Welchen Wert hat ein Individuum, wenn sich Wissen und Gedanken auf künstliche Intelligenz übertragen lassen? Die Bonner Künstlerin Louisa Clement (* 1987), deren Arbeiten von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Körper sowie der Frage nach Identität und deren Gefährdung zeugen, wagt den Selbstversuch: Für ihre Werkserie Repräsentantinnen (2021/22) erschafft sie mit KI ausgestattete Puppen, die sie mit ihren biografischen Informationen speist und stellt diese lernfähigen Ebenbilder – oder sich? – aus. Das Paula Modersohn-Becker Museum präsentiert in der Sonderausstellung „human error. louisa clement“ (2.9.2023 bis 21.01.2024) Werke der Künstlerin und spürt den Möglichkeiten und Gefahren nach, die sich durch die Symbiose von Mensch und künstlicher Intelligenz ergeben.
Der Körper und die Möglichkeiten seiner Veränderung sind für die Meisterschülerin von Andreas Gursky auch in ihren Fotoarbeiten von zentraler Bedeutung. So führt Clement die Werkserie der Repräsentantinnen in Close-up-Fotografien fort, die sowohl perfekte, makellose Körper als auch deren scheinbare Misshandlung thematisieren. Mit ihrem untrüglichen Gespür gelingt es der Künstlerin, aktuelle und mitunter verstörende Themen in sinnlich fesselnde Fotografien, Skulpturen und Installationen zu übersetzen. Der human error zeigt sich in ihrer gleichnamigen Videoinstallation beispielsweise durch zwei hilflos umherrollende Puppenköpfe, die verzweifelt nach einer Verbindung mit dem Internet verlangen.
Der Aspekt der Transformation erstreckt sich auf sämtliche Werke von Louisa Clement und wird durch ihre künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg und dessen Hinterlassenschaften besonders eindrucksvoll veranschaulicht: Für die skulpturale Bodenarbeit transformationsschnitt (2015) verwendet die Künstlerin in Glas eingeschmolzenes und damit unschädlich gemachtes Sarin – ein Giftgas, das unter anderem im syrischen Bürgerkrieg gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wurde. Mit ihrer Kunst wirft Louisa Clement gesellschaftlich relevante Fragen auf, die mitunter „schmerzen“ und auch ihr Selbstverständnis als Künstlerin betreffen. Sie legt ihren Finger in offene Wunden und fordert das Museumspublikum auf, eigene Antworten zu finden. Die Schonungslosigkeit, mit der sie dies tut, verbindet sie mit Paula Modersohn-Becker. Mit dem „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ schuf die Malerin bereits 1906 ein prägnantes Beispiel für die Suche nach dem eigenen Ich und befragte zugleich die Umstände und Möglichkeiten von Künstlerinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Auch Louisa Clement setzt in ihrem Werk bei sich selbst an, geht in ihrer Radikalität jedoch noch darüber hinaus. Sie stellt die Frage, wie sich Identität zukünftig herausbildet.
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