Ingo van Aaren inszeniert in seiner fotografischen Serie „Nachtwach Berlin Spaziergänge mit Schildkröte“ mit einem Anflug von Humor und bühnengleich die künstlerische Idee des Flanierens. Er entwirft damit eine andere Sicht auf das Leben in der Metropole. Mit einer Schildkröte an der Leine flaniert der Schriftsteller David Wagner durch das nächtliche Berlin. Die Fotografien von Ingo van Aaren zeigen das ungleiche Paar vor dem Brandenburger Tor, auf dem menschenleeren Alexanderplatz oder der verwaisten Oberbaumbrücke, in Kneipen oder beim Späti. Die strahlende Beleuchtung der teils prominenten Orte trifft auf das Blauschwarz des Himmels bei Nacht und schafft ein abwechslungsreiches Hell-Dunkel, das Räumlichkeit und Ausdruck der Fotografien steigert. Stille liegt über den Bildern.

Mit „Nachtwach Berlin“ beziehen sich Ingo van Aaren und David Wagner auf eine Praxis, die sich erst mit dem Aufkommen der industriell geprägten Großstadt verbreitete: das Flanieren. Unter dem Eindruck des erstarkenden Kapitalismus und der damit einhergehenden Urbanisierung wurden Städte großflächig umgestaltet. Im Gegenzug etablierte sich der Begriff des Flaneurs, eines Spaziergängers durch die Stadt, der bewusst Langsamkeit und Achtsamkeit betonte. Zu einer ironischen Zuspitzung der Idee kam es durch die Pariser Bohémiens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die Schildkröten spazieren führten und damit gegen die zunehmende Rationalisierung und Schnelllebigkeit des Stadtraums ein Zeichen setzten.

Die Fotografien rücken vertraute Ansichten in ein neues Licht und laden dazu ein, das Leben in der Stadt anders zu erfahren. Im gleichnamigen Fotobuch sind zudem fiktive Dialoge zwischen dem Autor David Wagner und dem Reptil enthalten. In einem solchen fasst die Schildkröte den Dreh- und Angelpunkt von „Nachtwach Berlin“ klar zusammen: „Hier spricht Berlin. (…) Horch! Jeder Ziegel, jedes Sandkorn hat etwas zu erzählen. Es flüstert überall.“