Höhepunkt der neuen Saison in der Kestner Gesellschaft ist die Ausstellung Paula Rego. There and Back Again – von einer der bedeutendsten und anerkanntesten Künstlerinnen unserer Zeit, der portugiesisch-britischen Künstlerin Paula Rego (1935-2022). Fast das gesamte Haus ist dieser ersten, liebevoll kuratierten Einzelausstellung von Paula Rego in Deutschland gewidmet: mit mehr als 80 Werken (Gemälden, Pastellen, Zeichnungen, Drucken, Kostümen) aus europäischen Museen und Galerien, darunter die Tate Modern, die National Gallery und die Victoria Miro Gallery in London sowie das Gulbenkian Museum in Lissabon.

Paula Rego, die leider im Juni dieses Jahres im Alter von 87 Jahren verstorben ist, war eine Grande Dame mit einer kompromisslosen Vision, eine wahrhaft zärtliche Autorin für unsere komplexe Zeit der psychischen und physischen Ängste und eine unvergleichliche Geschichtenerzählerin, die als feministische Ikone gefeiert wurde.

In ihrem bahnbrechenden Werk setzt sie sich mit Macht- und Kontrollsystemen, Faschismus, Frauenrechten, Abtreibung und menschlichen Tragödien auseinander, macht die Unterrepräsentierten sichtbar, kämpft gegen politische Ungerechtigkeiten und definiert gleichzeitig malerische Traditionen neu. „Ich bin daran interessiert, die Dinge aus der Perspektive des Underdogs zu sehen. Normalerweise ist das eine weibliche Perspektive“, so die Künstlerin, die die Themen Gewalt, Armut, politische Tyrannei, geschlechtsspezifische Diskriminierung und Trauer in den Mittelpunkt ihrer anspruchsvollen Arbeit stellt.Das Werk von Paula Rego, die mutig die politischen Mythen in Frage stellt und auf subtile Weise, aber mit brutaler Ehrlichkeit und Würde die menschlichen Beziehungen untersucht, ist aktueller denn je und zeugt von Widerstandsfähigkeit und einer unvergleichlichen subversiven und rebellischen Kraft. Der Titel There and Back again ist dem Ballett Pra là e pra sà entlehnt, das die englische Komponistin Louisa Lasdun 1998 komponierte. Diese wiederum ließ sich durch den Anblick von Regos Grafiken Nursery Rhymes, 1992, zu ihrem Werk inspirieren. Rego entwarf passend dazu die Kostüme.

Erstmals außerhalb der National Gallery in London zu sehen: Crivelli’s Garden
Die von dem britischen Autor und Kunstkritiker Alistair Hicks und dem Direktor der Kestner Gesellschaft, Adam Budak, co-kuratierte sowie von dem portugiesisch-französischen Architekten Didier Fiúza Faustino gestaltete Ausstellung Paula Rego: There and Back Again ist als eine Oper über die menschliche Existenz konzipiert, die in mehreren Akten inszeniert wird. Im Mittelpunkt steht Regos monumentales Meisterwerk Crivelli's Garden, ein kraftvolles antipatriarchalisches Statement einer kunsthistorischen Revision, das außerhalb seines Ursprungsortes, der National Gallery London, noch nie zu sehen war. Crivelli’s Garden ist eine der wenigen Auftragsarbeiten der National Gallery in London, sie entstand in den Jahren 1990-1991 als Rego die erste „Associate Artist“ an der National Gallery war.

Oper in drei Akten mit Prélude
Halle 1: Prélude – Der Proberaum
Als Prélude (Vorspiel / Einleitung) nimmt die / der Betrachter*in auf der Rückseite der großen Wand in Halle 1 das Bild Time – Past and Present, 1990, wahr: Wo alles beginnt, mit einem jungen Mächden (Paula Rego selbst), das am Schreibitsch sitzt und zeichnet, inspiriert von ihrem höchst einfühlsamen Vater und Mentor, der sie immer unterstützte.

Hier befindet sich auch einer der Höhepunkte ihres Werkes, Crivelli’s Garden (1990), Fokus der gesamten als Oper inszenierte Ausstellung und mit elf Metern auch das größte Werk Regos, das die Lebensgeschichte weiblicher Heiliger darstellt. Lebensgeschichten, die auch Überschneidungspunkte mit Regos eigenem Leben besitzen.

Halle 2:
Akt 1 – Rollenspiel und Storytellling
Rego liebte Geschichten, und auch, sich fantasievoll zu kleiden. Sie begann, in ihrem Atelier Theaterstücke zu inszenieren, Realität und Traumvorstellungen verschmolzen. In den 1990er-Jahren begeisterte sie sich für Disneys Fantasia und schuf ihre Straußen-Ballerinas, die unverkennbar an die Balletttänzerinnen von Edgar Degas erinnern. 

Halle 3:
Akt 2 – Konfrontation mit dem Wesen des Menschen 
Hier findet sich eines der poetischsten Werke Regos: The Dance (1988), in dem Rego und andere mit ihrem Mann tanzen, welcher aber von ihrem Sohn Nick nachempfunden wird. Ebenso wie Nick anstelle seines Vaters zu dessen tragischem Abgang in The Family (1988) stellvertretend die Vaterfigur ersetzt. Regos Ehemann litt an Multipler Sklerose, was eine dramatische Veränderung in Regos Gemälden verursachte: Zunehmend malt sie zu Beginn der 1980er-Jahre kaum mehr Menschen, und wenn doch, nehmen diese die Form von Tieren an. In Anlehung an die grausame Krankheit fertigt Rego zu ihrem 80. Geburstag im Jahr 2017 eine verstörende Serie von Selbstporträts an.

Halle 4:
Akt 3 – Schlachten: Der Triumph des Underdogs
Gezeigt werden hier Werke Regos, die von ihrem Kampf gegen männliche Vorherrschaft, Faschismus, Kolonialismus und ihre eigenen Depressionen zeugen. Dazu zählt unter anderem das Triptychon The Human Cargo, 2007/2008, wo gezeigt wird, dass die Gesellschaft sich noch immer nicht ausreichend mit dem Erbe der Kolonialzeit auseinandergesetzt hat. Weiter ist hier ihr Kampf gegen Anti-Abreibungsgesetze sichtbar: Eine erschreckende Serie von Werken, in denen sich Rego mit den Folgen illegaler Abtreibung befasst, findet sich hier, ebenso wie ihre Serie über Depressionen, an denen nicht nur sie, sondern auch ihr Vater und Ehemann litten ...

Halle 1:
FINALE – Hin und wieder zurück (There and Back Again) 
Bei Rego gibt es unzählige Finale, Wege, wie das Patriarchat untergraben werden kann, weibliche Rollenspiele und Geschichten als Waffen gegen den Kampf zwischen Dominanz und Rebellion. Dazu zählt das extreme Werk Barn, 1994, wo ein Masochist über die Sadisten siegt. Das dramatischste Finale der Ausstellung, inspiriert von Queiroz’ Roman Das Verbrechen, ist wohl Regos Angel, 1998: Ein Engel blickt uns mit einem Schwert in der Hand und einem Schwamm in der anderen an. Er urteilt über die Rollen, die wir eingenommen haben – und sieht über unsere kleinen Missgeschicke hinweg ...