Mit der Radikalität ihrer künstlerischen Position beeinflusst Martha Rosler seit Jahrzehnten viele zeitgenössische Künstler*innen. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin und Pionierin des kritischen Feminismus vom 6. Juli bis zum 24. September 2023 eine fokussierte Einzelausstellung. Roslers politisches Werk befasst sich mit Fragen von Macht, Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit, mit Kriegsberichterstattung sowie mit gesellschaftlich verankerten Frauenbildern und deren Dekonstruktion. Für ihre gesellschaftskritischen Fotomontagen und Videos nutzt sie vielfältige Medien wie Fotografie, Text oder raumgreifende Installationen. Die Ausstellung der Schirn führt eine in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin getroffene Auswahl an zentralen Werken zusammen, die einen Überblick über Roslers Schaffen seit den 1960er-Jahren bieten. Zentral in dieser Werkauswahl sind Roslers ikonische Serien House Beautiful: Bringing the War Home und Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain sowie ihr einflussreiches Werk The Bowery in two inadequate descriptive systems. Der konzentrierte Rundgang orientiert sich davon ausgehend an drei Themenfeldern: der Ikonografie des Krieges, der Bedeutung des patriarchalen Blickregimes für die Konstitution von Geschlecht sowie Roslers Beobachtung des Wandels in ihrem Umfeld.

Die Ausstellung „Martha Rosler. In one way or another“ wird gefördert durch den Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e.V.

Dr. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt und Kurator der Ausstellung, erläutert: „Martha Rosler verbindet in ihrem Werk starke, emotional provozierende und gleichzeitig zum Nachdenken anregende Bilder und Texte. Ihre visuellen und textlichen Montagen sind dabei zugleich als Kommentar zu verstehen. Bewusst nähert Rosler sich mit einfachen gestalterischen Strategien der Ästhetik der Demonstration. Dies macht ihre Arbeit zu einem Medium des Protests, einem Werkzeug zur Aufklärung und zur Dokumentation des demokratischen Widerstands gegen Ungerechtigkeit. Ihr klarer, analytischer Blick sowie ihre poetische, dekonstruierende und kontinuierliche Bearbeitung aktueller gesellschaftlicher Fragen machen Martha Rosler als Künstlerin für unsere Gegenwart so relevant.“

Luise Leyer, Co-Kuratorin der Ausstellung, betont: „Martha Roslers Werk zählt zur ersten Generation feministischer Kunst der 1960er-Jahre. In vielen ihrer Arbeiten setzt sie sich mit dem menschlichen Körper und seiner Funktion als visuelle Projektionsfläche und politisches Subjekt auseinander. Mittels ihrer Kunst analysiert Rosler Körperpolitik in der Gesellschaft und in den Medien. Ihre Themen bearbeitet die Künstlerin konzeptuell, häufig in Serien und Montagen. In ihren Fotografien und Videos gilt Roslers Aufmerksamkeit vor allem der oft unsichtbaren CareArbeit, der Ausbeutung von migrantischer Arbeitskraft in der Landwirtschaft sowie der Friedensbewegung und anderen politischen Demonstrationen gegen Kriege rund um die Welt.“

WERKE IN DER AUSSTELLUNG
Martha Roslers konsequentes Engagement für Frieden und gegen Krieg zeigte sich schon früh in ihrem Schaffen und prägt bis heute ihre eindringlichen Werke. In der Rotunde der Schirn ist die aus Bannern bestehende Installation Theater of Drones (2013) zu sehen, die mit Infografiken über den damals aktuellen Stand der modernen Kriegsführung und die Überwachung durch unbemannte Fluggeräte aufklärt. Rosler schuf diese Arbeit über „unmanned aerial vehicles“ (UAV) auf Einladung eines Fotofestivals in Charlottesville in Virginia, denn die Stadt war die erste Kommune in den Vereinigten Staaten, die den Einsatz von Drohnen – für militärische ebenso wie für nicht militärische Zwecke – in ihrem Luftraum untersagte.

Den Auftakt der Ausstellung bilden Werke, die verschiedene militärische Konflikte thematisieren. So etwa ihre Serie von Fotomontagen House Beautiful: Bringing the War Home, die im Zeitraum von etwa 1967 bis 1972 während des Vietnamkrieges entstand und fast 40 Jahre später – zwischen 2003 und 2008 – in Reaktion auf die US-Militärinterventionen in Afghanistan und im Irak eine Fortführung erfuhr. Die Künstlerin konzipierte die Arbeiten ursprünglich als Flugblätter für Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und kombinierte Kriegsaufnahmen aus damaligen Nachrichtenquellen mit Bildern von Wohnlandschaften aus Einrichtungsmagazinen.

Die Installation OOPS! (Nobody loves a hegemon) (1999) behandelt den NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien. Ein Fallschirm trägt ein weiß lackiertes Ölfass, auf dem der Titel der Arbeit zu lesen ist, und von der Decke hängen zahlreiche, an kleine Fallschirme erinnernde Stoffservietten mit angebundene Coladosen herab. Ein Artikel der New York Times berichtet von der Unterbrechung der Stromversorgung mithilfe „coladosengroßer“ Sprengsätze, um die militärische Kommunikation zu stören. Der Titel der Installation bezieht sich auf die Bombardierung Belgrads mit vielen zivilen Opfern, darunter auch Frauen und Kinder in einem Reisebus. Auf einem Computer aus der damaligen Zeit und in ausliegenden Texten reproduziert Rosler serbische und albanische Websites mit Online-Propaganda, die als erste Cyber-Kampagne der Geschichte bezeichnet wird.

Die mehrteilige Arbeit It Lingers (1993) entstand kurz nach der militärischen Intervention der Vereinigten Staaten im Irak für die Ausstellung Krieg, die in Graz und somit in unmittelbarer Nähe zu den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien gezeigt wurde. Rosler verbindet Pressefotografien und weitere systematisch angeordnete Elemente aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs bis in die 1990er-Jahre zu einem Tableau von Bildern: Berichte von Gräueltaten während der als „Desert Storm“ bezeichneten US-Intervention im Irak; das Bild einer Militärparade; ein Filmstill aus dem Kriegsfilm Rambo; das Bild eines kriegsverherrlichenden Denkmals, das in einer Gießerei in Greenpoint, Brooklyn, gefertigt wurde; mittelalterliche Folterwerkzeuge in einer Ausstellung in Österreich; Fotos moderner Methoden der militärischen Informationsbeschaffung; Porträts von Adolf Hitler, gefunden auf einem Wiener Flohmarkt; die Zeichnung eines Studenten von Hitler in Uniform von einer Straße in Brooklyn, New York; das Foto eines schwer verletzten Kindes aus dem Bosnien-Krieg sowie von Frauen, die während einer Demonstration Bilder von Kriegsopfern in die Höhe halten; die ikonische Aufstellung der US-Flagge auf dem Gipfel des Suribachi auf Iwojima während des Zweiten Weltkriegs – und ihr erneutes Hissen für die Kamera. Den unteren Rand des Tableaus säumt eine Reihe kleiner Karten von Gebieten rund um den Erdball, in denen damals militärische Konflikte herrschten. Der Krieg ist ein andauernder Zustand, „it lingers“. 

Zwei in Holzkisten installierte Objekte markieren die Silhouetten von US-Kampfflugzeugen. In B52 in Baby’s Tears (1972) schnitt Rosler den Umriss der Boeing B-52 Stratofortress in ein Beet aus Bubiköpfen (Helxine soleirolii) hinein, die auf Englisch „baby’s tears“ (Kindertränen) heißen. Dieses Langstreckenflugzeug diente im Vietnamkrieg zum Abwerfen von Bomben. In Prototype (Sandbox B2) (2006) erscheint hingegen die Kontur des Tarnkappenbombers B-2 Spirit. Dieser wurde unter anderem im Irakkrieg eingesetzt und ist in der Lage, hoch entwickelte und dichte Luftabwehrsysteme zu umgehen. Er war durch konventionelle Techniken der Radarüberwachung nicht erfassbar und teilweise nur als Schatten über sandigem Terrain auszumachen.

Rosler hat zahlreiche Demonstrationen für Frieden und soziale Gerechtigkeit sowie Proteste gegen staatlich unterstützte Gewalt fotografiert. Die Schirn zeigt ältere und neuere Aufnahmen von Protestmärschen, so etwa vom 1. Mai 1981 in Mexiko City, auf denen gut gelaunt wirkende Gewerkschaftsmitglieder zu sehen sind, die Schilder mit Forderungen nach Gleichberechtigung und existenzsichernden Löhnen tragen. Fotografien aus Washington, D.C., zeigen den Marsch auf das Pentagon vom 3. Mai 1981, auf dem für Arbeitsplätze und gegen den Krieg in El Salvador protestiert wurde.

In The Restoration of High Culture in Chile (1977) erzählt Rosler von dem Besuch bei einer mexikanischen Musiker*innenfamilie in Tijuana, in dessen Verlauf auch der kurz zuvor erfolgte Militärputsch vom 11. September 1973 gegen die gewählte sozialistische Regierung Chiles zum Thema wurde. Die Gastgeber*innen, eine wohlhabende Familie der oberen Mittelschicht, begrüßte die Rückkehr zur musikalischen „Hochkultur“ und freute sich über die Wiedereröffnung der „besten Konzerthalle Chiles“, was für die Künstlerin jedoch im Kontrast zu den Umständen des von den USA unterstützten Putsches stand. Die Arbeit beinhaltet Aufnahmen von Schallplattencovern in Originalgröße sowie Bilder von tropischen Fischen aus dem gemütlichen Wohnzimmer.

Die Rolle der Frau in der Gesellschaft und die damit verbundenen Stereotype bilden einen weiteren wesentlichen Schwerpunkt in Roslers Werk. So zeigt die Schirn etwa Fotomontagen aus der umfassenden Serie Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain (um 1966–1972), die sich mit der Darstellung von Frauen vor allem in der Werbung kritisch auseinandersetzt. Die Künstlerin schnitt Bilder von Frauen aus verschiedenen Magazinen aus – von Heimwerkerzeitschriften bis hin zu pornografischen Blättern – und setzte sie in andere fotografische Kontexte. Mit diesen Werken platziert Rosler auf Frauen projizierte sentimentale oder an Gewalt grenzende Fantasien aus dem Unbewussten auf die Ebene des Bildes selbst.

In der Schirn ist auch das populäre Video Semiotics of the Kitchen (1975) zu sehen, das in den 1960er-Jahren beliebt gewordene Fernseh-Kochsendungen parodiert. Die weibliche Protagonistin steht in einer spärlich eingerichteten Küche, benennt simple Kochutensilien in alphabetischer Reihenfolge und führt dazu jeweils eine Bewegung aus, die dem Zweck des Objekts entspricht, wobei die Gesten ebenso aggressiv wie abrupt oder überraschend sind, in jedem Fall aber unproduktiv. Gegen Ende des Alphabets verzichtet die Frau darauf, die Küchengerätschaften in die Hand zu nehmen – vielmehr setzt sie den eigenen Körper als Signal für die verbliebenen Buchstaben ein, um deutlich zu machen, dass sie selbst Teil eines umfassenden Systems in den Dienst genommener Subjektivität ist, durch das, wie die Künstlerin schreibt, „das System selbst spricht“.

In zwei aufeinander bezogenen Super-8-Farbfilmen aus dem Jahr 1974 erkundet Rosler die Unsichtbarkeit häuslicher Arbeit. In Backyard Economy I ist eine Frau inmitten der in einem südkalifornischen Hinterhof im Wind flatternden Wäsche kaum auszumachen; wir sehen kurz einen Hund, einen Rasensprenger, eine alles überragende Palme. In dem dazugehörigen Film Backyard Economy II (Diane Germain Mowing) erscheinen Blumen und ein Kind, der Hund läuft über den Rasen, der Rasensprenger verspritzt weiter Wasser, doch im Mittelpunkt steht diesmal eine Frau. Die Kamera folgt ihr, während sie energisch Wäsche aufhängt und ebenso energisch den Rasen in geradlinigen Streifen mäht. Wie in einer Erweiterung oder Fortsetzung gibt die zweite Arbeit der sonst außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung verrichteten Hausarbeit ein Gesicht und vollzieht die Zyklen von Leben und Wachstum nach.

In den 1980er-Jahren begann Rosler, Flughäfen und mitunter auch Flugzeuge fotografisch zu dokumentieren, in denen sie sich während ihrer Reisen als Gastdozentin, zu Konferenzen oder Ausstellungen aufhielt. Flughäfen stehen für eine moderne, globalisierte Welt, verweisen zugleich aber auf nationale Grenzen. In In the Place of Public: Airport Series (1983–heute) fängt Roslers Kamera den seriellen Charakter der oftmals postmodernen Terminal-Architektur ein: die sichtbare technische Infrastruktur, Arbeitsplätze, Warteräume, Flugzeuge und Anzeigetafeln, dazwischen eingestreut Leuchtreklamen mit Bildern und Slogans einer idealisierten Konsumwelt.

Der Super-8-Film Flower Fields (Color Field Painting) (1974) wurde aus einem Auto heraus aufgenommen und zeigt Blumenfelder in einem prächtigen Spektrum satter Farben. Sie säumen den südkalifornischen Abschnitt des U.S. Interstate Highway 5, der von Mexiko über Kalifornien nach Norden führenden Hauptküstenstraße. Von dem am Straßenrand anhaltenden Auto zoomt die Kamera die sonst übersehenen Hilfskräfte heran, die in gebückter Haltung auf den Feldern arbeiten, bewegt sich dann weiter, vorbei an einem Kontrollpunkt der Border Patrol und in den stereotypen südkalifornischen Sonnenuntergang hinein, der durch die Silhouette der Palmen in der Dämmerung sichtbar wird. Das zentrale Thema des Films sind die Bedingungen, unter denen Migrant*innen harte landwirtschaftliche Arbeit verrichten. Der Untertitel hingegen ist ein Seitenhieb auf die einflussreiche Schule der abstrakten Farbfeldmalerei, die jede Berücksichtigung menschlicher Inhalte außen vor ließ.

In Videos und weiteren Medienarbeiten setzt sich Rosler regelmäßig mit Fragen des urbanen Lebens und des „Rechts auf Stadt“ auseinander, in denen auch ihre scharfe Kritik am Ge- und Missbrauch der Dokumentarfotografie aufscheint. The Bowery in two inadequate descriptive systems (1974/75) hinterfragt Paradigmen der amerikanischen Street Photography. Die Bowery, eine Straße in Lower Manhattan, in der sich einst Tanzlokale und Theater drängten, hatte sich im 20. Jahrhundert zu einem Ort entwickelt, an dem meist alkoholkranke, arbeits- und wohnsitzlose Männer die Tage auf der Straße und in Bars, die Nächte in billigen Hotels verbrachten. Rosler sah in dort entstandenen Aufnahmen von Dokumentar- und Individualfotograf*innen einen Verrat an den Menschen wie auch an dem Potenzial der Dokumentarfotografie, da die Fotografierenden sich mit der Veröffentlichung der Bilder über die Fotografierten zu erheben scheinen. Roslers eigene Arbeit über die Bowery besteht aus 24 rasterartig angeordneten Tafeln, die jeweils die Aufnahme einer menschenleer bleibenden Ladenfront sowie die Fotografie eines Blattes mit darauf getippten Wortgruppen zum Thema Rausch – darunter fantasievolle Metaphern, aber auch derber Slang – nebeneinanderstellen. Auf der letzten Tafel ist der Titel zu lesen: Er besagt, dass sich die Komplexität der betrachteten Situation weder durch Fotografie noch durch Sprache in angemessener Weise wiedergeben lässt und weist über einfache Lösungen weit hinaus.

In den 1980er-Jahren begann Rosler, ihr Brooklyner Viertel zu dokumentieren, das ihr seltsam stagnierend und in der postindustriellen Ära verhaftet erschien. Ihre Arbeit setzte sie später fort, als sich der Wandel im Zuge der Gentrifizierung beschleunigte. Die Schirn präsentiert die Werkserie The Greenpoint Project (2011), bestehend aus Fotos und kurzen Texten. Diese verorten die örtlichen Ladenbesitzer*innen, bei denen es sich fast ausschließlich um Immigrant*innen handelt, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. In Greenpoint: New Fronts (2015) sehen wir hingegen typische Ladenfronten neu entstandener Geschäfte, die sich in ihrem Erscheinungsbild deutlich von jenen des 20. Jahrhunderts unterscheiden, aber in gentrifizierten Stadtvierteln auf der ganzen Welt geläufig sind.

Martha Rosler wurde in Brooklyn, New York, geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Sie erwarb ihren Bachelorabschluss am Brooklyn College (1965) und ihren Master of Fine Arts an der University of California, San Diego (1974). Sie lehrte an verschiedenen Universitäten (in den USA, in Vancouver, Halifax, Frankfurt am Main, Stockholm und Kopenhagen), leitete Workshops und hielt viele Vorträge über Fotografie, Medien und kritische Theorie. Rosler ist Professorin Emerita an der Rutgers University, New Jersey. Sie hat zahlreiche Bücher und Essays veröffentlicht und wurde vielfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Ihre Werke wurden international in zahlreichen Einzelausstellungen sowie in vielen bedeutenden Ausstellungen und Biennalen gezeigt.

KATALOG
Martha Rosler. In one way or another, herausgegeben von Sebastian Baden und Luise Leyer, mit Beiträgen von Sebastian Baden, Luise Leyer und Nicholas C. Morgan sowie einem Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Sebastian Baden, deutsch-englische Ausgabe, 144 Seiten, ca. 200 Abbildungen, 23 × 30 cm, Broschur, DCV Verlag, ISBN 978-3- 96912-124-5, 24 € (Schirn), 32 € (Buchhandel)