Vom 18. November 2022 bis 19. September 2023 zeigt die Kunsthalle Schweinfurt die Ausstellung „Was macht der Vogel mit der Linie?“ mit Werken des Bildhauers und Objektkünstlers Hubertus Hess (*1953 in Coburg) und des Malers Peter Kampehl (*1947 in Fürth). Die beiden Künstler sind weit über die Kunstszene Nordbayerns hinaus bekannt und mit Werken in der ständigen Sammlung der Kunsthalle vertreten.
Mit der überraschenden Frage „Was macht der Vogel mit der Linie?“ treffen nun ihre zunächst unvergleichbar erscheinenden künstlerischen Welten direkt aufeinander. Der kleine ausgestopfte Vogel bekrönt eine Installation aus Mitbringseln von Reisen in alle Teile der Welt, die Hess unternommen hat. Diese Materialassemblage aus Dingen, die zu ihm gekommen sind, wie der Künstler selbst sagt, ist kennzeichnend für seine Arbeitsweise. Zunächst an der Holzschnitzschule in Bischofsheim/Rhön ausgebildet, absolvierte Hess ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, arbeitet als Bildhauer allerdings seit vielen Jahren vornehmlich mit Fundstücken unterschiedlichster Materialität. Erinnerungen an alte Kunst- und Wunderkammern werden wachgerufen. Hess ist fasziniert von Dingen, die Lebensspuren zeigen, von Dingen, die oftmals eine bestimmte Funktion in sozialen Prozessen innehatten. Nun gesammelt und funktionslos geworden, werden sie weiterverarbeitet zu neuen Arrangements, werden verändert zu neuen poetisch-erzählerischen Bildwerken von großer sinnlicher Präsenz. Ihnen haftet etwas Geheimnisvolles an, sind doch komplexe Zusammenhänge von Wissen und Erfahrung, von Erinnerung und Erfahrung ebenso eingeschrieben wie die Offenheit für vielfältige neue Assoziationen. Hubertus Hess arbeitet immer wieder auch mit ausgestopften Tieren, beispielsweise mit dem Rehbock als Jagdtrophäe in seiner Serie von Hochständen, mit Vögeln wie dem Goldfasan, der zwischen alten Eisengittern zugleich gefangen wie geschützt wird. Von dem Philosophen und Ethnologen Claude Levi-Strauss stammt der Satz, mit Tieren sei gut zu denken. Hess` Kunstwerke reflektieren – gerne mit Humor – unser ambivalentes Verhältnis zu Tieren, die zu Partnern im bildnerischen Prozess werden.
Was macht nun der kleine Vogel mit den völlig anders gearteten Bildwelten Peter Kampehls, mit Gitter-, Punkt-, Linienstrukturen, mit den frei gefundenen abstrakten Zeichen? Peter Kampehls Werke sind der nicht gegenständlichen abstrakten Malerei zuzuordnen, in der er seit vielen Jahren seine eigene Position verfolgt. Waren in den frühen Arbeiten noch Motive auszumachen, die sich aus dem Mikrokosmos der Natur ableiten ließen, so sind die Werke längst emanzipiert zu rein abstrakten Erzählungen. Sie erzählen von der Arbeit, eine Komposition zu „finden“: mit dem ersten Punkt oder Strich auf der Leinwand entsteht eine Findung oder Setzung, die der Künstler dann in freiem Rhythmus ohne starre Geometrie, bisweilen völlig losgelöst von erkennbaren Ordnungen, weiterführt. Punkte Linien, Bänder, die Kurven schlagen, sich kreuzen, Flächen umranden und so eigenständige Motive hervorbringen, sind der Inhalt der Arbeiten. Mögen diese bisweilen durchaus Nähe zu einer Zeichnung haben, so ist Kampehl doch in erster Linie Maler, der den Malprozess thematisiert und auch mit den malerischen Gegebenheiten von Farbe spielt. Lasierende Schichten – manchmal mit feinem Sand gemischt – werden übereinandergelegt, bilden eine eigene Struktur des Grundes in gebrochener Farbigkeit. In schneller Arbeitsweise kratzt der Künstler seine Linien in den noch feuchten Farbauftrag, legt damit Unteres wieder frei oder er lässt die Farbe der Linien verlaufen. Peter Kampehl ist ein Suchender geblieben, lotet immer wieder neu das weite Feld von Strukturen, Farbe und Form aus; mehrmalige Ansätze, Übermalungen, die oft im Bild bei intensiver Betrachtung kenntlich werden, zeugen von dem Ringen um eine gültige Fassung. Ja, da kann es schon vorkommen, dass auch mal eine ältere Arbeit palimpsestartig überschrieben wird. Bleiben die Arbeiten zwar weitgehend im Abstrakten (ohne Titel), so sucht (und findet) der Betrachter doch immer wieder auch bildhafte Anspielungen, Netze, Felder- und Stadtlandschaften etwa oder auch die Haut einer Schlange.
In der Zusammenschau mit den Werken von Hubertus Hess eröffnen sich gegenseitig neue Betrachtungshorizonte. So stellen sich beispielsweise Verbindungen ein zwischen den Eisengittern von Hess in ihrer plastischen Dreidimensionalität und den gemalten Linienstrukturen Kampehls.
Wir wissen, dass Vögel anders und sehr viel besser sehen als wir. Von Neugier geleitet, lässt sich der kleine Vogel deshalb ein auf eine Expedition in unbekannte Welten: dinglich-figurativ wie abstrakte Kosmen.
Rüfferstraße 4
97421 Schweinfurt