Es ist ein seltsam wirkendes Zitat Willy Brandts, das meterhoch und -breit in der Zwischenetage des Berliner Flughafens BER prangt: „Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden das Wichtigste sei, dann lautet meine Antwort: Freiheit.“ Die europäische Freiheitsgeschichte des 15. Jahrhunderts bis heute ist ein fundamentales Leitmotiv in meiner Arbeit. Das von Willy Brandt ins Leben gerufene Haus am Lützowplatz bietet mir die Möglichkeit Fragen über die Auswirkungen der so hauchdünnen Freiheit im Hier und Jetzt zu stellen. (ZIERVOGEL)

Das Konzept von „Wir sollen wie Hunde sein“ fußt auf der Produktion von zwei neuen, ortsspezifischen Arbeiten, die ZIERVOGEL, wie sich Ralf Ziervogel seit seiner großen Ausstellung 2018-19 in der Sammlung Falckenberg nennt, in der Auseinandersetzung mit den architektonischen Gegebenheiten und der Geschichte des Haus am Lützowplatz entwickelt hat. Beide Arbeiten sind auf einer Meta-Ebene miteinander verbunden und stellen einerseits die Betrachtung von Kunst („Parcours“) und andererseits die Produktion von Kunst („Selbstportrait“) in ein vielschichtiges zeitgenössisches Problemfeld.

Parcours
„Die sich durch zwei Räume ziehende, zwei Meter hohe Aluminium-Gatterkonstruktion hat einen Eingang und einen Ausgang und wird in einer Art Slalom durchquert. Zunächst hat man noch genug Platz, bis zu einigen verengten Stellen, bei denen gerade noch eine Person durchpasst. Der Parcours führt zu seiner Spitze zur Stirnwand der Raumflucht, wo die gerahmte Arbeit as if (2018) mittig hängt. Nur durch die Gittersta?be hindurch kann man die detaillierte Zeichnung betrachten. Ich will durch das gängelnde Gestell und die behinderte Sicht auf die 3 Meter breite Zeichnung den Blick verengen und ablenken. Der Raum ist durch den Parcours nur in eine Richtung zu betreten. Der Umraum und das Werk ziehen ihre Kreise. Alle Fenster werden mit weißen Stoffrollos von innen verhängt, um gleichmäßige Lichtverhältnisse zu erzielen und die Zeichnung vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen.“ (ZIERVOGEL) 

Die gerahmte, großformatige Zeichnung „as if“ (2018) ist, wie viele andere ähnliche „Wimmelbilder“ des Künstlers extrem detailreich und lädt zum nachsichtigen Erkunden der vordergründig als Groteske vorgetragenen zum Teil sehr drastischen anatomischen Exzesse ein.

„Diese Zeichnung bildet einen Zenit meiner Arbeiten dieser Art. Sie ist so detailliert, dass kaum mehr auffällt, das jede Figur und jeder Strich aus einem autodidaktischem Prozess entstanden ist, der nichts mit einer akademisch, anatomisch korrekten Zeichnung zu tun hat. Neben der Form zerfällt gleichermaßen der Inhalt in ein redundantes Muster ohne Erzählung. Die dargestellte Gewalt ist verfügbares Mittel aus allen vorherrschenden Medien, quasi Zitat.“ (ZIERVOGEL)

Bei ZIERVOGELs „Parcours“ im Haus am Lützowplatz geht es gleichsam um eine installative Überhöhung der Betrachtenden als Instanz. Der beengte, nur in eine Richtung führende Weg zu dem Werk, als auch die Sichtbehinderung durch die Gitterstäbe zielt darauf, die Rezeption von Kunst als einen körperlichen Vorgang erfahrbar werden zu lassen. Es wird eine Apparatur gebaut, die einzig und allein zur Gängelung, Einengung und Begrenzung der Seh- und Bewegungsfreiheit in dem ansonsten leeren Raum dient. 

Damit stellt er den Akt der Betrachtung in den eigentlichen ästhetischen Mittelpunkt und verweist damit auf eine kollektive zeitgenössische Erfahrung, wie sie jeder Kunstliebhaber in den großen Museen der Welt vor den Kassen oder vor berühmten Meisterwerken schon gemacht hat. Umrahmt von der heutigen Unterhaltungs- und Tourismusindustrie ist der Weg zur Kunst auch immer Resultat einer körperlichen Anstrengung und ihre Betrachtung mitunter im hohen Maße beeinträchtigt durch die Anwesenheit vieler anderer menschlicher Körper im Raum. Im HaL wird man sich dieser Aufforderung im Laufe der Ausstellung vereinsamt stellen müssen. 

Selbstporträt 
Beim „Selbstportrait“ nutzt ZIERVOGEL eine neue Technologie, die es ermöglicht, beliebige Informationen in synthetisch erzeugten DNA-Molekülen zu codieren. Sie verspricht eine bislang unerreichte Effizienz und Haltbarkeit als Speichermedium (bis 50.000 Jahre im Unterschied etwa zu externen Festplatten, die nur 30 Jahre lang Informationen fehlerlos speichern können) sowie die Einsparung von Serverfarmen, die permanent nach Elektrizität verlangen und gekühlt werden müssen.

Die Idee, Informationen auf der DNA zu speichern, gibt es, seit sie ein sowjetischer Physiker 1964-65 in der Zeitschrift „Radiotekhnika“ veröffentlichte. Die erste erfolgreiche Umsetzung erfolgte 2012, als der Harvard-Biologe George Church eines seiner Bücher in einer synthetischen DNA verschlüsselte. Das Verfahren wurde dann an der ETH Zürich weiterentwickelt und wird mittlerweile von der Schweizer Firma Turbobeads, als Spin-off der ETH Zürich, kommerzialisiert. Dieser Firma gelang es 2018, das Album „Mezzanine“ der britischen Band „Massive Attack“ in einen DNA-Code zu übertragen und die synthetisch erzeugte Basenpaare in Millionen von Glaskügelchen zu enkapsulieren. Diese Glaspartikel wurden dann in Spraydosen abgefüllt und als Edition des Albums der Öffentlichkeit präsentiert. 

ZIERVOGEL hat mit Hilfe dieses Verfahrens, eine in Bit-Pixeln aufgelöste Datei, die einen Überblick seines Schaffens der letzten 20 Jahre (https://ralfziervogel.com) und eine Zeichnung (Der Kaktus hat recht, 2004, Tinte auf Papier, 140 x 508 cm / Deichtorhallen Sammlung Falckenberg Hamburg)in voller Größe bietet, auf eine synthetische DNA codieren lassen. In einem zweiten Schritt ist die derart codierte synthetische DNA mit seiner eigenen, menschlichen DNA, die aus einer Zellprobe extrahiert wird, vermischt werden. In den Glaspartikeln werden also die Erbgutinformationen des Künstlers zusammen mit den visuellen Informationen der von ihm geschaffenen Kunstwerke zusammen gespeichert. Der Künstler vereint oder vermählt sich auf molekularer Ebene gleichsam mit seiner Schöpfung und erzeugt dadurch ein Selbstportrait. 

Die winzigen Glaspartikel als Träger der Werk-Erbgut-Information wurden zu einer Lösung verarbeitet, die auf einem Fabriano-Papier verstrichen sind. Diese Zeichnung soll schließlich unter Glas gerahmt in die Wand eines Ausstellungsraums im Haus am Lützowplatz eingelassen werden. Nach Projektende soll die Öffnung versiegelt werden und das Werk permanent im Gebäude verbleiben. Es ist so tief im Mauerwerk versenkt, dass darüber in Zukunft weiterhin Ausstellungsobjekte gehängt werden können.  

„Seit 1999 kann man das Genom eines Menschen entschlüsseln: So ähnlich wie in der Hirnforschung, so dachte man auch auf dem bio-chemischen Gebiet, dem Leben auf die Schliche gekommen zu sein. Ich implementiere in meine DNA, eine Datei meiner eigenen Arbeiten. Ich verbinde die Molekularebene meines Erbguts mit der Mikroebene meiner übertragenen, kognitiven Leistung, in einem selbstkuratierten Datensatz. Inklusive aller Fehler und Absichten, und in vollem Bewusstsein will ich die Unverschämtheit besitzen, das Evolutionäre mit meiner archivarischen Überzeugung zu kreuzen und für immer sichtbar zu machen. Sehen wird man gar nichts, denn die Daten auf meiner DNA sind in einer durchsichtigen Nährlösung aus einem Labor in der Schweiz, mit dem Know-how aus Berkeley, auf ein von mir gängig, benutztes Zeichenpapier gestrichen, um zu beweisen, wie viel Potential in dieser neuen Forschung steckt.“ (ZIERVOGEL)

ZIERVOGEL (* 1975 in Clausthal-Zellerfeld) lebt und arbeitet in Berlin und New York. Er arbeitet in unterschiedlichen Medien, aber bekannt geworden ist er vor allem durch seine großformatigen, extrem detaillierten Tintenzeichnungen, deren Figurenwelt in drastische Szenerien versetzt ist. Auf weißem Grund werden dort Körper zu freischwebenden, ornamentalen Geflechten, die sich auf unterschiedlichste Weise einander sinnlich, aggressiv durchdringen.

Von 2000 bis 2005 studierte ZIERVOGEL Bildende Kunst an der Universität der Künste (UdK) in Berlin. Zwischen 2013 und 2016 lehrte er Bildhauerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Im Rahmen von Einzelausstellungen wurden ZIERVOGELs Werke jüngst u. a. in den Deichtorhallen Sammlung Falckenberg Hamburg („As If“, 2018 – 2019), der Kunsthalle Göppingen („RAM“, 2017), und im EIGEN + ART Lab, Berlin („Ganz Unten“, 2016) gezeigt. 2020 hat er der Kunststiftung Bernhard Sprengel und Freunde in Hannover das „ARCHIV RALF ZIERVOGEL, 2000–2020“ vermacht, in dem seine gesamten Werke, Tätigkeiten und Archivalien aus dem in der Datierung angegebenen Zeitraum zusammengefasst sind.