Dirk Reinartz (1947–2004) hat die Reportagefotografie und die fotografische Dokumentation in Deutschland geprägt wie wenige vor oder nach ihm. Aus seinem umfangreichen Schaffen zeigt Kein schöner Land... im f³ – freiraum für fotografie eine Bildauswahl aus den Archivbeständen der Stiftung F.C. Gundlach und der Deutschen Fotothek Dresden. Diese richtet den Fokus speziell auf die deutsche Identität mit all ihren Widersprüchen und historischen Verankerungen sowie ihre Neuorientierung nach 1989. Deutlich werden dabei, insbesondere nach den letzten Landtagswahlen im Osten Deutschlands, die zeitgeschichtlichen Kontinuitäten, die bis ins Hier und Heute führen.

Ein Großteil des fotografischen Œuvres von Dirk Reinartz entstand im Auftrag: Mit zahlreichen Veröffentlichungen zwischen 1971 und 2004 in Zeitschriften und Magazinen wie SternMerianZEITmagazin und art sowie der Vertretung durch die Bildagentur VISUM, hatten Dirk Reinartz’ Fotografien eine heute kaum noch vorstellbare Reichweite. Hinzu kamen freie serielle Arbeiten, beginnend mit dem Buchprojekt Kein schöner Land (1978–1987), in welchem Reinartz aus seinem bisherigen Schaffen einen Abgesang auf den visuellen Niederschlag deutscher Geisteshaltung zusammenstellte. Dem Volkslied im Geiste von 1848 entlehnt, ironisch gebrochen für Buch und Serie durch Reinartz verwandt, bedient sich die Ausstellung nun abermals des umständlichen und doch so treffenden Titels. Als Lobpreisung Deutscher Lande kann ihn „zu dieser Zeit“ wohl niemand missverstehen. 

In seinem Lebenswerk befasst sich Dirk Reinartz vor 1989 mit mentalen Zuständen und Befindlichkeiten, gesellschaftspolitischen Entwicklungen und kulturellen Eigenarten insbesondere an den Schnittstellen der beiden deutschen Staaten.

In einer Reportage für das ZEITmagazin unter dem Titel Besonderes Kennzeichen: Deutsch (1987), unternimmt Reinartz beispielsweise einen fotografischen Berufsvergleich, stellt je einen Busfahrer, einen Friseur und eine Facharbeiterin aus Jena und Erlangen einander gegenüber und thematisiert so die Teilung in Ost und West in ihren menschlichen Dimensionen. Die Reportage Das stille Ende (1983) erzählt von den Entwicklungen in Schnackenburg als Beispiel für die Geschichte eines Ortes, der einst mitten in Deutschland lag und nun in einem toten Winkel der Bundesrepublik verwelkt: „zwischen Gorleben und dem automatischen Todesschusszaun, der deutsch-deutschen Supergrenze, zwischen Atommüll und Minen“, wie der Journalist Wolfram Runkel es treffend beschrieb. Mit viel Raum für Zwischentöne begleitet Reinartz deutsch-deutsche Umsiedler in einer Doppelreportage Weg machen! Und was dann? (1984) und Go East – Neue Heimat Ost (1989). Nach der politischen Wende beobachtet Reinartz die Neuorientierung der nun gesamtdeutschen Gesellschaft. Mit großem Einfühlungsvermögen kreiert er Bildpaare aus Porträt und Ortsaufnahmen für die Reportage Was tun? zur Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern. Mit Deutschstunde bei Gauck (1996) dokumentiert der Fotograf die Gauck-Behörde als Schicksalsort.

Dem Kult um Otto von Bismarck, der das Land bis heute in Form von Skulpturen und Plaketten überzieht, geht Dirk Reinartz in Bismarck. Vom Verrat der Denkmäler (1991) nach. Die Reprise in Farbe folgt mit Bismarck in America (2000), als er den nach dem deutschen Reichskanzler benannten Ort in North Dakota als typisch amerikanische Kleinstadt porträtiert. Als bekannteste Werkserienvon Reinartz gilt schließlich totenstill (1994), eine fotografische Annäherung an die ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager. Reinartz fotografierte die Orte des Genozids als stille und doch sprechende Architekturen, als menschenleere Stätten, die als solche das schmerzhaft Abwesende evozieren.

Die Ausstellung wird von einem autobiografischen Dia-Vortrag begleitet. Zudem werden die fotografischen Werke an der Wand durch Faksimiles der ursprünglichen Veröffentlichungen kommentiert. 


Eröffnung: 5. Dezember 2024, 19:00 Uhr | Eintritt frei!