Die Ausstellung „Natalia Romik: Architekturen des Überlebens“ kreist um bis dato unerkannte Verstecke im östlichen Polen und der westlichen Ukraine, die Jüdinnen und Juden während der Schoa schufen, um sich temporär oder über einen längeren Zeitraum hinweg zu verbergen. Sie zeigt neun versilberte Skulpturen, die aus Abdrücken von zentralen architektonischen Elementen dieser Verstecke entwickelt wurden. Zu sehen sind ferner eigens gestaltete Vitrinen mit Filmen, Dokumenten und Fotos zur Geschichte der Verstecke sowie Gegenstände, welche Romik bei ihren Untersuchungen gefunden hat. Projektionen der forensischen Untersuchungen, die sie mit ihrem interdisziplinären Team an Forscherinnen und Forschern durchführte, sowie ein großer Holzschrank ergänzen die Präsentation. Im Innern dieses Schranks sind Zeichnungen zu finden, die mutmaßlich von einem versteckten Kind stammen.
„Architekturen des Überlebens“ basiert auf jahrelangen Recherchen der Künstlerin, Architektin und Politikwissenschaftlerin Natalia Romik zu diesen bislang unbekannten Verstecken, deren Existenz sie anhand von Archivmaterialien sowie mündlichen Überlieferungen ausfindig gemacht und mit einem interdisziplinären Forschungsteam untersucht hat. Die Ausstellung wurde im Frühjahr 2022 in der Nationalen Kunstgalerie Zach?ta in Warschau und im Winter 2022/23 im Zentrum für zeitgenössische Kunst TRAFO in Stettin gezeigt. Zur ersten Präsentation in Deutschland hat das Jüdische Museum Frankfurt einen deutsch- und einen englischsprachigen Katalog entwickelt.
„Architekturen des Überlebens“ besteht aus zwei Ausstellungsräumen. In dem die Ausstellung eröffnenden ersten Raum sind neun Skulpturen zu sehen, die Natalia Romik anhand von Abgüssen aus den Verstecken entwickelt hat. Die Skulpturen haben jeweils zwei distinkt unterschiedliche Seiten: eine zeigt das dunkle Material, in dem die Abgüsse gefertigt wurden, und nimmt damit Bezug auf die Materialität der Verstecke selbst. Die andere Seite hingegen ist versilbert und spielt mit dem daraus resultierenden Spiegeleffekt auf den Aspekt der Sichtbarkeit an, der für die Funktion eines Verstecks von zentraler Bedeutung ist: Für die Öffentlichkeit durften sie als solche nicht erkennbar sein, in ihrem Innenraum mussten sie hingegen Obhut für mehrere Personen bieten. Die Skulpturen geben in ihrer Form die Fragilität der Räume wieder, auf die sie sich beziehen. Zumeist binnen kürzester Zeit entstanden, dienten sie ihren Schöpfern als Zuflucht vor der Verfolgung und dem beinahe sicheren Tod in den Massenerschießungen, die Angehörige der deutschen Wehrmacht nach der Besatzung durchführten, den Ghettos, in denen sie Jüdinnen und Juden zusammentrieben sowie den Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Der zweite Raum präsentiert die Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojekts, in dessen Rahmen Natalia Romik die Verstecke anhand von Archiv-Recherchen und mündlichen Überlieferungen aufgespürt, mit forensischen Methoden untersucht und die Ergebnisse in Form von Fotos und Filmen dokumentiert hat. Hier werden auch Auszüge aus den Gesprächen präsentiert, die sie mit Überlebenden und deren Nachfahren führte.
Kuba Szreder und Stanis?aw Ruksza kuratierten die Auswahl aus den umfangreichen Unterlagen zu den Forschungen und entwickelten die Choreographie der Ausstellung. Diese versteht sich als eine Hommage an die Kreativität und den Lebenswillen der Menschen, die die „Architekturen des Überlebens“ schufen. „Sie sind die wahren Helden dieser Ausstellung, und ihre Geschichten stehen im Vordergrund,“ sagt Natalia Romik.
Der Katalog, der eigens zur Ausstellung in Frankfurt entwickelt wurde, ist im Verlag Hatje Cantz erschienen. Er wurde von Mirjam Wenzel, Kuba Szreder, Natalia Romik, Aleksandra Janus und Katja Janitschek herausgegeben und umfasst unter anderem eine Darstellung der Geschichte aller neun Verstecke, thematische Essays sowie Gespräche von und mit Tim Cole, Gabriel Heim, Jonathan Hill sel. A., Agnieszka Holland, Alistair Hudson, Alexandra Janus, Barbara Kirshenblatt-Gimblett, François Guesnet, Luiza Nader und Taras Nazaruk. ISBN 978-3-7757-5597-9, 34 Euro.
Öffnungszeiten:
Dienstag - Mittwoch: 10:00 - 17:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 - 27:00 Uhr
Freitag - Sonntag: 10:00 - 17:00 Uhr
Weitere Informationen direkt unter: juedischesmuseum.de