Im Jahr 1996 reiste der damals noch in Erfurt lebende Künstler Matthias Geitel für das Casa Baldi-Stipendium ins italienische Olevano Romano, eine Kleinstadt, östlich der Hauptstadt Rom gelegen. Berühmtheit erlangte die Casa Baldi genannte Herberge im 19. Jahrhundert für europäische Künstler, die für ihre Studien nach Rom gereist waren und im Sommer die Zeit in den Bergen verbrachten, immer unterwegs – zu Fuß oder auf dem Maulesel reitend.
Matthias Geitel setzte sich mit dieser Tradition auseinander, die mit der Italien-Sehnsucht deutscher Künstler und Intellektueller seit dem 18. Jahrhundert korrespondiert, aber auch mit dem seit den 1960er Jahren in Mode gekommenen Italien-Tourismus der (West-)Deutschen. Er zeichnete unter strengen konzeptionellen Vorgaben nach Ansichtskarten von Rom und Umgebung, versandte einige auch an Adressen in der Heimat. Am 21. Oktober 1996 startete er frühmorgens zu Fuß in Richtung Rom. In gewissen Abständen dokumentierte er seinen Weg mit der Kamera. So entstanden etwas 100 Diapositive der Straßen zwischen Olevano und Rom Termini. Er erntete verwunderte Blicke von Einheimischen und am Ende der 56 km langen Strecke offene Fersen und totale Erschöpfung. 1997 entstand das Künstlerbuch „Eine Wanderung durch die Campagna“, das die Zeichnungen nach Postkarten, die Fotos der Wanderung und die im Tagebuch notierten Erlebnisse und Reflexionen des Olevano-Aufenthalts mit Verweisen auf die Kunstgeschichte verknüpfte.
Eine Auswahl der mit seinen Wanderungen verbundenen Linien stehen im Zentrum der Ausstellung: Olevano Romano – Rom (1996), Rom – Cervara (2012), Cerveteri (2012), Pompeji – Herkulaneum (2015), Venedig (2017). Von drei Wanderungen werden auch die fotografischen Dokumentationen („Wegefotos“) auf Bildschirmen präsentiert. Darüber hinaus zeigt der Künstler eine Gruppe von Aquarellen aus der Knäuel-Serie. Seit 1996 nahm er mit dem Projekt „Variationen der einfachen Linie“ Landschaften, Zeichen, Schädel und Netzstrukturen in den Blick, um sie mit grafischen Mitteln stark zu abstrahieren.
Ein Künstlerbuch begleitet die aktuelle Ausstellung. In Texten und Bildern, zum Teil auch Bildcollagen, zeigt sich besonders klar die Verbindung Matthias Geitels zum kunsthistorischen Erbe Friedrich Nerlys und zum Phänomen der deutschen Reisekünstler in Italien.