Berühmt ist der Maler Franz Radziwill (1895–1983) für seine Landschaften mit bedrohlichen Flugzeugen und riesigen Schiffen. Seine düsteren Kriegsszenen gewinnen dieser Tage bestürzende Aktualität. In seinen zivilisationskritischen Bildern verstecken sich manchmal kleine Staffagefiguren, viele Werke sind sogar menschenleer. Nur selten beherrschen Personen seine Bilder. Diese kaum bekannten Werke stehen nun unter dem Titel „Familie. Freunde. Fremde“ erstmals im Mittelpunkt. Welches Bild vom Menschen entwirft Radziwill, wie wandelt es sich, und wie zeigt der Maler die Personen, die ihm nahestanden? Mit dieser besonderen Ausstellung feiert die Franz Radziwill Gesellschaft zugleich ein Jubiläum: Vor 35 Jahren wurde das Wohn- und Arbeitshaus des Künstlers mit jährlich wechselnden Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 

Am Anfang und am Ende steht der Mensch 
Besonders zu Beginn und gegen Ende seiner Künstlerlaufbahn malt Radziwill Menschen. Die Ausstellung legt daher einen Schwerpunkt auf die 1920er Jahre und die Jahre um 1970. Dazwischen taucht fast vierzig Jahre lang kaum eine Hauptfigur in Radziwills Bildwelten auf. 

Die meisten Porträts entstehen in den 1920er Jahren. Dieses Jahrzehnt prägt den jungen Radziwill als Maler und als Mensch: Künstlerisch wendet er sich allmählich vom Expressionismus ab und entwickelt seinen neusachlichen Stil. Beeindruckt von den Werken der Alten Meister malt er seine ersten Bildnisse, deren Aufbau an Porträts aus der Renaissance erinnert. Ebenso setzt Radziwill zu dieser Zeit namenlose Menschen ins Bild: Manche Werke geben sie fast zärtlich wieder, während andere an Bilder von Otto Dix (1891–1969) erinnern. Radziwill war ihm 1927/28 in Dresden begegnet. Wie Dix für seine gnadenlos entlarvenden Porträts bekannt ist, grenzen auch manche von Radziwills ausdrucksstarken Darstellungen an Karikaturen. Hier zeigt sich die Vielfalt in Radziwills Figurenbildern.

Radziwills Netzwerk 
Die Ausstellung bringt unterschiedliche Personen zusammen, die dem Menschen und Maler nahestanden. Seine seltenen Selbstbildnisse sind genauso vertreten wie viele Porträts aus dem Familienkreis. So lernen wir Radziwills Mutter und Vater, seine Brüder und Schwestern, seine erste Ehefrau Inge und die einzige Tochter Konstanze durch ihre Bildnisse kennen. Nachbarn aus seinem Wohnort Dangast hat Radziwill ebenso festgehalten wie bekannte Förderer aus seinem Netzwerk: Zeichnungen zeigen die berühmte Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire (1874–1954) und den befreundeten Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer (1874–1960), mit dem Radziwill in einen jahrelangen Briefwechsel pflegte. Daneben zeigt die Ausstellung Menschen ohne Namen: Seine Figurenbilder lassen Radziwills Blick auf den Menschen in der Welt erkennen. 

Neue Entdeckungen aus Privatbesitz 
Mit über 30 Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen bietet die Ausstellung einen hervorragenden Einblick in Radziwills seltene Porträts und Figurenbilder. Dabei sind viele Werke aus Privatbesitz zu entdecken, die noch nie öffentlich gezeigt wurden, wie die beiden bislang unbekannten Zeichnungen „Trichtermädchen“ aus dem Hamburger Kabarett. So lässt sich ein fast unbekannter Aspekt von Radziwills Schaffen kennenlernen. Darüber hinaus gibt die Ausstellung Einblick in die Privatsphäre des Malers: Die Schau füllt sein Wohnhaus mit jenen Gesichtern, die in Franz Radziwills Leben eine entscheidende Rolle gespielt haben. 

Kunst verstehen und kreativ werden 
Neben regelmäßigen Führungen bietet das Künstlerhaus ein umfangreiches Begleitprogramm an. Erwachsene und Kinder können in Kursen aktiv werden, wie bei der einwöchigen Theaterwerkstatt für Kinder und Jugendliche. Jeden Monat gibt es darüber hinaus Lesungen, Vorträge und Konzerte im Künstlerhaus. 

Seit 35 Jahren geöffnet: Das Franz Radziwill Haus 
Im Jahr 1895 an der Unterweser geboren, wuchs Franz Radziwill in Bremen auf und entschied sich 1923 mit einem Hauskauf für den Künstlerort Dangast. In seiner Wahlheimat schuf er in sechs Jahrzehnten den Großteil seiner etwa 900 Gemälde. Das Franz Radziwill Haus gehört zu den seltenen Künstlerhäusern, die als Gesamtkunstwerk im Originalzustand erhalten sind. In den Etappen des Ausbaus durch den gelernten Maurer wurde es zu einer gemauerten, begehbaren Künstlerbiografie. 1987 hat die Franz Radziwill Gesellschaft das Haus für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Im großen Atelier stehen noch heute Radziwills Staffeleien, daneben hängt der Malkittel. Palette und Malpinsel haben ihren angestammten Platz behalten. Radziwills Bilder am Ort ihrer Entstehung zu betrachten, bleibt ein einzigartiges Erlebnis.