Vom 6. Mai bis 8. Oktober 2023 findet zum sechsten Mal die Skulpturen-Triennale der Gerda und Kuno Pieroth Stiftung in Bingen am Rhein statt. Ermöglicht wird die Ausstellung durch ein engagiertes Team der Stiftung, der Stadt Bingen als Kooperationspartner, privaten Förderern, Unternehmern aus der Region sowie dem Stifter Kuno Pieroth mit Maria Gleichmann-Pieroth.

Nach den Themen der vergangenen Ausstellungen „Echt und Falsch“ und „Nah und Fern“ werden 15 Jahre nach der ersten Skulpturenausstellung, die seinerzeit anlässlich der Landesgartenschau 2008 durch das Stifterpaar initiiert wurde, unter dem Titel HIER UND JETZT erneut 19 künstlerische Positionen entlang des Rheinufers und an ausgewählten Orten in der Innenstadt thematisch vereint. Wieder einmal gelingt es den beiden Kuratoren Lutz Driever und André Odier künstlerische Positionen zu vereinen, die sich auf unterschiedlichen Wegen aktuellen Fragen zu dem diesjährigen Ausstellungsthema HIER UND JETZT nähern. Die Skulpturen und Installationen der nationalen und internationalen Künstler*innen beleuchten zeitnahe Fragen, wie den Umgang mit Ressourcenverschwendung, Folgen des Klimawandels, Wohnungsknappheit, Krieg und das Zusammenleben miteinander: sind wir auf dem richtigen Weg, müssen wir uns verändern, wo positioniert sich jeder einzelne. Die Skulpturen-Triennale bietet erneut die Möglichkeit am Rheinufer sich „en passant“ Fragen zum HIER UND JETZT zu stellen, Ansichten zu überdenken und Raum für neuen Ideen zu schaffen.

So erschafft Michael Beutler mit seiner leuchtend gelben Arbeit „Gelbes Loch“, die an einen Rundbau wie beispielsweise ein Iglu erinnert, einen Raum für die Frage nach der Zukunft unseres Wohnens und nach ökonomischer Raum- und Materialnutzung. Das verwendete, bereits produzierte und abgenutzte Material wirkt experimentell und lässt den ausgewählten Ort in einem neuen Kontext erscheinen. Auch Bogomir Ecker nutzt vertraute öffentliche Schauplätze, um eine neue Interaktion zwischen Betrachter*innen und dem alltäglichen Leben herzustellen. Seine zwanzig rot lackierten Objekte schmücken einen großen Baum wie bekannte Nistkästen, aber beim genaueren Hinsehen sind sie von ihrer Funktionalität losgelöst. Sie sind nicht mehr das, was sie scheinen.

Was und wer man sein will, das ist man einfach – egal wie es auch scheinen mag. Der Begriff eines neuen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins entkoppelt vom herkömmlichen Kontext wird in der überdimensionalen Holzfigur von Günter Meyer „Ich bin Cowboy weil ich`s bin“ präsent. Meyer plädiert für ein entschlossenes Auftreten, dass jede:r ihre/seine eigene Existenz, Figur und Position in unserer Gesellschaft vertritt. Natürlich darf dies nicht auf Kosten anderer gehen: In „Rette sich wer kann!“ von Christiane Möbus verbirgt sich der egoistische Grundgedanke, das eigene Leben zu schützen. Der romantisierende und zugleich kalt-blaue Neonschriftzug soll zum Nachdenken über kollektive Verhaltensformen anregen. Die Notwendigkeit eines Diskurses, einer Kommunikation in unserer Gesellschaft soll mit Hilfe des „Popularis Volkstresens“ von Simon Mullan symbolisiert werden. Als Orientierungspunkt in einer urbanen Landschaft und mit der Funktion als Treffpunkt erhofft sich der Künstler, dass die Binger Bewohner*innen sich öffnen und die Skulptur als Raum der Begegnung zwischen Kunst und Gesellschaft annehmen und bespielen.

Mia Florentine Weiss instrumentalisiert mit ihrer Skulptur „LoveHate“ eine einfache Botschaft in Form eines Ambigramms, ein Wort, das in verschiedenen Richtungen gelesen werden kann. Durch die Veränderung der eigenen Position kann der/die Besucher*in Hass in Liebe umwandeln. Die Skulptur symbolisiert in ihren Regenbogenfarben Frieden, Toleranz und Akzeptanz verschiedener Lebensformen. 

Upside Down – Die Welt mit anderen Augen sehen“, eine Bronzeskulptur der Künstlerin Dagmar Vogt, bekräftigt diese geistige und körperliche Neuausrichtung von Betrachtungsweisen: Welche Stellung haben Frauen in der heutigen Gesellschaftsordnung? Die dem Yoga entstammende Haltung fördert kreatives Denken, Mut, Konzentration und Gleichgewicht. Ein Gleichgewicht, das in der kleinen Skulptur „Fliegen“ von Lothar Seruset, eindrücklich ins Wanken geraten kann, wenn wir als Mensch die Balance zwischen unserer Erde und unseren Erfindungen aus den Augen verlieren. Die Verantwortung für diesen Balanceakt und die damit verbundenen Fragilität der Konstruktion macht uns sichtlich Angst. 

Diese Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt/Natur wird uns auch in dem matten, mit dunkler Schwarzbrandpatina versehenem Haifischmaul „Das ist das“ von Stella Hamberg vor Augen gehalten: Sind nicht wir die Ungeheuer der Ökosysteme, weil wir sie mit unserer Verschmutzung zerstören? Die Unmengen an Müll, die unsere Städte, Flüsse und Natur verschmutzen sind für HA Schult schon seit 1996 ein Anliegen. Er lässt aus Cola-Dosen, Elektroschrott und Plastikmüll seine „Trash People“ entstehen, die auf der ganzen Welt und nun in der Binger Innenstadt auf das globale Klimaproblem aufmerksam machen und die Konsequenzen unseres Konsumswahns aufzeigen.

Anina Brisolla setzt sich ebensfalls mit den Themen Natur, Weltraum und auch Machtgefügen auseinander. Ihre Installation „control (abundance)“ hält dem Betrachter vor Augen, dass wir unsere Rohstoffe wie beispielsweise das Wasser kontrollieren, aber ebenso portionieren müssen. Daneben geht es ihr aber auch um unsere „kontrollierte“ Position im Machtgefüge großer Tech-Unternehmen, die die von uns zur Verfügung gestellten Daten – Rohstoffe – kontrollieren. Das Machtverhältnis in der Beziehung zwischen Publikum und Künstler*in greift Christian Falsnaes in seiner Performance „Front“ auf. Beeinflussung und Wechselwirkung zwischen einer Gruppe und dem Individuum sowie Dynamiken, die dabei entstehen, möchte er uns vor Augen führen und gleichzeitig den Entstehungsprozess überdenken: Kann Neues nur aus der Beseitigung des vorherigen Zustandes entspringen? Die Frage nach Vergangenheit und Zukunft, was bleibt von uns und unseren Ritualen, stellt sich auch Fritz Bornstück in seiner Arbeit „Garnitur“, die einen besonderen Ort in der Basilika in Bingen gefunden hat. Was bleibt von unseren Objekten, wenn sie im Laufe der Zeit verfallen sind? Inwiefern gestalten die Überreste unserer Artefakte das, was nach der Beendigung ihrer Existenz kommt? Vera Kox beeindruckende Arbeit „..into the peripheral, reflecting“, ein gelber Stahlträger besetzt mit einer amorphen Skulptur, organisch weich wirkend, aber aufgrund ihres Materials Keramik starr und fest, thematisiert die Verschmelzung von Gegensätzen – natürlich und künstlich -, entwirft aber auch ein futuristisches Objekt, in dem industrielle Überbleibsel unseres Lebens ein Eigenleben entwickeln. Diese Gegensätzlichkeit von Formen und Oberflächen, die schwer und massiv sind, zugleich aber dem menschlichen Körper entlehnt weich, lebendig und verletztlich wirken, findet sich in der Skulptur „Cloud Number Nine“ der finnischen Künstlerin Emma Jääskeläinen. Sie ist als Vorschlag für ein fürsorgliches Miteinander zu verstehen, um die Verwundbarkeit des Körpers gegenüber der Außenwelt zu schützen.

Verwundbarkeit und Schmerz zeigt eindringlich die bekannte Plastik „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1937/38. Die trauernde Mutter, die ihren geliebten Sohn als Kriegsopfer verliert, führte Käthe Kollwitz zu dieser berührenden Darstellung – „(…) ein eindringliches Denkmal über das Nachsinnen über Werte, die niemals verloren gehen dürfen.“ (Gudrun Fritsch).

Denkmäler sind Objekte der Erinnerung. Deren Starrheit hinterfragt die Künstlerin Finja Sander mit ihrer performativen Reihung „Für Morgen“ (10./11.06.), während der sie in Anlehnung an die Bronzeskukptur „Der Schwebende“, 1927, von Ernst Barlach horizontal, reglos und mit geschlossenen Augen in einer skulpturalen Vorrichtung hängt. Die Künstlerin entwickelt die Rolle des Denkmals weiter, um eine neue Art der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu finden. Das Thema der deutsch-deutschen Vergangenheit findet sich in der Arbeit „An der Ecke“ von Wilhelm Klotzek aufgegriffen. Verwurzelt in seiner eigenen Geschichte lädt das „Denkmal“ dazu ein, an der Straßenecke zweier heute unbekannter Biografien über den Übergang von einem Gesellschaftssystem in ein Anderes nachzudenken.

Die harmlos, nahezu niedlich wirkende, aber mit scharfen Glasscherben bestückte Figur von Rainer Mang in der Seitenkapelle der Basilika ist „Auf der Suche nach dem Klee“. Geschaffen aus dem Schutt der Vergangenheit am Ende des Kalten Krieges, dem Zusammenbruch einer zweigeteilten Weltordnung, ist auch sie auf der Suche nach einem besseren Jetzt. Die drei Flaggen „Alles wird Gut“ von Simon Mullan scheinen eine einfache Antwort auf die aufgeworfenen Fragen gefunden zu haben und wirken - vordergründig - aufbauend und motivierend. Jedoch sind sie zugleich auch provokativ: Müssen wir die Gegenwart ertragen in der Hoffnung, dass die Zukunft besser wird?


Ort: Entlang des Rheinufers in Bingen und an ausgewählten Orten der Binger Innenstadt

Weitere Informationen direkt unter: skulpturen-bingen.de