Wissenschaft.“ Prof. Dr. Andreas Mulch, Direktor des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt

„In der Physik geht es darum, die Transzendenz der Mathematik zu nutzen, um die Immanenz des Universums, in dem wir leben, zu enthüllen. Das Foto eines schwarzen Lochs ist ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Objekt, dessen Existenz rein mathematisch war, durch die gemeinsame Arbeit von Hunderten von Wissenschaftlern in ein physisches Objekt verwandelt wurde. Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf diese Reise von der Mathematik zur Physik, von der Abwesenheit zur Anwesenheit und zurück.“ Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt