Der Kunstverein Arnsberg präsentiert die dritte Ausstellung im Rahmen des Programms VERSUMPFUNG. In ihrer Einzelausstellung Liquid Mantras verhandelt die chilenische Künstlerin Patricia Domínguez den Zugang zu Wasser im Zeitalter der Privatisierung natürlicher Ressourcen. Sie beschäftigt sich mit Formen des Weinens und der Heilung im Hinblick auf Rituale, Spiritualität und Resilienzen in einer zunehmend digitalen Gegenwart.
Domínguez beschreibt ihre Arbeit als eine ritualisierte Praxis, bei der digitale und reale Elemente zusammenfließen. Während sie das Digitale materialisiert und mit realen Elementen und Erinnerungen vermischt, stellt sie gegenseitige Einflüsse auf ein planetarisches Miteinander heraus. Ihre künstlerische Arbeit kann als ein spätkapitalistisches Hacking verstanden werden - wie ein Magen, der gegenwärtige Systeme verdaut und sie in einer futuristischen Sci-Fi-Ästhetik oder besser Spi-Fi (spirituelle Fiktion) neu arrangiert.
Als Künstlerin und Aktivistin bemüht sie sich darum, unsere planetarischen Beziehungen neu zu denken und Wege des Zusammenseins und der Koexistenz vorzuschlagen.
Wasser, oder genauer der Verlust von Wasser, ist zentrales Thema in Liquid Mantras. Die Ausstellung beginnt mit einem direkten Einblick in Domínguez‘ Weltanschauung, in der Gemeinschaft und Kollaboration im Vordergrund stehen. Sie zeigt Papierarbeiten von ihr und ihrer unmittelbaren weiblichen künstlerisch-aktivistischen Gemeinschaft mit dem Titel „Aguas etéricas“ [Ätherische Gewässer]. Im Jahr 2020 begann Domínguez das Forschungsprojekt GaiaGuardianxs, das Text, Installation und Video kombiniert und sich mit den Auswirkungen der Biomacht auf zeitgenössische, ökosoziale Konflikte in Lateinamerika beschäftigt.
In der Ausstellung wird eine digitale Publikation zu sehen sein, die drei Jahre Forschung zusammenfasst und den Streit um den Zugang zu Wasser in der Provinz Petorca in Chile beleuchtet. Auch die Arbeit La balada de las sirenas secas
[Die Ballade der trockenen Meerjungfrauen] ist
in Kollaboration entstanden. Entwickelt mit dem Frauenkollektiv Mujeres del agua, das mit der Umweltschutzvereinigung MODATIMA (Bewegung für den Zugang zu Wasser, Land und Umweltschutz) verbunden ist, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf
die Wasserknappheit aufgrund der zunehmenden Wasserprivatisierung. Die Installation erinnert an einen Schrein, für den organische Elemente mit technologischen Objekten und Low-Fi-Komponenten verbunden wurden. Mittig befindet sich ein Screen, der vertikal auf einem Altar, bestehend aus dürrer Erde, montiert ist. Eine dunkle, mit LED-Lichtern bedeckte, nixen-artige Figur kniet vor dem Bildschirm in einer Votivgeste, einem Moment der Trauer oder des Gebets. Die grimmigen Gesichter durstiger und verächtlich blickender avocado-förmiger Köpfe komplettieren die Szene.
The Hanging Testicles and the She-Spirit of Water [Die hängenden Hoden und die Wasserfrau] setzt Domínguez‘ Aufruf gegen die Wasserprivatisierung
in Chile fort, die erstmals 1984 unter der Diktatur
von Augusto Pinochet eingeführt wurde. Im Rahmen der aktuellen Gesetzgebung und unter Verletzung der Menschenrechte wird Süßwasser abgezweigt, um Avocado-Großfarmen in der Provinz Petorca
zu bewässern, in Absprache mit Politikern und zum Nachteil der lokalen, oft indigenen Bevölkerung. Der Titel des Werks (eine versteckte Kritik am Patriarchat) bezieht sich auch auf den aztekischen Ursprung des Wortes „Avocado“ -āhuacatl, d. h. „Hoden“.
Der letzte Raum der Ausstellung widmet sich
einem Faksimile des Troano-Codex, einem der vier erhaltenen präkolumbischen Maya-Bücher. Der
in Hieroglyphen auf Rindenpapier geschriebene Codex stammt aus der Zeit zwischen 900 und
1521 und enthält Almanache, die als Handbücher für Wahrsagerei und Prognosen dienten. Die Aufzeichnungen astrologischer Systeme und Vorstellungen schaffen Einblicke in die Rituale
und Kalendersysteme der Maya. Das auf einem Spiegelregal stehende Artefakt ist so positioniert, dass es im Raum zu den Klängen zweier spiritueller Meditationen zu Wasserwelten mitschwingt, die
von ihrer Mentorin Nicole Postel für Gaiaguardianxs angefertigt wurden. Die Besucher:innen sind eingeladen, sich nach innen zu wenden, sich in ein meditatives Bewusstsein zu versetzen und sich mit dem Spirit des Wassers zu verbinden.
Die Ausstellung Liquid Mantras kann als eine Analyse der Rolle von Wasser als einerseits kämpferische und manchmal auch sterbende Kraft verstanden werden. Die verschiedenen Werke können als ritualisierte Akte der Ermächtigung interpretiert werden. Sie thematisieren nicht nur Verwundbarkeiten, sondern öffnen Wege für die Artikulation neuer kollektiver Stimmen.
Patricia Domínguez (geb. 1984, Santiago, Chile, lebt und arbeitet in Puchuncaví, Chile) greift auf Mythen, Symbole, Rituale und Heilpraktiken zurück und verbindet künstlerische Fantasie mit experimenteller Forschung zur Ethnobotanik. Sie arbeitet mit Aquarellen, Keramiken, bildhauerischen Kompo- sitionen und Videoinstallationen. Ihre schreinähnlichen Bilder speisen sich aus einem visuellen Vokabular, die von der Pflanzenwelt über Massenprodukte bis hin zu Wellness-Pro- grammen von Unternehmen und der digitalen Welt reichen. Domínguez hatte Einzelausstellungen im New Museum (New York), WAMx (Finnland), CentroCentro (Madrid), Gasworks (London), TBA21 Collection at C3A (Córdoba), Sala CCU (Santiago), Galería Patricia Ready (Santiago) und ARCO Madrid. Sie wurde als Gastkünstlerin ausgewählt für ALMA (Chile) + CERN (Schweiz), Gasworks (London), Meet Factory (Prag), AIM Bronx Museum (NY), R.A.T. (Mexiko), FLORA ars + natura (Bogota), The Institute of Critical Zoologists (Singa- pur), Sandarbh Residency (Partapur, Indien) und American Museum of Natural History (New York). Sie hat kürzlich u. a. das Botín Foundation Visual Arts Grant (2022), das CERN+ Symmetry Grant und das AMA-Gasworks Grant erhalten. Sie hat einen MFA in Studio Art vom Hunter College, New York und einen BA von der PUC, Chile, und studierte botanische und naturwissenschaftliche Illustration am New York Botanical Garden. Sie leitet die experimentelle ethnobotanische Platt- form Studio Vegetalista.