Mit der Ausstellung „Perspektiven einer Sammlung – Inventur und Vision“ startet das Programm der neuen Marta-Direktorin Kathleen Rahn, die mit einer Präsentation der hauseigenen Sammlung nicht nur einen Blick in die Bestände bietet, sondern auch Perspektiven für die zukünftige Ausrichtung des Hauses eröffnet. Von Malerei über Fotografie und Video hin zu Skulpturen und Installationen treten 30 Künstler*innenpositionen in den Dialog mit der geschwungenen Gehry-Architektur und schaffen einen fließenden Übergang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Mit raumgreifenden Installationen wie das große, den Gehry-Dom füllende Luftschiff „Papaver“ (2002) des verstorbenen belgischen Künstlers Panamarenkooder die 50 Meter lange Teppicharbeit „Läufer“ (2016) von Nevin Aladag erhält die Sammlung nach 13 Jahren wieder Einzug in die Gehry-Galerien. Die erste Marta-Schau von Kathleen Rahn zeigt nicht nur ein Stück Ausstellungsgeschichte, durch welche die Sammlung in den letzten Jahren maßgeblich geprägt wurde, sondern findet immer wieder Momente, die eigene Praxis kritisch zu hinterfragen und im Kurs nachzujustieren. Denn auch wenn das Marta Herford ein vergleichsweise junges Museum ist, befinden sich in der Sammlung momentan Werke von 127 Künstlern und 43 Künstler*innen – ein deutliches Übergewicht männlicher Positionen. Ebenso markant ist, dass es von vielen Künstler*innen nur einzelne Arbeiten, bzw. Werke aus einer Gruppe gibt. An dieser Stelle setzt die Ausstellung an, um Perspektiven für ein bewusstes Sammeln in der Zukunft anzubieten. In der Konsequenz ist etwa das Geschlechterverhältnis in der Auswahl für diese Schau nahezu ausgeglichen. Darüber hinaus werden die vorhandenen Werke der Sammlung durch weitere Ankaufsvorschläge in Form von Leihgaben ergänzt. Von vier ausgewählten Künstlerinnen, die bereits mit einzelnen Werken in der Sammlung vertreten sind, sind weitere Arbeiten zu sehen, welche die Breite des jeweiligen Œuvre, sowohl in thematischer als auch in materieller Hinsicht eröffnen.

Martha Roslers Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen” (1975) gehört zu den ältesten Werken in der Sammlung und ist zudem eine Ikone der feministischen Kunst. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist ebenso ein zentrales Thema ihres Werkes wie eine allgemeine Medienkritik. Beides stellt die auch als Theoretikerin und Aktivistin tätige Künstlerin dezidiert in den politischen Kontext ihrer Zeit, wie die Fotocollagen „Cosmic Kitchen“ (1956-72) und „It Lingers“ (1963), ebenso wie die Multimedia-Arbeit „Framing Ethel Rosenberg“ (1988) eindrücklich vorführen.

Von der 2021 verstorbenen, amerikanischen Künstlerin Kaari Upson befindet sich die zunächst rätselhafte Skulptur „Silicone Leftover (5 gal)“ (2015) in der Sammlung Marta. Im Kontext der Videoarbeit „A Place for a Snake“ (2019) und der kurz vor ihrem Tod entstandenen Portraitserie „Portrait (Vain German)“ (2020-21) wird ein bestimmendes Grundmotiv des Gesamtwerks im Spiel mit Dopplungen, Wiederholungen und Abgüssen deutlich. Auch das Herauskehren des Inneren, mal wortwörtlich, mal symbolisch, wird im Vergleich mit der großen Zeichnung „Being Utterly Free“ (2017-18) als Thema erkennbar

Fragen von Raum und Perspektive sowie Oberflächen und dem, was darunter liegt, beschäftigen die aus Herford stammende und nun in Berlin lebende Künstlerin Asta Gröting schon in der frühen Videoarbeit „Die Schwimmerin“ (1997). Die skulpturalen, durchaus unterschiedlichen neueren Leihgaben in dieser Ausstellung „Reinhardtstraße Stadtbahnunterführung“ (2016) und „Gelée Royale“ (2021) eröffnen weitere Facetten ihrer feinsinnigen Beobachtungen von Oberflächen und Strukturen.

Die Künstlerin Katja Novitskova stellt vor allem das Verhältnis von Mensch, Natur und Technik in den Fokus ihres Werks. So steht im Zentrum der Sammlungsarbeit „Pattern of Activation“ (2018) eine zu einem animalischen Roboterwesen verwandelte Babywiege. Dem gegenüber erscheinen in der Ausstellung die für ihr Werk typischen Aluminiumtableaus der Serie „Approximations“ (seit 2016). Vor dem Hintergrund des drohenden Artensterbens thematisiert sie in ihren Tableaus Biodatenbanken und Genmanipulationen und stellt gleichzeitig die Bedeutung von Bilddatenbanken für das eigene künstlerische Schaffen dar.

Die Inszenierung der Ausstellung legt den Fokus auf Dialoge zwischen den Werken und ermöglicht zugleich einen Einblick in die seit dem letzten Millenniumswechsel geprägte Sammlung von Gegenwartskunst. Bewegung und Transfer, Themen, die in den erst genannten Arbeiten von Panamarenko und Nevin Aladag eine Rolle spielen, werden etwa von der Konzeptkünstlerin Tamara Grcic aufgegriffen, die in ihren Fotografien die Laderäume von Flohmarkthändler*innen dokumentiert hat. Die Thematik des öffentlichen Raumes, welcher hier wiederum eine Rolle spielt, ist auch ein Aspekt der Straßen-Fotografien von François-Marie Banier oder der Skulptur „Hanging Buddha“ (2003) des Südafrikaners Kendell Geers.

Fragen von Identität und Rollenbildern sind ein anderes wiederkehrendes Motiv. So etwa im geschlechtsgrenzen überschreitenden Gesamtkunstwerk des Künstlerpaares EVA & ADELE. Darstellungen von Orten der sozialen Gemeinschaft wie Grillfeste oder besetzte Häuser werden in den Werken von Manfred Pernices, Silke Schatz oder Erik van Lieshout bühnenartig inszeniert. Dass Interieurdarstellungen beispielsweise von Wilhelm Sasnal oder Aaron von Arp ebenfalls ihren Weg in die Sammlung des Museums für Kunst, Design und Architektur gefunden haben, belegt der Fokus, welcher aus der Kunst heraus diese Themen ins Zentrum des Interesses stellt. Natürlich ist eine Sammlung auch immer ein Spiegelbild der Zeit und so lädt die Ausstellung auch dazu ein, über die Kunstdiskurse der letzten zwanzig Jahre zu reflektieren.

Eine Museumssammlung bedarf immer auch engagierter Unterstützer*innen, gerade wenn es, wie im Falle des Museums Marta Herford, keinen Ankaufsetat gibt. Aus diesem Grund wurde 2001, schon vor Eröffnung des Museums, der Verein Marta Freunde und Förderer e.V. gegründet. Durch die Mitgliedsbeiträge und weitere Spenden ist es möglich, immer wieder Ankäufe zu tätigen, die dem Museum als Dauerleihgabe zugesprochen werden. Bei der Auswahl der Werke arbeiten das kuratorische Team rund um die Direktion des Museums und der Freundeskreis Hand in Hand. „Eine eigene Vision zu entwickeln, hat viel mit Leidenschaft zu tun – sie ist eine fundamentale Investition in die Zukunft, die Menschen mitreißen und begeistern kann. Wir wünschen Kathleen Rahn und dem Marta-Team viel Erfolg bei der perspektivischen Weiterentwicklung der Sammlung und freuen uns darauf, diesen Prozess auch in Zukunft zu begleiten“, lautet der Beitrag der Freunde und Förderer für die Publikation, die anlässlich der Ausstellung erscheint.

Viele der Werke in dieser Ausstellung kommen aus diesen Beständen. Dauerleihgaben oder Schenkungen von Künstler*innen, privaten Sammlungen oder Einzelpersonen erweitern den Bestand erfreulicherweise. Ein Beispiel solch bürgerschaftlichen Engagements ermöglichte die Verwirklichung eines Ankaufsvorschlags bereits vor der Eröffnung: Die aus Herford stammenden Brüder Wolfram und Karsten Kähler kamen nach der Auflösung ihres Elternhauses auf das Museum zu. Zum Gedenken an ihre verstorbenen Eltern, die selbst Mitglieder des Freundeskreises waren, sollte ein Kunstwerk als Schenkung an das Museum gehen und ebenso eine neue Art der Verbundenheit zu diesem Ort geschaffen werden: „Die Bedeutung von Kunst und Kultur haben uns unsere Eltern schon sehr früh vermittelt und vorgelebt. Das wollen wir generationsübergreifend fortführen. Das Museum Marta bleibt für uns ein besonderer Ort, auch wenn wir selbst schon lange nicht mehr in Herford leben. Durch unsere Schenkung wollen wir diese Verbindung zum Ausdruck bringen und einen Teil zur Sammlung des Museums beitragen.“ So kann Katja Novitskovas Skulptur „Approximation (Biobanks)“ (2022) nun als neueste Arbeit in der Sammlung präsentiert werden.

Die Ausstellung erstreckt sich nicht nur über die Gehry-Galerien. Auch die Public Street, das (hoffentlich bald wieder belebte) Marta-Café und die nun neu erschlossene 2. Etage gehören zum Parcours. „Markiert“ werden diese Orte durch Tobias Rehbergers „Infections“ (2008), eine Serie von Lampen-Skulpturen. Schließlich geht es nicht nur in Bezug auf die Sammlung darum, eine Linie für die Zukunft zu finden. Auch das Verständnis des Museums als dritter Ort ist ein Anliegen für die neue Direktorin, die Öffnung des Hauses nach außen weiter voranzutreiben und das Museum als Ort des Aufenthalts, der Erfahrung und des Austauschs zu stärken. So wird die Museumspädagogik künftig wieder in der 2. Etage des Hauptgebäudes ansässig sein, zusammen mit der Bibliothek, die auf lange Sicht auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Die räumliche Umstrukturierung ermöglicht eine Öffnung des Vermittlungsbereiches und bietet eine verbesserte Barrierefreiheit.

Neu ist ebenfalls im Sinne einer breiteren Zugänglichkeit des Museums Marta Herford, dass die Öffnungszeiten am Marta-Mittwoch ab dem 14.09.22 in den Abend verlängert werden. Jeden Mittwoch ist das Marta nun bis 20 Uhr geöffnetund bietet an diesen Abenden besondere Einblicke: Jeden 1. Mittwoch des Monats gilt es vorbeizukommen zur Afterwork-Kurzführung mit anschließendem Drink (9 €, zzgl. Eintritt). An den weiteren drei Mittwochen eröffnen die Mitarbeiter*innen des Martas ihre Perspektiven in „My Marta“: Was hat der Techniker des Hauses zu berichten oder welche Gesichtspunkte interessieren die Ausstellungsmanagerin? Gespräche mit einigen der teilnehmenden Künstler*innen und dialogische Führungen mit Wegbegleiter*innen der Sammlung ergänzen den Reigen. So wird im offenen und diskursiven Austausch gemeinsam die Zukunft des Museums Marta Herford gestaltet, das ein Ort für viele sein soll.


Öffnungszeiten:
Dienstag: 11:00 - 18:00 Uhr
Mittwoch: 11:00 - 20:00 Uhr
Donnerstag  - Sonntag (Feiertage): 11:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: marta-herford.de

Tamara Grcic, Unterwegs, 2009, C-Prints auf Aluminiumdibond © Marta Herford, Foto: Felix Hüffelmann
10.09.2022 - 15.01.2023

Perspektiven einer Sammlung – Inventur und Vision

Marta Herford

Goebenstraße 2–10
32052 Herford