Die Ausstellung zeigt historische und zeitgenössische Werke von Künstler:innen, die in der Geschichte der Kunst kaum Beachtung fanden und deren Teilnahme an der Gesellschaft und im Kunstbetrieb, beispielsweise durch Vormundschaft, Entzug des Wahlrechts oder Diskriminierung eingeschränkt wurde und noch immer wird. Damit geht einher, dass meist keine stabile institutionelle Verankerung oder größere (Kunst-) Netzwerke und Supportsysteme verfügbar sind. Gängige Kategorisierungen, wie Outsider Art oder Art Brut, mit der parallelen Hervorhebung ihrer angeblichen Unterscheidungsmerkmale, die bislang häufig als Narrative von spontan vs. geplant, angeboren vs. erlernt, naiv vs. anspruchsvoll, oder etwa primitiv vs. modern gelesen werden, sind heute als überholt anzusehen und kritisch zu hinterfragen. Die Ausstellung möchte daher auch ein anderes Verständnis hinsichtlich etablierter Denkweisen der Kunstwelt und eine selbstverständlichere Ausstellungspraxis beziehungsweise Repräsentation bezüglich künstlerischer Praktiken erreichen.

Die im Kölnischen Kunstverein gezeigten Künstler:innen tauchen in ihren Werken in selbstentfremdende Rollenspiele ab, in denen sie andere Identitäten annehmen und eine Verwandlung – bis hin zur Tierwerdung – stattfindet. „Ich bin ein verdammter Jäger, aber ich weiß, dass es Unfrieden macht. … Ich muss es [das Unruhige] überdecken, damit ich weiter in der Gesellschaft überhaupt existieren kann“, sagte Rabe perplexum (in dem Dokumentarfilm „Experimente: Der unbekannte Künstler“, 1987). In seinen Werken und Leben nimmt er die Rolle eines Raben an.

Es geht nicht darum, die hier vorgestellten Künstler:innen mit ihrer künstlerischen Praxis als gesellschaftlich ausgegrenzt zu positionieren, als Künstler:innen die hinter scheinbarer Weltabgewandtheit verdrängte Realitäten ausbreiten oder unterdrückte Sehnsüchte entfalten, viel mehr zeigt die Ausstellung, wie sie ganz bewusst mit ihren Abhängigkeiten arbeiten. So entwarf Adelhyd van Bender beispielsweise ein großes und vielschichtiges Werk, das die Welt in mathematische Formeln zerlegt und – in Assoziationsketten mit biografischen Angaben verschränkend – eine neue Ordnung bildet. Als Vorlage für seine mehrfach kopierten und überarbeiteten Zeichnungen verwendete er häufig an ihn gerichtete Briefe von Ämtern, die von seinem steten Kampf gegen die Verlängerung seiner Vormundschaft zeugten.

Denn häufig positionieren sich diese Künstler:innen inmitten der Gesellschaft, genau in die Kunst-Unorte und Zwischenräume hinein, in der eine größere Öffentlichkeit vorzufinden ist, um sich zu ihr zu verhalten und mit einer ihnen jeweils eigenen Selbstverständlichkeit Kritik an ihr zu üben. Indem die Künstler:innen gesellschaftliche Konventionen, Normen und dominierende Traditionen verlassen und Gesellschafts- beziehungsweise Geschlechterinszenierungen unterminiert werden, stoßen sie häufig auf Unverständnis. So auch die Künstlerin Helga Goetze, die in den 70er Jahren aus einem konventionellen Lebensentwurf ausbrach und später vor der Gedächtniskirche in Berlin fast täglich freie Liebe, Sex und weibliche Lust propagierte.

Das radikale Potenzial der hier zusammengekommenen Werke liegt darin, uneingelöste politisch-soziale Versprechen einzufordern und, wie beispielsweise Dietrich Orth in einem der Ausstellung titelgebendem Werk anklingen lässt, Anleitungen und Vorschläge zu einem besseren, gerechteren Umgang miteinander zu geben. Aus ihnen wird eine tiefe, in die Zukunft weisende Sehnsucht erkennbar, die auch als Kritik an der Gegenwart verstanden werden kann. Die Ausstellung wurde kuratiert von Nikola Dietrich und Susanne Zander.

Adelhyd van Bender (* 1950 in Bruchsal, † 2014 in Berlin), geboren als Harald Friedrich Bender, machte zunächst eine Ausbildung zum Elektriker. Ab 1975 studierte er für vier Semester Kunst an der Hochschule der Künste in Berlin. Nach einem langen Verfahren wurde er 1976 zwangsexmatrikuliert. Ab 1977 intensivierte van Bender seine künstlerische Arbeit, und es entstand ein umfangreiches, vielschichtiges Werk, das die Welt in mathematische Formeln zerlegt und – durch mit biografischen Angaben verschränkte Assoziationsketten – eine neue Ordnung bildet. Als Vorlage für seine vielfach kopierten und überarbeiteten Zeichnungen verwendete er häufig an ihn gerichtete Briefe von Ämtern, die von seinem steten Kampf gegen die Verlängerung seiner Vormundschaft zeugen.

Klaus Beyer (* 1952 in Berlin) ist Künstler, Musiker und Schauspieler, 1971 beendete er seine Ausbildung zum Kerzenzieher. Früh begeisterte er sich für die Musik der Beatles und begann 1980, jedes ihrer 200 Stücke ins Deutsche zu übersetzen. Die von ihm neu interpretierten Songs verfilmte er und illustrierte sie häufig mit kurzen Trickfilmen. Als Hintergrund für seinen Gesang diente ihm die Originalmusik der Beatles, die er mit zwei Tonbandgeräten so zusammenschnitt, dass am Ende nur noch die Instrumentalbegleitung der Band zu hören war. Daher wird er auch häufig als der „fünfte Beatle“ bezeichnet.

Lee Godie (* 1908 in Chicago, USA, † 1994 in Plato Center, USA), geboren als Jamot Emily Godee, lebte seit 1968 auf der Straße in Chicago und machte sie zu ihrem Atelier. Es entstanden Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle auf Materialien wie Leinwand, ausrangierten Fensterläden, Karton, Kissenbezügen oder Papier, die sie nur an Menschen verkaufte, die es in ihren Augen wert waren, ihre Werke zu besitzen. Sie verstand sich als französische Impressionistin und schuf sehr individuelle Porträts, in denen sie versuchte, die Stimmung ihres Gegenübers einzufangen. In hunderten von Selbstporträts, die sie in den 1970er Jahren in Fotokabinen am Greyhound-Busterminal von sich machte und meist mit Aquarell, Filzstift oder Kugelschreiber bearbeitete, inszenierte sie sich in theatralischen Posen, Kostümen und Make-up und erfand sich dabei immer wieder neu.

Helga Sophia Goetze (* 1922 in Magdeburg, † 2008 in Winsen (Luhe)) war in Hamburg und später in Berlin als Künstlerin, Schriftstellerin und politische Aktivistin tätig. 1972 gründete sie dort das Institut für Sexualinformation und veröffentlichte ihren ersten Gedichtband „Hausfrau der Nation oder Deutschlands Supersau?“. Ende der 1970er Jahre begann die Künstlerin, ihre tägliche Mahnwache zur sexuellen Befreiung der Frau vor der Technischen Universität und der Berliner Gedächtniskirche abzuhalten. In Berlin gründete sie auch die „Geni(t)ale Universität“ als Galerie und offenes Museum. Ihr Gesamtwerk umfasst mehr als 3.000 Gedichte, Zeichnungen und Stickbilder, in denen sie sich kritisch mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandersetzt.

Margarethe Held (* 1894 in Mettingen, † 1981 in Berlin) war nach dem Besuch der Handelsschule in einem Büro tätig. 1921 heiratete sie ihren ersten Mann, der nur vier Jahre später starb. Sie interessierte sich für spirituelle Praktiken und begann mithilfe eines Ouija-Boards mit ihm zu kommunizieren. Mit ihrem zweiten Ehemann zog sie 1926 nach Berlin, um dort gemeinsam eine Kinoagentur zu betreiben. Nach dem Krieg kam es zur Trennung. Ihr Interesse an Okkultismus wuchs stetig weiter. 1950, bei der Kontaktaufnahme mit ihrem verstorbenen ersten Mann, schaltete sich ein fremder Geist ein: „Siwa, der Gott der Inder und Mongolen“. Unter seiner Führung begann Margarethe Held zu zeichnen. Es entstanden hunderte Bleistift- und Farbstiftporträts von Toten, Geistern, Göttern und imaginären Urwelttieren sowie Runen und Schriften über Reisen zum Jupiter und zu anderen Planeten und deren Schöpfungsgeschichte. In ihrem 1977 erschienenen Buch „Unkontrollierbares Universum“ schrieb sie ihre Visionen nieder.

Dietrich Orth (* 1956 in Kaiserslautern, † 2018 in Ebersbach) verbrachte aufgrund schwerer Psychosen immer wieder längere Zeit in psychiatrischen Anstalten. Im Rahmen einer Kunsttherapie im Jahr 1985 begann er sich mit Malerei auseinanderzusetzen. Was ursprünglich als Form der Therapie begann, ließ Orth schnell zu einer eigenständigen Bildsprache finden. In seinen sogenannten „Anwendungsbildern“ werden die Betrachter:innen aktiv in den Bildprozess einbezogen – in ein Wechselspiel zwischen Darstellung, Text und eigener gedanklicher Ausführung. Kurze Texte, direkt auf die Leinwand geschrieben oder aufgeklebt, dienen zugleich als Titel, Einführung und Instruktion; sie sollen ein emotionales Gleichgewicht erzeugen und laut Orth „eine verstärkte, innere Gefühlsintensität meist beim Gehen bewirken“. Seine künstlerische Arbeit endete in den frühen 1990er Jahren. In dieser kurzen Schaffensphase entstand ein überschaubares Werk.

Albert Leo Peil (* 1946 in Blankenfelde, † 2019 in Lauf an der Pegnitz) absolvierte eine Ausbildung zum Dekorateur. Ein Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg brach er nach zwei Semestern ab. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit Tätigkeiten außerhalb der Kunst, schuf aber kontinuierlich ein filigranes zeichnerisches Werk, das er über die Jahrzehnte zur Perfektion brachte. Aus feinsten Punkten, Kreisen und Linien gezeichnet, die sich wie ein überbordendes Strickmuster über die gesamte Bildfläche legen, kristallisieren sich aus futuristischen, arkadisch anmutenden Landschaften männliche Protagonisten heraus. Sie sind oftmals in feine mehrteilige Gewänder mit hohem Kragen gehüllt, die ein militärisch-sakrales Erscheinungsbild vermitteln. Sie tragen Brillen, Masken und Kopfbedeckungen, ihre Haarpracht ist aufwendig gelegt. Sein Nachlass beinhaltet außerdem mehrere exzentrische Kostüme, etwa ein Anzug aus wolfsgrauem Kunstpelz oder schwarze Ledermonturen, die Attribute eines Priestergewands mit Fetischkluft verbinden und es ihm ermöglichten, immer wieder in neue Rollen zu schlüpfen.

Rabe perplexum (* 1956 in München, † 1996 in München), geboren als Manuela Margarethe Hahn, besuchte nach dem Realschulabschluss Ballett-, Schauspiel- und Kunstschulen. Ab 1982 nannte sie sich Manuela Hahn Rabe perplexum und legte damit jegliche binärgeschlechtliche Zuordnung ab. Erste Auftritte als Rabe erfolgten von 1982 bis 1983 in der Künstler:innengruppe Abraxas. Rabes eigene Performances wurden fortan in München an öffentlichen Plätzen, in Clubs sowie in Bildungs- und Kunsteinrichtungen realisiert, parallel dazu entstanden großformatige Gemälde. 1984 wurde die Dokumentation Nicht Mann, nicht Frau, nur Rabe in der ARD ausgestrahlt. Ab 1985 studierte Rabe perplexum Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste München und gestaltete ab 1987 Animationen, digitale Grafiken und Performances mit Multi-Screen-Videoinstallationen. In den Aktionen und Malereien verschmelzen bayerische folkloristische Elemente mit denen von Punk und New Wave. Rabes Verwandlung und Lossagung von geschlechtlichen Zuschreibungen kann als Widerständigkeit gegen die heteronormative Gegenwart der 1980er und 1990er Jahre und der von männlichen Künstlern dominierten Kunstwelt gelesen werden. Am 15. Juli 1996 nahm sich Rabe perplexum das Leben (vgl. Philipp Gufler, in: „Exzentrische 80er: Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen, Rabe perplexum, 2022)

William Scott (* 1964 in San Francisco, USA) entwirft seit den 1990er Jahren Gemälde, die sich mit umfassenderen Fragen der Staatsbürgerschaft, der Gemeinschaft und der kulturellen Erinnerung beschäftigen. Seine Porträts von überwiegend Schwarzen Persönlichkeiten umfassen Schauspieler:innen, Musiker:innen, Politiker:innen und Bürgerrechtler:innen. In ihnen setzt er sich mit Ideen von Erneuerung und Wiedergeburt auseinander und stellt eine utopische, hoffnungsvollere Welt dar, deren Bewohner:innen glücklich sind und in Harmonie miteinander leben. In seiner Serie der Selbstporträts erfindet er sich immer wieder neu, beispielsweise in einer jüngeren Version seiner selbst als sportlichen Los-Angeles-Lakers-Basketballstar „Billy the Kid“: Mit dieser Personifizierung verwirklicht er seine Hoffnungen und Träume. William Scott arbeitet seit 1992 im Creative Growth Art Center in der kalifornischen Stadt Oakland – ein Zentrum, das Künstler:innen mit Behinderung Ateliers bietet und sie gleichzeitig als Galerie im Kunstmarkt vertritt.

Wendy Vainity alias Madcatlady fällt zum ersten Mal 2010 als Künstlerin und Internetaktivistin auf, als ihr Video Meow! Sad Toy Cats auf Youtube mit mehr als einer halben Million Klicks viral geht. Über Vainitys Leben ist nur wenig bekannt: Sie ist in ihren Sechzigern, lebt in der australischen Küstenstadt Adelaide und liebt Katzen. Ihre zahlreichen Kommentare jedoch, die sie auf ihrem Youtube-Kanal „madcatlady“ hinterlässt, sind Zeugnis für ihren Kampf gegen das permanente Mobbing durch Trolle und die Auseinandersetzung mit den Youtube-Betreibern, die ihre Filme immer wieder sperren. Ihre 3D-Videoanimationen befassen sich zum Teil mit ihrem direkten Umfeld, beispielsweise mit ihren Katzen. Häufig erscheint sie selbst als Hauptfigur. Indem sie die Effekte einzelner 3D-Softwarepakete kombiniert, kreiert sie absurde kleine Szenen, die im Haus oder im Freien spielen. So entstehen collagierte Filme, die sie immer wieder überarbeitet, löscht, neu einstellt oder bei denen sie Teile herausschneidet, um sie durch neue zu ersetzen. Durch die Verwendung unterschiedlicher Software entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung werden ihre Charaktere und deren Umgebung in elektrifizierende, holprige Bewegungen versetzt. Alle Videos sind von dissonanter Musik begleitet, die aus disharmonischen elektronischen Klängen und ihrer eigenen, leicht aus dem Rhythmus geratenen Stimme besteht.

August Walla (* 1936 in Klosterneuburg, Österreich, † 2001 in Maria Gugging, Österreich) ist seit seiner Jugend künstlerisch tätig. Er malte, zeichnete, fotografierte und bearbeite nahezu alles auf jede erdenkliche Weise, was er in seiner unmittelbaren Umgebung vorfand. Nicht-naturalistische Formen und Figuren, mit Schriftzeichen kombiniert, bedecken zweidimensional und flächenfüllend die verwendeten Bildträger. Er legte Symbole und Zeichen in die Landschaft, bemalte Häuser, Bäume und Straßen. Walla schuf eine private Mythologie mit Göttern, Teufeln und Geistern in einer fremden Galaxie, dem „Ewigkeitenendeland“. Getragen werden die Bilder durch eine eigene Ikonografie aus einprägsamen Symbolen, Wörtern und Wortschöpfungen, die sich wie eine Geheimschrift lesen. Sie stammen mitunter aus Fremdsprachen-Wörterbüchern, die Walla sammelte. Lange war sich Walla nicht im Klaren, ob er ein Junge oder ein Mädchen sei, und interpretierte es so, dass er zunächst (in der Nazizeit) ein „Nazimädchen“ gewesen sei, dann aber von den Russen zur Zeit der russischen Besatzung des Landes in einen „russischen Knaben“ umoperiert worden ist. Zugehörige Symbole dieser Geschlechtsidentifikation finden sich in all seinen Bildern und Schriften: Symbole wie Hammer und Sichel, aber auch das spiegelverkehrte Hakenkreuz tauchen immer wieder in seinen Arbeiten auf. Das nach links gedrehte Hakenkreuz steht dabei für das Weibliche und Hammer und Sichel für das Männliche. Sie sind niemals als Verweis auf seine politische Haltung zu lesen, sondern als Teil eines komplexen Systems von „heiligen Zeichen“ und einem selbst geschaffenen „Alphabet“. Ab 1983 lebte Walla im „Haus der Künstler“ in Gugging.


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