Der Titel "Raumkunst – Made in Darmstadt" bezieht sich auf das Ziel der Künstlerkolonie- Mitglieder, mit ihren Projektentwürfen eine Durchdringung von Kunst und Alltag zu erreichen. Die einzelnen Objekte sollten nicht nur ästhetisch gestaltet sein, sondern im Zusammenspiel – als Teil komplett durchgestalteter Raumarrangements – zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Sichtbar wird diese Idee anhand mehrerer Raumensembles innerhalb der neuen Sammlungsausstellung. Eine dieser besonderen Raumkompositionen ist das auf der ersten Internationalen Ausstellung für moderne dekorative Kunst 1902 in Turin ausgestellte "Turiner Schlaf- zimmer" von Joseph Maria Olbrich.

Teil 1 der neuen Sammlungsschau umfasst den Ostflügel sowie das Foyer des Museum Künstlerkolonie. Bereits hier finden Besucher eine vollkommen neue Raumsituation vor: Als Einführung in das Thema "Raumkunst" wird eine Auswahl von sechs Stühlen der Künstlerkolonie- Mitglieder präsentiert, die teils für private, teils für öffentliche Räume entworfen wurden. Begleitet wird die vielfältige "Stuhlgalerie" von historischen Fotografien, die verdeutlichen, dass Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens, Hans Christiansen, Patriz Huber und Albin Müller die Sitzgelegenheiten immer als Teil komplett durchgestalteter Raumkunstwerke konzipiert haben.

Stefanie Patruno, Sammlungskonservatorin und zugleich Kuratorin der Sammlungsschau, erklärt: "Den "Prolog" der Präsentation bildet der "Jugendstil", dessen Reformansätze auf eine Erneuerung von Kunst und Gesellschaft ausgerichtet waren. Das Gemälde "Frühlingssturm" von Ludwig von Hofmann ist hierbei das Herzstück, da es als Symbol der Aufbruchsstimmung steht, die man um 1900 im Zusammenhang mit der Reformbewegung und Stilerneuerung nicht nur auf der Mathildenhöhe, sondern in ganz Europa vorfand.

Die Künstlerkolonie-Mitglieder leisteten mit der Erbauung und Einrichtung beispielhafter Wohnhäuser wichtige Beiträge zur Ästhetisierung des Alltagslebens. Die erste Künstlerkolonie- Ausstellung, die 1901 unter dem Titel "Ein Dokument Deutscher Kunst" öffentlich diskutiert wurde, bildet deshalb das Zentrum der neuen Sammlungspräsentation. Hierfür waren permanente wie auch temporäre Bauten mitsamt ihrer Einrichtung entstanden, die allesamt während der Ausstellung für den Besucher zugänglich waren. Bahnbrechend war auch die Tatsache, dass die Besucher alle nach modernen Entwürfen gestalteten Einrichtungsgegenstände darin käuflich erwerben konnten. Anhand des Künstlerwohnhauses des leitendenden Architekten Olbrich wird diese Idee des Gesamtkunstwerks als Ideal der Jugendstilbewegung anschaulich gemacht.

Nicht nur Olbrich, sondern auch andere Mitglieder der Künstlerkolonie beteiligten sich nach der Jahrhundertwende an allen wichtigen nationalen und internationalen Ausstellungen. Die Sammlungspräsentation verdeutlicht mit ausgewählten Beispielen, wie außerordentlich erfolgreich sie mit raumkünstlerischen Werken und Gebrauchsgegenständen in Paris (1900), Turin (1902) und St. Louis (1904) vertreten waren. Deutlich wird, dass insbesondere die Künstlerkolonie-Ausstellung von 1901 wesentliche Maßstäbe zur Entwicklung der Kunstreform und des Ausstellungswesens am Beginn des 20. Jahrhunderts gesetzt hat und so entscheidend zum positiven Wandel in der Rezeption der Herkunftsbezeichnung "Made in Germany" beitrug.

Auch die Förderung von Kunst und Industrie, die sich der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein bereits zur Gründung der Künstlerkolonie zum Ziel gesetzt hatte, spielte dabei eine zentrale Rolle. Deshalb rücken in einem weiteren Kapitel der Ausstellung Objekte von Emanuel Josef Margold und Peter Behrens ins Zentrum, die als serielle Produkte in hoher Auflage hergestellt wurden. Margold entwarf für den Hersteller Bahlsen zahlreiche Keksdosen, die durch ihr farbenprächtiges Design bestachen und sich durch ihren enormen Wiedererkennungswert auszeichneten. Behrens arbeitete seit 1907 für das Industrieunternehmen AEG und deckte nahezu alle Disziplinen der Gestaltung ab: Entwürfe für Werbeprospekte, Haushaltsgeräte oder große Fabrik-und Verwaltungsgebäude gehörten zu Behrens" Œuvre. Die Produkte beider Künstler waren vorbildhaft für die Corporate Identity von Unternehmen, die heute Voraussetzung einer erfolgreichen Firmenstrategie ist.

Digitale Angebote wie ein zweisprachiger Audioguide, das umfangreiche Fliesenarchiv der Städtischen Kunstsammlung Darmstadt sowie Tablets, die reich an historischem Bildmaterial zu den Ausstellungsschwerpunkten sind, ermöglichen es den Besuchern, noch tiefer in das Schaffen der Künstlerkolonie-Mitglieder auf der Mathildenhöhe einzutauchen.

Dr. Philipp Gutbrod, Direktor des Institut Mathildenhöhe Darmstadt, kündigt an: "Der zweite Teil der Schau wird dann im Sommer 2018 im Westflügel des Museums zu sehen sein. Aufgrund der Menge von wunderbaren Objekten, die wir den Besuchern zeigen möchten, haben wir uns dazu entschlossen, die Sammlung in zwei Teilen zu präsentieren."