Ausgewählte künstlerische Aspekte der Sammlungsbestände des Kunstmuseums bilden den Fokus dieser aktuellen Werkpräsentation. Dabei greift die Auswahl auf die unmittelbar vorhergehende Ausstellung Holz. Skulptur, Relief und Arbeiten auf Papier zurück und schafft neue Werkdialoge zwischen den Künstlern Ulrich Görlich / Olaf Metzel, HAP Grieshaber, Daniel Richter und Rolf Wicker.
In der Gegenüberstellung von vier prägnanten und eigenständigen künstlerischen Positionen wird die besondere Materialität der Kunstwerke durch die Verwendung von ungewöhnlichen Techniken sichtbar. Der Holzschneider HAP Grieshaber ist mit großformatigen figurativen Serigrafien auf textilem Träger vertreten, auf die sich Rolf Wicker in einer monumentalen Rauminstallation 2006 bezog, die den langgestreckten Ausstellungsraum der Galerie in den Wandel-Hallen komplett füllte. Daniel Richter nutzt fotomechanische Übertragungen von grafischen Vorlagen oder Zeitschriften für seine Druckgrafiken, während Ulrich Görlich seine Fotografien unmittelbar auf präparierten Schichtholzplatten belichtet, die Olaf Metzel anschließend mit Kreissäge und Fräse bearbeitet.
Die Künstler reagieren auf vorgegebenes Material, mit dem sie neue bildliche und räumliche Wirklichkeiten schaffen.
Zu den Künstlern der Ausstellung:
DANIEL RICHTER (*1962) In seiner Malerei ist Daniel Richter ein Grenzgänger zwischen dem Abstrakten und der Figur, die ab 2000 sein Werk dominiert. Für die Umsetzung seiner Bilder greift der Künstler häufig auf die Fotografie zurück. Während des Malprozesses weicht Daniel Richter jedoch von der fotografischen Vorlage ab: Verfremdungen und ornamentale Grundstrukturen bestimmen seine Pinselhandschrift. Die Themen seiner Werke greifen soziale Randgruppen sowie die Populärkultur auf, sie spiegeln gesellschaftspolitische Zustände, das aktuelle Zeitgeschehen sowie Bildmotive der Kunstgeschichte.
In seinem grafischen Werk nutzt Daniel Richter die Technik der Montage, um unterschiedliche Bild- und Inhaltsebenen zusammen zu führen. Die zwei unbetitelten Siebdrucke von 2019 greifen auf Abbildungen aus Modemagazinen zurück. Über mehreren Schichtungen liegen schlussendlich Zeichnungen auf der Bildoberfläche, die ein Gesicht zeigen, oder etwa die spannungsreiche Kombination eines Geldmünzen zusammenraffenden Knochenmannes mit einer hereinschwebenden Figur. Wie ein Geisterbild liegt die Abbildung aus dem Modemagazin räumlich unter diesen Elementen der Bilderzählung und fungiert als Bühnenraum für eine Neuinszenierung der aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissenen Bildelemente.
Die Werke von Daniel Richter haben einen doppelten Boden: Auf den ersten Blick erscheinen sie leicht und eingängig, auf den zweiten Blick stellt sich etwas Unheimliches ein, wird mitunter das Grausame der Darstellung erst deutlich. Die vierteilige Serie Untitled von 2007 greift auf stark vergrößerte Kupferstiche zurück, die Folterszenen und die dazugehörigen Folterinstrumente wiedergeben. Im Kontrast dazu stehen die unschuldig anmutenden Singvögel oder ein Violine spielendes Mädchen. Als Bildkommentar und Fingerzeig fügt Daniel Richter fratzenhafte Gesichter ein, die – einem Graffiti ähnlich – das Leid, aber auch die unmenschliche Freude an der Ausführung der Gräueltaten wiedergeben.
Die sichtbare Unvereinbarkeit der Collageelemente treibt die Bilderzählung auf einen Höhepunkt, in der Emotionalität und kritische Auseinandersetzung verzahnt sind.
ULRICH GÖRLICH (*1952) und OLAF METZEL (*1952) Zwei Jahre haben der Fotograf Ulrich Görlich und der Bildhauer Olaf Metzel zusammengearbeitet. Zwischen 1990 und 1992 entstanden Installationen und Reliefbilder, deren Grundthemen zwischen Aneignung und Zerstörung, Abbild und Transformation oder Fläche und Raum wechseln. Ulrich Görlich überzieht Tischlerplatten – aber auch Wände – mit einer Fotoemulsion, die anschließend belichtet werden und somit ein fotografisches Abbild tragen. Olaf Metzel bearbeitet diese Fototafeln mit der Fräse und Kreissäge. Wie bei einem Holzschnitt schneidet er reliefplastische Linien in das Holz. Darüber hinaus führt er aber auch gleichsam gewalttätige Schnitte durch die Fotoschicht. Seine Linien begleiten und erweitern die Motive der Fotografie (Gartenbank), verdoppeln diese (Löffel) oder löschen den Gegenstand in der Fotografie fast schon aus (Lichtmast).
Die variationsreiche Zusammenarbeit beider Künstler bezieht sich auf Diskurse der Kunstbetrachtung. Sie hinterfragen, ob eine Kunstgattung einer anderen überlegen ist (Paragone). Sie zeigen, in welches Spannungsmoment die künstlerische Verdichtung von technischen und manuellen Produktionsweisen gebracht werden kann. Der Eingriff von Olaf Metzel in Holzschnitt (Altar) scheint die Altarfiguren wie in einem Akt der ikonoklastischen Zerstörung auszulöschen. Dem entgegen tritt die optische Wirkung der plastischen Linien, welche die Körper und die Gliederung der Figuren nachzeichnen und wieder sichtbar machen.
Die Holzschnitt-Reliefs von Ulrich Görlich und Olaf Metzel wurden anlässlich der Vergabe des Jerg-Ratgeb-Preises 2018 an Olaf Metzel in Reutlingen ausgestellt: Vier der vierzehn Arbeiten umfassenden Serie konnten vom Kunstmuseum Reutlingen angekauft werden.
ROLF WICKER (*1965) Als zehnter Stipendiat der HAP-Grieshaber-Stiftung setzte sich der Bildhauer Rolf Wicker von Sommer 2005 bis Sommer 2006 intensiv mit seinem Verhältnis zu Grieshaber auseinander. Das Ergebnis war eine monumentale, raumgreifende Installation in den Räumen der Galerie des Kunstmuseum Reutlingen.
"Als Jugendlicher in Oberschwaben erlebte ich HAP Grieshabers Werk auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger waren seine Werke überall. Niemand konnte mir die Arbeiten näher bringen und ich mochte sie auch nicht. "(Rolf Wicker, 2006)
Bereits vor seinem Stipendium in Reutlingen verwandelte Rolf Wicker Orte durch dreidimensionale Interventionen, die den gegebenen Raum durch neue Seh- und Bewegungserfahrungen erweiterten. Seine begehbaren Skulpturen und Parcours greifen die Architektur und das Umfeld ihres Aufstellungsortes durch eine reflektierte sowie spielerische Aneignung auf.
In der 2006 realisierten Rauminstallation HAPrechnung bezieht sich Rolf Wicker auf Grieshabers Holzschnittserie Männerwald von 1967. Er nutzte einzelne Figuren der Serie, vergrößerte diese und ordnete sie auf unterschiedlichen Raumebenen neu an. Die ursprünglichen Bildvorlagen wurden unsichtbar.
HAP Grieshaber wurde in besonderer Weise von der Schwäbischen Alb geprägt. Diese Landschaft wird in den geschichteten Ebenen der Rauminstallation aus riesigen zugeschnittenen Hartfaserplatten nachvollziehbar. Jedoch die in Grieshabers Bildwelt verankerten Figuren in der Landschaft fehlen. Hier kommt die Eigenerfahrung der Besucher*innen der Rauminstallation ins Spiel. Stellvertretend für die Bildfiguren werden sie Akteure in einer begehbaren raum-plastischen Installation, welche die Schwäbische Alb als künstlerischen Begegnungsort von HAP Grieshaber und Rolf Wicker spiegelt.
In analysierender und kreativer Auseinandersetzung mit dem Werk von HAP Grieshaber greift Rolf Wicker charakteristische Bildmotive auf, um sie dann neu zu strukturieren und umzudeuten.
HAP GRIESHABER (1909–1981) Für die Weltausstellung Expo 1976 im kanadischen Montreal wurde HAP Grieshaber beauftragt, die Abschlusswand des Deutschen Pavillons zu gestalten. Die Ausstellung stand unter dem Motto „Der Mensch und seine Welt“. Neben den Fortschritten in Technik und Wissenschaft standen die soziale Verantwortung sowie der Umgang des Menschen mit der Umwelt und der Natur im Blickfeld. Besonders die beiden letzteren Themenbereiche betrafen Anliegen und Fragestellungen, die HAP Grieshaber zeitlebens beschäftigten. Das für die Weltausstellung hergestellte Wandrelief Männerwald umfasste acht Holzstöcke, die 2 Meter hoch waren und eine Breite von knapp 5 Metern besaßen. Auf den Holztafeln wurden neben den griechischen Göttern ebenso Heroengestalten der griechischen Mythologie wiedergeben. Jede Tafel fokussiert die Einzelfigur ohne Hintergrundlandschaft. Das Gesamtensemble wurde in der Mitte von Pan zusammengehalten, den Gott der Hirten und Wälder, mit dem sich Grieshaber als Künstler identifizierte. Vor dem Transport nach Montreal druckte Grieshaber Handabzüge der Holztafeln auf Papier, die er in den Werkstätten der Mössinger Firma PAUSA für den Siebdruck weiterverwendete. Diese Drucke vereinigen nunmehr den Flöte spielenden Pan mit den Göttern und Heroen. Aus dem ursprünglichen reliefplastischen Nebeneinander erwächst ein bildräumliches Miteinander – eine dialogische Erzählung.
Mit der 1968 realisierten siebenteilige Bildserie Prometheus – Unica als Multiplicata griff Grieshaber erneut die druckgrafischen Möglichkeiten des Siebdrucks auf. Nun aber steht die kombinatorische Farbvariation eines Motives im Vordergrund. Der Titan Prometheus stellt eine Bindefigur zwischen den griechischen Göttern und den Menschen dar: Er erschuf die Menschen nach dem Vorbild der Götter und brachte ihnen das Feuer. Zur Strafe wurde er von den Göttern an einen Felsen gekettet: Seine Leber diente einem Adler zur Nahrung. Indem er die Verbote der Götter missachtete, wurde Prometheus „zum Sinnbild des kulturellen Fortschritts der Menschen und Ihrer Unabhängigkeit“ (Anna Barkefeld). Die Entwürfe auf transparenten Folien für die Umsetzung der Prometheus-Serie in den Siebdruck griffen auf unterschiedlichste Fundmaterialien zurück: Malerei trifft auf Abdrucke von Laub, Schuhsohlen oder Autoreifen.
Öffnungszeiten:
Mittwoch: 11:00 - 18 :00 Uhr
Donnerstag - Freitag: 14:00 - 20:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18 :00 Uhr
Weitere Informationen direkt unter: kunstmuseum-reutlingen.de